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Tankstellennetz in Deutschland: Das Damokles-Messer

01.04.2016 10:00 Uhr
Tankstellennetz in Deutschland: Das Damokles-Messer
Große wie kleine Mineralölgesellschaften tummeln sich auf dem deutschen Tankstellenmarkt. Sprit+ verraten sie ihre Strategie für 2016.
© Foto: [M] Spielfiguren: djama/Fotolia; Zapfsäule: piai/Fotolia

Sprit+ hörte sich bei den wichtigsten MÖG im Markt um: Priorität hat im Jahr 2016 die Imagepflege – sowohl nach außen als auch nach innen.

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Das Damokles-Schwert, das viele Experten über der Tankstellenbranche schweben sahen, ist nicht hinabgestürzt. Und wenn, dann war die Gefahr Mindestlohn höchstens ein stumpfes Damokles-Messer, das einzelne Tankstellenbetreiber verwundete, aber nicht lebensgefährlich verletzte. Hinter vorgehaltener Hand raunen Verbandsvertreter, manche Gesellschaften seien den Hilfesuchenden in Einzelfällen zur Seite geeilt. Wie dem auch sei: Auch die Gefahr, die durch die Einführung des Mindestlohngesetzes Anfang 2015 ausging, vermochte es nicht, ein Tankstellensterben in Deutschland auszulösen.

Im gesamten Bundesgebiet zählte der Energie Informationsdienst (EID) zum Jahresbeginn 14.531 Tankstellen. Der Schrumpfungsprozess scheint damit allmählich abzuflachen. Gegenüber dem Vorjahr existieren, wenn man die Neubauten und Schließungen gegenrechnet, gerade einmal 31 Stationen weniger. In den Vorjahren war das Netz noch um 40 bis 55 Tankstellen geschrumpft. Der Kfz-Verband Baden-
Württemberg weist jedoch darauf hin, dass die EID-Statistik nicht alle Tankstellen erfasst: „Denn das Bundeskartellamt registrierte erst im vergangenen Dezember, dass inzwischen 14.650 Tankstellen ihre Kraftstoffpreise an die Markttransparenzstelle melden.“ Hinzu kämen noch die Stationen, die einen Befreiungsantrag gestellt haben.

Auch wenn derlei absolute Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind: Von den 2.000 Schließungen, die ein Mehrfachbetreiber einer mittelständischen Tankstellenkette prognostiziert hatte (tankstellen markt 1./2.2015), ist der Markt weit entfernt. Dass das deutsche Tankstellennetz nicht so dramatisch abnahm wie befürchtet, lag mitunter an den extrem niedrigen Kraftstoffpreisen. Der durchschnittliche Preis für einen Liter Superbenzin (E5) betrug laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr 1,39 Euro und erreichte damit ein Niveau wie seit sechs Jahren nicht mehr. Im Rekordjahr 2012 musste der Verbraucher noch 1,65 Euro für einen Liter bezahlen, seither ist der Preis Jahr für Jahr rückläufig. Beim Dieselkraftstoff beträgt der Unterschied zu 2012 sogar eine Differenz von knapp 32 Cent pro Liter, von damals 1,49 Euro sank der Preis auf 1,17 Euro.

Angesichts des anhaltenden Preisverfalls hatten viele Experten mit größeren Kraftstoffverkäufen gerechnet. „Auch ich bin einigermaßen überrascht, dass sich die Absatzzahlen im gesamten Markt ob der günstigen Kraftstoffverkäufe nicht besser entwickelt haben“, gestand Carsten Pohl, Geschäftsführer Deutsche Tamoil, in einem EID-Interview. Gerade bei den Ottokraftstoffen stellte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einen leichten Rückgang von 18,53 auf 18,26 Millionen Tonnen fest; das entspricht einem Rückgang von 1,4 Prozent. In stärkerem Maße legten jedoch die Dieselkraftstoffe zu, nämlich um 4,0 Prozent auf 37 Millionen Tonnen. Sowohl bei Benzin als auch bei Diesel verzeichnete das BAFA starke Rückgänge (minus 4,5 beziehungsweise minus 7,3 Prozent) bei den Bioanteilen an den Kraftstoffen.

Noch erfreuter als die insgesamt gestiegenen Kraftstoffabsätze nahmen alle von Sprit+ befragten Mineralölgesellschaften zur Kenntnis, dass sich im vergangenen Jahr das Shop- und Waschgeschäft prächtig entwickelt habe. So frohlockte beispielsweise Andre Stracke, Tankstellenleiter von Westfalen: „Das vergangene Jahr erwies sich im Shop- und Bistrogeschäft als umsatzstärkstes der Unternehmens-
geschichte. Auch das Waschgeschäft entwickelte sich beachtlich.“

Während für Letzteres günstige Wetterverhältnisse im Jahr 2015 als Grund genannt werden, führen Branchenexperten die Entwicklung des Shopgeschäfts auf unterschiedliche Theorien zurück. Während der EID mutmaßt, dass die niedrigen Kraftstoffpreise Kunden ermutigten, im Shop mehr Geld auszugeben, könnten auch die allgemein gute Konjunktur und die erhöhte Kaufkraft der Kunden im vergangenen Jahr ihren Teil dazu beigetragen haben. Der Zentralverband des Tankstellengewerbes (ZTG) vertritt die These, dass das Umsatzwachstum eher auf Preiserhöhungen im Shop zurückzuführen ist. Viele Verbände hatten ihren Mitgliedern zu Jahresbeginn nahegelegt, die Mehrbelastung durch den Mindestlohn abzufedern, indem die Preise für Shopprodukte angepasst werden. Die Erhöhungen haben die Kunden dem Vernehmen nach akzeptiert.

Kraftstoffpreis-Paradoxon

Im Shop zeigen Tankstellenkunden demzufolge erstaunlicherweise nicht dieselbe Preissensibilität wie draußen an der Zapfsäule. Während die MÖG auch deshalb mehrmals am Tag die Preise heben und senken, weil Kunden offensichtlich bereit sind, wegen weniger Cents eine andere Tankstelle anzusteuern, gilt das nicht für den Shop. Das vergangene Jahr bestätigte dabei wieder das Kraftstoffpreis-Paradoxon: Je niedriger die Kraftstoffpreise, desto weniger stark achten Autofahrer auf die Preise, obwohl die Unterschiede relativ betrachtet größer sind. Höhere Preise kommen also eher kleineren Gesellschaften und freien Tankstellen zugute, niedrige Preise den A-Gesellschaften. „Aral hat von dem im Vergleich zu den Vorjahren niedrigeren Kraftstoffpreisniveau profitiert“, konstatiert Detlef Brandenburg, Pressesprecher bei BP Europa.

Der Mineralölabsatz ist für die Gesellschaften nach wie vor wichtig; das geht aus den Antworten hervor. Schließlich sorgt er dafür, dass die Kunden an die Station kommen. Doch bei einem absehbaren strukturellen Rückgang der fossilen Kraftstoffe sind die Bemühungen der MÖG verständlich, das bestehende Netz zu optimieren.

Diesen ersten Schritt der Konsolidierung hat Shell den Angaben von Pressesprecherin Cornelia Wolber zufolge 2015 abgeschlossen. Die mit 1.957 Stationen zweitgrößte Marke im deutschen Markt hat dazu einige Stationen auf die Marken der Tochtergesellschaft Rheinland Kraftstoff umfirmiert und andere auf Markenpartner übertragen. Saldiert sind es damit 18 Straßen-Tankstellen weniger als im Vorjahr. Der zweite Schritt, nämlich die Modernisierung, ist bei Shell in vollem Gange: In die Top-Standorte will das Unternehmen in großzügige Shops, LED-Technik, neueste Tanktechnik und modernste Waschanlagen investieren.

Neben der Modernisierung arbeitet man in der „Phase zwei unserer Runderneuerung“ laut Wolber daran, die Marke klarer zu positionieren. Beliebtheit beim Kunden und bei den Tankstellenpartnern soll das Ziel sein. Für Besserung soll ein neuer Vertrag sorgen, den Shell mit seinen Partnern ausgehandelt hat und mit dem die überwiegende Zahl seit 1. Januar 2016 arbeitet. „Der Vertrag, den wir mit den Tankstellenverbänden besprochen haben, enthält ein faireres und leistungsgerechteres Geschäftsmodell, das Wachstum, wie zum Beispiel im Shopgeschäft, klar belohnt“, führt Wolber aus.

Auch die Orlen-Tankstellen der Marke Star wollen die Partnerschaft mit den Pächtern, die 83 Prozent der Tankstellen betreiben, durch einen neuen Vertrag stärken. „Hierin wurden der Verhaltenskodex berücksichtigt und Anregungen unserer Partner umgesetzt, die das Unternehmen durch eine Partnerbefragung ermittelt hat“, erklärt der Geschäftsführer der Star-Tankstellen, Wieslaw Milkiewicz.

Kampf um Beliebtheit

Sein Netz ist vor allem durch die Akquise von 13 Sun-Tankstellen im Berliner Raum stark gewachsen. In den kommenden Jahren werde das Unternehmen die Expansion in Richtung Süden forcieren. Nötig hierfür sei, die Marke bekannter zu machen. Gelingen kann dies in einem gesättigten Markt, indem man wie viele andere MÖG darauf baut, bei den Kunden beliebt zu sein. Bei der Auszeichnung „Marke des Jahres 2015“, die das Marktforschungsunternehmen YouGov gemeinsam mit dem Handelsblatt vergab, landete Star unter den fünf besten von deutschen Verbrauchern bewerteten Marken. Platz eins ging an Seriensieger Jet, der sich vor HEM, Aral, Star und den BFT-Tankstellen behauptete. „Wir arbeiten daran, die beliebteste Tankstellenmarke Deutschlands zu werden“, kündigt Milkiewicz an.

Zufriedenheit beim Kunden ist natürlich auch Branchenprimus Aral wichtig, der sein Netz um 23 Stationen netto verkleinerte. Auf kundenseitiges Wohlwollen stieß in jedem Fall das Vertriebsformat „Rewe to go“, das Aral zwei Jahre lang an zehn Stationen testete. Anfang März gaben Aral und Rewe bekannt, die Zusammenarbeit in den kommenden Jahren auf bis zu 1.000 firmeneigene Stationen auszuweiten. Der Umsatz an den Pilotstationen sei über alle Warengruppen hinweg deutlich gestiegen. Das Plus resultiere aus der höheren Einkaufsfrequenz der einzelnen Kunden, größeren Warenkörben pro Shopbesuch und neuen Kundensegmenten. Patrick Wendeler, Vorstandsvorsitzender von Aral, sagt: „Die Zeit ist reif für die nächste große Evolution im Shopgeschäft.“ 50 Stationen sollen dieses Jahr noch, 200 weitere 2017 umgerüstet werden.

Total wächst unaufhaltsam

Weiterhin auf rasantem Wachstum befindet sich Total. Eigenen Angaben zufolge baute der französische Konzern sein Tankstellennetz seit 2012 um rund 140 Stationen auf 1.178 Stationen aus. Im vergangenen Jahr kamen 22 neu gewonnene Partnerstationen mit mittelständischen Unternehmen und neun Neubauten hinzu, die vor allem in wirtschaftlich starken Regionen in den südlichen Bundesländern und im Nordwesten liegen. Dort ist Total nicht so stark vertreten wie in der ehemaligen DDR, wo man als Nachfolgerin von Elf Aquitaine das Erbe von Minol antrat. Im Interview bekräftigte Tankstellendirektor Guillaume Larroque das Ziel, bis 2018 auf einen Marktanteil von zehn Prozent zu kommen.

Dieses Ziel hat Esso offenbar nicht. Auf Nachfrage spricht Rainer Bogner, Leiter des Tankstellengeschäfts, von selektivem Wachstum, denn viele gute Standorte seien bereits besetzt. Im schwierigen deutschen Markt, der „durch einen sehr scharfen Wettbewerb gekennzeichnet ist, der in einigen Aspekten in Europa einmalig ist“, sei man glücklich, zum größten Mineralölunternehmen der Welt zu gehören. Durch Investitionen in die Raffinerien Antwerpen und Rotterdam sei man in der Lage, den marktgerechten Produktemix zu verbessern und die Versorgung zu sichern.

Das fünftgrößte Netz an Farbentankstellen gehört weiterhin der Avia, die 2015 auf eine solide Erweiterung des Netzes Wert legte. Ein Coup ist der Gruppe mit einer Kartenakzeptanz-Allianz gelungen. Seit November nehmen alle 260 Westfalen-Stationen die Aviacard an, die Akzeptanz der Westfalen Service Card an Avia-Tankstellen stehe unmittelbar bevor. „Die Stärkung unseres Tankkartensystems wird seit Jahren sehr intensiv von uns betrieben“, sagt Josef Grünbeger, Prokurist bei Avia.

Weiterhin einen Unterschied im Tankstellenmarkt möchte Jet machen. Dazu will das für seine Preispolitik bekannte Unternehmen seinem Markenversprechen treu bleiben, weniger Preisänderungen und -schwankungen am Tag als die Konkurrenz vorzunehmen. So wolle man sich die Beliebtheit beim Kunden sichern. Hinsichtlich der internen Zufriedenheit möchte Jet von seinen Pächtern als verlässlicher und fairer Partner wahrgenommen werden. „Dazu zählt auch, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die ein wettbewerbsfähiges Einkommen ermöglichen“, ist sich Jörg Biermann bewusst. Der Geschäftsführer des Tankstellengeschäfts habe im Austausch mit den Partnern erfahren, dass diese die Herangehensweise rund um den Mindestlohn „als wertvolle Unterstützung“ empfanden.

Die im süddeutschen Raum mit 300 Tankstellen vertretene OMV hatte sich für das Jahr 2015 zwei wichtige Ziele gesetzt: zum einen ein striktes Kostenmanagment, zum anderen das Premium-Angebot, vor allem im Waschgeschäft, konsequent auszubauen. Stolz ist Alois Walch, Leiter des Tankstellengeschäfts, auch auf den Maxx Motion Performance Diesel, der als Erster in Deutschland Winterschutz bis minus 40 Grad Celsius bieten soll.

Zu guter Letzt blickt Westfalen-Tankstellenleiter Stracke auf ein „sehr zufriedenstellendes Geschäftsjahr“ zurück. Nach diversen Branchen-Auszeichnungen für den ersten Drive-In-Schalter der Tankstelle in Münster „sehen wir uns unter anderem als Trendsetter in der Branche“. Wie bei Shell geht es Westfalen 2016 vor allem darum, die eigene Markenpräsenz zu steigern. Das Motto bis 2020: „Nah am Gast. Stark am Markt.“ Ein guter Slogan, denn in der Tankstellenbranche wird sich der Kampf um Anteile sicher nicht entspannen.

(Autor: Michael Simon; der Artikel erschien in Ausgabe 4.2016)

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