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Interview mit Niels Kalbitz: Eine Prognose? Garantiert nicht!

02.08.2024 08:05 Uhr | Lesezeit: 4 min
Niels Kalbitz
Niels Kalbitz weiß: "Ein grundlegendes Problem mit E-Mobilität sind die hohen Investitionskosten."
© Foto: Bettina Göttler

Niels Kalbitz ist Bereichsleiter Vertrieb & Service, Gebäudetechnik, Kälte & Kühlung bei TSG Deutschland. Er spricht im Interview über schöne Visionen und die harte Wirklichkeit, in der der Mittelstand oft benachteiligt ist. und, warum er keine Prognose über den Energiemix der Zukunft gibt.

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Herr Kalbitz, wir wirkt sich der enorme Umbruch in der Tankstellen- und Energiebranche auf TSG aus?

Niels Kalbitz: Das mittel- und langfristige Ziel dieses Umbruchs ist ja, dass es an der Tankstelle nicht mehr nach Benzin riecht. Das ist eine schöne Vision – aber dann braucht man natürlich andere Energiequellen. Und hier ist zum einen die Elektromobilität interessant. Dafür wiederum braucht man Strom und deshalb ist für TSG Solarenergie ein großes Thema.

Am Ende müssen wir aber genau überlegen, womit wir uns beschäftigen wollen und sollen. Oftmals zeichnet die Politik ein Bild von der Zukunft, welches aber gerade vom Mittelstand so nicht gesehen wird! Elektromobilität an Tankstellen zum Beispiel wird von den MOC stärker getrieben als vom Mittelstand. Es fühlt sich so an, als wäre der Mittelstand beim Thema Elektromobilität etwas vorsichtiger als die großen Mineralölgesellschaften.

Woran liegt das?

Ein grundlegendes Problem mit E-Mobilität sind die hohen Investitionskosten. Rechnen Sie mal: An einer Tankstelle stehen drei oder vier High-Power-Charger. Plus Trafo, plus Installation – das sind hohe sechsstellige Beträge, die investiert werden.

Es mangelt also an den finanziellen Mitteln?

Nein, das nicht. Der Mittelstand in Deutschland, gerade im Tankstellenbereich, verfügt über eine sehr gute Eigenkapital-Ausstattung. An Geld mangelt es wahrscheinlich nicht. Aber der Business-Case ist eben herausfordernd, um die hohen Investitionskosten wieder verdienen zu können. Allein über den Verkauf von Kilowattstunden, ohne weiteres Cross-Selling Potential, wird das nicht leicht.


""Die Pläne, die ich bisher gesehen habe, da muss ich schon ehrlich sagen: Die sind top!""

Niels Kalbitz, Bereichsleiter Vertrieb & Service, Gebäudetechnik, Kälte & Kühlung bei TSG Deutschland.


Dennoch ist E-Mobilität der zentrale Baustein der TSG-Strategie.

Natürlich. Wir sind überzeugt davon, dass Elektromobilität ein zentraler Bestandteil im Energiemix der Zukunft sein wird. Und als professioneller Partner und Dienstleister unserer Kunden wollen wir dazu beitragen, die benötigte Infrastruktur zu errichten und sicher zu betreiben.
Wir müssen uns darüber hinaus bewusst sein, dass der Wandel von der Tankstelle zum Ladehub in vollem Gang ist. Und Tankstellen sind längst nicht mehr die einzigen Ladepunkte - waren sie auch noch nie. Gerade die großen Gesellschaften forcieren den Ausbau der Lademöglichkeiten an Supermärkten, Baumärkten, Fast-Food-Restaurants etc., um weitere Kundengruppen erreichen zu können.
Besonderer Fokus liegt auf neu zu errichtenden Ladehubs, welche zumeist direkt mit einem Convenience-Store errichtet werden. In welcher Größe und ob das Stationen mit Personal sind oder ob ich dort Automaten vorfinde, wird sich ausloten. Aber die Pläne, die ich bisher gesehen habe, da muss ich schon ehrlich sagen: Die sind top!

Alle Welt redet von Technologieoffenheit. Ist Deutschland technologie- und energieoffen?

Interessanterweise ist die Offenheit für andere Energiearten durch die E-Mobilität wieder gestiegen. Am Ende ist es eben immer ein Stück politische Einflussname, die da stattfindet. Wirklich energieoffen sind wir am Ende zwar noch nicht. Es wollen aber alle bereit sein. Zum Beispiel prüfen gerade einige unserer Kunden gemeinsam mit uns den Prozess der Erlaubnis bis hin zum Umbau ihrer Tankstelle, um HVO-ready zu sein. Es war auch vor dem offiziellen Eintrag im Bundesgesetzblatt alles bereit für HVO. Das ist auch nachvollziehbar: Die Infrastruktur ist in Deutschland 14.000 mal vorhanden. HVO tanken, das ist gelebte Praxis.

HVO100
HVO tanken, das ist gelebte Praxis.
© Foto: AdobeStock

Warum kommt HVO beim Mittelstand besser an als Elektromobilität?

Der Mittelstand ist hier etwas benachteiligt. Die großen Gesellschaften haben mithilfe von Routex, DKV und eigenen Loyality-Programmen eine enge Bindung an ihre Flottenkunden. Und wer bereits heute beruflich viel fährt, der ist längst nicht so preissensibel, dem geht es nicht um ein oder zwei Cent Preisunterschied zwischen der Markentankstelle und einer freien. Derjenige kauft dann aber auch eher einen Snack an der Tankstelle, seine Cola oder seinen Kaffee. Hier hat man viel Cross-Selling aufgrund der vielen Flottenkunden.
Wenn nun die Flotte elektrisiert wird, fährt dieser Mitarbeiter eben auch zum Laden an die Tankstelle, die ihn per Flottenkarte gebunden hat. Und aufgrund der längeren Verweildauer wird auch mehr konsumiert als beim jetzigen rund zweiminütigen Tankprozess. Da hat eine A-Marke einen Vorteil, denn zur B-Marke fahren in erster Linie Privatpersonen, weil dort der Sprit eben ein paar Cent günstiger ist. Warum sollen sie denn zum Laden dorthin fahren? Frau Müller oder Herr Maier laden zuhause. Oder beim Arbeitgeber in der Tiefgarage.

Entscheidend sind also die Flottenkunden?

Für den Erfolg der Elektromobilität an der Tankstelle ist diese Kundengruppe eindeutig ein wichtiger Baustein. Spannend wird ebenso die Entwicklung der Elektromobilität für Fleet-Flotten im gewerblichen Bereich. Aktuell sehen wir eine positive Entwicklung im Bereich Truck-Charge und planen für Kunden hier bereits die ersten Ladehubs. Aktuell nutzen die Fleet-Kunden natürlich vorrangig alle weiteren Antriebsstoffe.

Welcher Treibstoff wird stattdessen im Gewerbe genutzt?

Neben dem klassischen Diesel werden vor allem flüssige Gase wie LNG getankt. Aber auch Wasserstoff spielt hier eine Rolle. Und natürlich könnte zukünftig das Tanken von HVO einen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Im Bereich Truck-Charge sehe ich noch eine weitere sehr interessante Einsatzmöglichkeit, nämlich im Bereich der Kühllaster.

Wie das?

Waren Sie schon mal nachts an einer Raststätte, an der Kühllaster parken? Wenn die Kühlung mit Diesel läuft? Das ist ein Lärm, Gestank und CO2-Verbrauch ohnegleichen. Hier würde eine Elektrifizierung helfen, CO2 zu reduzieren. Ich glaube fest daran, dass auch der Bereich Truck-Charge sich weiter entwickeln wird, im Wettbewerb mit allen anderen Antriebsstoffen. Welche Energieform sich durchsetzen wird, bleibt aus meiner Sicht aktuell offen.

TSG ist international tätig. Welchen Stellenwert hat Deutschland für Ihr Unternehmen?

Deutschland ist für TSG genauso wie für unsere Kunden absoluter Fokus-Markt. Die größten Netze, die wir instandhalten dürfen, befinden sich in Deutschland. Lange war Frankreich das größte Land innerhalb der TSG Gruppe, aber Deutschland hat Frankreich eingeholt.

Was bedeutet das konkret für Tankstellenbetreiber?

Wir bieten hier mehr Dienstleistungen als in allen anderen europäischen Ländern. Wir betreuen für unsere Kunden zum Beispiel auch die Gebäudetechnik, vorwiegend den Bereich der Kältetechnik. Rund 250 Mitarbeiter beschäftigen sich mit Kälte- und Klimatechnik. Übrigens nicht nur in Tankstellen, sondern auch für die Gewerbekälte von Kaufland, Edeka und viele anderen. TSG ist hier sehr breit aufgestellt, um für unsere Kunden einen Mehrwert liefern zu können.

Vermutlich beschäftigen Ihre Kunden in diesem Bereich vor allem die Energiekosten.

Absolut, ja. Kälte- und Klimatechnik ist stromgeführt und somit ein großer Kostentreiber.

Welche Lösung bietet TSG diesbezüglich?

Unsere Ingenieure haben zum Beispiel für zentrale Kühlläger eine Anlage entwickelt, die Propan als Kältemittel nutzt. Normalerweise nutzt man hierfür Ammoniak. Da hat man aber einen viel höheren Stromverbrauch. Propan ist eine sehr gute Alternative.
Eine weitere Einsparmöglichkeit für Tankstellen ist der nachträgliche Verschluss von offenen Wandkühlregalen, sofern diese ihren Lebenszyklus noch nicht erreicht haben. Hier durfte TSG bereits einige hundert Stationen für diverse Tankstellenbetreiber entsprechend umbauen.

Wie viel Energie kann dank Türen eingespart werden?

65 Prozent. Jeder Tankstellenbetreiber weiß, was für einen gigantischen Stromverbrauch ein Kühlregal hat. Die Amortisationszeiten liegen unter eins! Das heißt, in nicht mal einem Jahr amortisieren sich die Kosten für die nachträgliche Türenmontage.

Für Tankstellenbetreiber sind also mitunter die Energiekosten eine der größten Herausforderungen. Und für TSG selbst?

Wir haben natürlich einen hohen Aufwand, die richtigen Leute an die richtige Stelle zu bekommen.

Also der Fachkräftemangel?

Nein, so würde ich das gar nicht nennen. Wir haben die Art der Rekrutierung vor einiger Zeit umgestellt, setzen auf social media gezielte Kampagnen und bekommen dadurch mehr Bewerber als vorher. Das Problem ist - vor allem in der Tanktechnik - eher, dass man keine fertig ausgebildeten Leute findet. Wir stellen also beispielsweise einen Mechatroniker ein, der nach frühestens einem Jahr selbstständig arbeiten kann. In anderen Bereichen ist das einfacher. Wenn wir zum Beispiel einen Mechatroniker für Kältetechnik einstellen, kann der die Arbeit vom ersten Tag an. Tanktechnik ist aber kein Ausbildungsberuf, hier müssen wir die Leute erst selbst ausbilden. Die Herausforderung ist also weniger das Finden, sondern eher das Qualifizieren und Trainieren.

Viele Unternehmen beklagen auch das Problem der Überalterung und dass die "Alten" viel Wissen mitnehmen, wenn sie gehen.

Natürlich, das ist eine Tatsache. Wir sind aufgefordert, Ersatz zu finden, den Nachwuchs entsprechend zu trainieren und speziell auf dem Gebiet der Tanktechnik zu spezialisieren. Ich denke, hier hilft uns die Bandbreite, die TSG bietet. Wir besetzen die modernen Themen. Wer will denn schon bei Wind und Wetter eine ölige Tanksäule auseinanderschrauben? Das wirkt nicht gerade attraktiv für potenzielle Mitarbeiter und ist ja auch bei weitem nicht die einzige Aufgabe eines Tanktechnikers! Wir müssen zeigen, wie vielfältig der Job des Tanktechnikers ist.

Wie sichert TSG die Materialversorgung?

Wir haben dafür ein eigenes Zentrallager, aus dem wir unsere Techniker vorsorgen. Alles, was ein Servicetechniker bis 16 Uhr bestellt, bekommt er in der Nacht für den Folgetag direkt in sein Fahrzeug geliefert.

Wie viele Techniker sind in Deutschland für TSG unterwegs?

Rund 800 Techniker, davon ungefähr 500 Techniker allein im Tanktechnik-Bereich. Für diesen Bereich ist unser Zentrallager immens wichtig.

Weshalb ist das eigene Zentrallager so wichtig?

Weil es für Tanktechnik keinen Großhandel gibt. Für Gebäudetechnik gibt es zum Beispiel allein im deutschen Großhandel über 1.000 Läger. In der Tanktechnik gibt es so etwas nicht, das ist eine Nische. Deshalb haben wir das selbst organisiert. Wir haben mittlerweile eine eigene Reparatur-Strecke aufgebaut. Defekte Teile werden hier repariert, aufbereitet, gereinigt, geprüft. Sodann gehen sie als Ersatzteile wieder in den Austauschzyklus.
Auch das Bedienen der Kundenanforderungen im Bereich der E-Mobilität bringt ganz neue Herausforderungen mit sich. Der Planungsprozess, die Genehmigungsverfahren, Netzversorgeranschlüsse, Installation und Inbetriebnahme von Trafoanlagen. Tankstellenbetreiber haben trotz aller bürokratischen Hürden sehr viele Projekte in der Pipeline, sie wollen sehr viele Standorte – von der kleinen Tankstelle bis zum Mobilitätshub - mit Ladesäulen ausstatten. Das Thema ist mittlerweile so umfangreich geworden, das ist schon zeit- und arbeitsintensiv.

Was steht bei TSG konkret im laufenden Jahr noch an?

Das ist das Thema PV-Anlagen. In anderen Ländern ist TSG auf diesem Gebiet sehr aktiv, baut sehr viele Anlagen. TSG ist ein etablierter Anbieter, von Engineering bis hin zu Beschaffung und Installation von Freiflächen- und Dachanlagen. In Deutschland haben wir mit dem PV-Ausbau gerade erst angefangen und das in eine Organisationsstruktur zu überführen, ist schon eine große Herausforderung.

Außerdem ist es nicht ohne weiteres möglich, auf ein beliebiges Dach, ob das des Forecourts oder des Tankstellengebäudes, mit PV-Modulen auszustatten. Das mag in der Theorie schön klingen. In der Praxis ist es das aber nicht.

Warum?

Das Problem ist die Statik. Das Dach des Shops ist außerdem in der Regel zu klein. Wie viele Module haben denn dort Platz? Eine Tankstelle ist kein Supermarkt. Die Fläche ist kaum der Rede wert. Also schauen wir uns das Dach über dem Tankfeld an. Allerdings muss erst ein Statiker berechnen, ob das Dach PV tragen kann, im wahrsten Sinne des Wortes.

TSG ist wirklich sehr breit aufgestellt und kann flexibel auf die Marktanforderungen reagieren. Wagen Sie eine Prognose, wie der Energiemix der Zukunft aufgeteilt sein wird?

Nein, garantiert nicht! Das kann niemand vorhersagen. Da spielen so viele Themen mit rein. Nehmen Sie zum Beispiel LNG. Das war ein richtiger Hype. Mit dem Einfall Russlands in die Ukraine ist der Gaspreis enorm gestiegen und das Thema LNG ist abrupt zum Stillstand gekommen. Mittlerweile ist es wieder andersherum: LNG ist so günstig wie nie, plötzlich fusionieren Standorte, und der Markt für LNG entwickelt sich weiter.
Wo ich persönlich jedoch keine Berechtigung in der individuellen Mobilität sehe, ist Wasserstoff. In der Industrie ja. Aber für private Fahrzeuge? Nein. Da ist auch gar keine Marktnachfrage da. Neu ist das Thema ja nicht. Die Brennstoffzelle wurde nicht erst gestern erfunden und trotzdem haben wir noch immer einen Hauch von Pioniergeist.
Im Bereich der individuellen Mobilität werden sicherlich die E-Fuels kommen und HVO. Die Raffinerien stellen sich darauf ein, die ersten HVO-Bestellungen können kommen. Und hierbei scheint es, als ob die Mittelständler schon etwas weiter sind als manch Großer ...
Und was eben bleibt, ist, wie schon erwähnt, die Elektromobilität. Hier wird im Bereich der Akkuleistung noch einiges passieren. Dazu noch ein attraktiver Strompreis und es läuft.
Sicher ist: Es wird für jede Fasson etwas dabei sein. Und das ist final ja auch für TSG sehr schön, denn die Arbeit geht uns nicht aus *lacht*.

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