Mitte August 2019 haben 180 US-amerikanische Konzernchefs, von Apple über Pepsi bis Amazon, als Mitglieder der Lobbygruppe Business Roundtable ein Schreiben veröffentlicht, das die Rolle der Wirtschaft für die Gesellschaft neu definieren sollte. Darin fordern sie die Abkehr vom sogenannten Shareholder-Value-Ansatz, also der Vorstellung, dass die Unternehmensleitung im Sinne der Anteilseigner handeln muss. Noch im Jahr 1997 hatte eben diese Lobbygruppe das als Vorgabe veröffentlicht.
Stattdessen spricht sich die Runde aus prominenten Unternehmen nun für einen Stakeholder Value aus, will also zusätzlich in ihre Angestellten investieren, die Umwelt schützen und mit den Zulieferern fair zusammenarbeiten. In dem Statement verpflichten sich die Vorstandsvorsitzenden, zum Vorteil aller Interessengruppen zu handeln, für den zukünftigen Erfolg der Unternehmen, der Gemeinschaften und des Landes. Damit entsprechen die Konzernchefs dem aktuellen Zeitgeist. Hohe Managergehälter, nicht gezahlte Unternehmenssteuern und Gewinne ohne Rücksicht auf die Umwelt stehen zunehmend öffentlich in der Kritik. Dagegen spielt Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle. Eine Wirtschaftsweise gilt dann als nachhaltig, wenn sie langfristig betrieben werden kann.
Eine neue Philosophie
Aktuell ist die Wirtschaftsweise jedoch alles andere als nachhaltig, finden nicht nur die Bosse aus den USA. Auch Sandro Megerle, Senior Innovation Analyse bei Trendone, ist überzeugt: „Die rein ökonomische Perspektive führt langfristig nicht zum Erfolg. In Zukunft werden Unternehmen, die nicht ökologisch handeln, ins Hintertreffen geraten gegenüber Unternehmen, die das offensiv tun.“ Megerle führt diese These zurück auf einen Wandel vor allem bei der jüngeren Generation. Dieser sei viel stärker bewusst, dass heutiges Handeln langfristige Auswirkungen habe – ein Grundgedanke der Nachhaltigkeit.
Für die Mineralölbranche leitet der Trendforscher aus diesem Wandel zwei Konsequenzen ab, die die Zapfsäule und den Shop betreffen und deren Umsetzung vor allem von der Unternehmensgröße abhängt. Zum einen müsse die Branche weg von fossilen Kraftstoffen hin zu alternativen Kraftstoffen kommen. Für größere Unternehmen ist der Weg als Investor denkbar: Junge Start-up-Unternehmen zu unterstützen, diese außerhalb der Organisation operieren zu lassen und die Kenntnisse für den eigenen Geschäftsbetrieb zu berücksichtigen. Die großen Mineralölgesellschaften beteiligen sich bereits derart an neuen Technologien, erklärt Megerle, doch: „Man muss sie dann auch als strategische Vision umsetzen und nicht nur als Greenwashing einmal im Jahr im Nachhaltigkeitsbericht verankern. Das muss ein Toppoint auf der Agenda werden.“
Alternativen wie Biokraftstoffe, die bereits eingesetzt werden, hält der Experte aber nicht für eine langfristige Lösung, da deren Ausgangsstoffe wie Raps oder Mais in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion stehen.
Nachhaltiger Shop
Einzelbetreiber sind im Gegensatz zu großen MÖG davon abhängig, was ihnen als Kraftstoff angeboten wird. Diese könnten lediglich entsprechende Anfragen stellen, dass sie sich ökologisch positionieren möchten. Leichter ist es für sie, Nachhaltigkeit im Shop umzusetzen. „Welche Angebote ein Tankstellenbetreiber im Shop macht, liegt mehr in seiner direkten Einflusssphäre als das Kraftstoffangebot“, erläutert Megerle. Mit einem klimaneutralen oder zumindest umweltschonenden Sortiment erreiche man junge, moderne Kundengruppen und könne das auch in der Außendarstellung entsprechend nutzen.
„Bei Kiosken und Convenience Stores sehen wir schon auf breiter Front, dass sich etwas ändert“, betont Megerle. Es gäbe verpackungsfreie Supermärkte, Hersteller, die auf reduzierte Verpackung setzen, klimaneutrale Produkte oder Angebote wie den Beyond-meat-Burger, dessen Herstellung 90 Prozent weniger Emissionen freisetzt.
Der Mensch als Gewohnheitstier
Weder im Sortiment noch in der Außendarstellung sollte man aber vergessen, dass es weiterhin die Bestandskunden gibt. Nach dem Motto „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ möchten diese ihre üblichen und liebgewonnenen Produkte kaufen können. Man sollte das Sortiment so erweitern, dass der Kunde die Option hat, sich für eine Alternative entscheiden zu können – wenn er denn will. Dagegen warnt Megerle davor, Veränderungen zu verschlafen.
Der Trendforscher zieht den Vergleich zur Politik, wo die Stammwähler vieler großer Parteien weniger werden. „Die Parteien, die von ihnen profitiert haben, merken nun, dass sich etwas geändert hat. Wenn sie nicht handeln, dann haben sie in Zukunft keine Wähler mehr.“ Das ließe sich nicht eins zu eins, aber doch ähnlich auf Unternehmen übertragen. „Wenn ich mich heute nicht entsprechend positioniere, ist der Future Customer nicht mein Kunde, sondern der meines Mitbewerbers, der sich rechtzeitig adaptiert hat.“
(Autorin: Julia Richthammer; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 10./11.2019.)