Um die Zeitreise perfekt zu machen, fehlt nur eines: Ein freundlich lächelnder Herr in grauer Uniform und Schirmmütze mit rotem Gasolin-Logo, der angelehnt an die rot-weiße Zapfsäule auf den nächsten Kunden wartet. Bei Regen würde der Tankwart Schutz in dem verglasten Häuschen suchen, das zwischen Zapfsäule und Ölkabinett auf einem erhöhten Sockel steht.
Auch wenn die Szenerie wie aus den frühen 50er Jahren wirkt, befinden wir uns im Jahr 2016. Und was wie eine funktionierende Tankstelle aussieht, ist eine Rekonstruktion – getankt werden kann hier nicht. Verborgenes Schmuckstück Schöpfer dieses Sprungs in die Vergangenheit ist Oldtimerfan und Sammler Fritz Schmidt junior, der das Tankwarthäuschen im Herbst 2013 zweckentfremdet als Gewächshaus im Garten eines Bekannten im Westerwald entdeckte. „Da musste man schon eine gewisse Vorstellungskraft haben, um das Potenzial zu sehen“, erinnert sich der Rüsselsheimer. Die hatte er.
Schmidt kaufte das Häuschen und wollte es zuerst in die eigene Garage stellen. „Dann habe ich aber einsehen müssen, dass die Idee räumlich und finanziell meinen Rahmen sprengt“, gesteht der studierte Maschinenbauer. Mit seiner Begeisterung und dem Wunsch, das Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, konnte er aber Dieter Dressel anstecken. Dieser hat 2007 zusammen mit anderen Oldtimerfans das Central-Garage Automuseum in Bad Homburg nördlich von Frankfurt gegründet. Er sah das Häuschen als perfekte Ergänzung für den Außenbereich des Museums, in dem auf rund 670 Quadratmetern Oldtimer und Youngtimer im Mittelpunkt stehen, aber auch einige Zapfsäulen zu bestaunen sind.
Gemeinsam mit freiwilligen Helfern hauchte Schmidt dem Häuschen neues Leben ein und sanierte es aufwendig in zweijähriger Arbeit. Dabei orientierten sie sich an historischen Fotos, um das Gebäude in einen möglichst authentischen Zustand zu bringen. „Wir haben das Häuschen so hergerichtet, wie es tatsächlich hätte sein können“, berichtet Schmidt stolz.
In der Zeit stehengeblieben Das Tankwarthäuschen ist deshalb auch in seinem Inneren natürlich nicht leer geblieben: Auf dem roten Tisch stehen eine blaue Registrierkasse, daneben ein schwarzes Telefon, ein Gasolin-Abrechnungsblock sowie eine leere Tasse Kaffee und eine angerauchte Zigarre im Aschenbecher. Eben genau so, als hätte bis vor einer halben Minute noch ein Tankwart Schutz vor Wind und Wetter in dem Glasgebäude gesucht und wäre nur kurz raus, um einen Kunden auf dem Tankfeld zu bedienen.
Passend zu dem Häuschen und der Zapfsäule hat Schmidt außerdem ein Ölkabinett aus den 50er Jahren in Kaiserslautern gefunden. „Es gibt eine Fotografie davon aus den 50er Jahren, die einen Mann mit einem kleinen Jungen neben dem Ölkabinett zeigt. Und dieser Junge ist jetzt erwachsen und hat mir das Teil verkauft“, erzählt er. Als die historische Tankstelle im Mai 2015 eröffnete, kam deshalb natürlich auch der ursprüngliche Besitzer, um seine Kostbarkeit in der neuen Umgebung zu sehen.
Kein Haufen Schrott
Nicht nur das Tankwarthäuschen samt Zapfsäule und Ölkabinett ist einen Besuch wert. Hinter der Anlage entstand außerdem der Nachbau einer Werkstatt. In dem Steingebäude befinden sich neben einer Werkbank und dem Werkzeug auch Ölfässer und sogar ein altes Motorrad und ein Oldtimer. „Die Leute fragen uns immer, was wir mit dem alten Schrott wollen. Wenn man die Sachen aber richtig inszeniert, dann wirkt das Ganze und ist eben kein Haufen Schrott mehr“, ist Dressel überzeugt.
Und es kommen regelmäßig neue Sachen wie alte Öldosen oder ein Kartenspiel mit dem Logo von Gasolin dazu. „Wir haben immer mal wieder Besucher, die irgendetwas im Keller finden und es uns vorbeibringen“, sagt Dressel. Zudem findet auch Schmidt, der seit sechs Jahren hauptberuflich seltene Artefakte der Automobilgeschichte sammelt, neue Stücke auf Oldtimermärkten. „Das ist das Schöne, dass dieser Ort immer weiterlebt und sich weiterentwickelt“, sind sich die beiden Sammler einig.
(Der Artikel erschien in Ausgabe 7 von Sprit+; Autor: Annika Beyer)