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Thinxnet: Henne-Ei-Problem gelöst

17.04.2020 12:00 Uhr
Thinxnet: Henne-Ei-Problem gelöst
Marcel Stürmer (Chief Marketing Officer, l.), Johannes Martens (Chief Executive Officer, M.) und Oliver Götz (Executive Chairman, r.) trafen sich mit Sprit+-Chefredakteurin Annika Beyer in den Münchener Büroräumen von Thinxnet zum Interview.
© Foto: Rocco Swantusch

Das Unternehmen Thinxnet will mit seinem Produkt Ryd nichts weniger als den Prozess an der Tankstelle verändern. Von ihrer Idee können Executive Chairman Oliver Götz und CEO Johannes Martens immer mehr Tankstellenunternehmer überzeugen.

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Sprit+: Das letzte Mal war ich im November 2015 für ein Interview bei Thinxnet. Um ehrlich zu sein: Nach dem Termin war ich skeptisch, ob sich das Angebot, damals noch unter dem Namen Tanktaler, auf dem Markt durchsetzen wird. Sie haben mich eines Besseren belehrt. Was ist in den vergangenen ­viereinhalb Jahren passiert?
Martens: Unser Ziel war und ist es, eine offene Plattform zu bauen, die Fahrer und Fahrzeughalter unterstützt. Das Bezahlen an der Zapfsäule hatten wir dabei von Anfang an auf unserer Roadmap. Aber wir standen vor einer klassischen Henne-Ei-Situation: Nutzer fragten nach, wie viele Tankstellen sich an unserem System beteiligen. Und die Tankstellen fragten wiederum danach, wie viele Nutzer wir haben. Beide Parteien haben also wechselseitig aufeinander gewartet. Wie haben wir das gelöst? In der Anfangsphase haben wir uns erst einmal darum gekümmert, wie wir die Nutzerzahlen steigern.

Wie haben Sie das gemacht?
Martens: Wir haben uns Partner gesucht, die gemeinsam mit uns eine Lösung auf den Markt bringen wollten, die dem Nutzer einen Mehrwert bietet. Beispiele für diese Partner sind Versicherungen und Werkstattketten, deren Angebote wir in unsere Ryd-App integriert haben. So haben wir nach und nach die Endkundenseite aufgebaut. Nachdem wir eine kritische Masse erreicht hatten, konnten wir in einer zweiten Phase zu den Tankstellenunternehmen gehen und sagen: Guckt mal, wir haben die Nutzer und wir haben darüber hinaus spannende Informationen über deren Fahrzeuge für euch wie beispielsweise die Tankfüllstände, die wir über einen OBD-Stecker aus dem Auto auslesen können. Damit wollten wir die Tankstellen davon überzeugen, dass das System im großen Stil funktioniert und dass sie dadurch zusätzlich Geschäft mit Neukunden generieren können.

War es schwer, die Mineralölunternehmen zu überzeugen?
Götz: Die Mineralölindustrie macht seit Jahrzehnten ihr Geschäft immer nach dem gleichen Muster und alles lief bisher sehr gut. Und dann kamen wir als Münchener Start-up mit unserer Ryd-App und einem neuen Ansatz, nicht nur im Shop, sondern auch an der Zapfsäule zu zahlen. An dieser Stelle war unsere Idee schon ein bisschen disruptiv. Neu war auch, dass wir den Unternehmen Informationen bieten konnten, die sie nicht hatten: Die Tankstelle hat bisher darauf gewartet, dass ein Auto an die Tankstelle kommt, wenn es getankt werden musste. Über den OBD-Stecker wissen wir nun, wann der Tank leer ist und können den Fahrer gezielt über Push-Nachrichten in der App an die teilnehmenden Stationen schicken. Die Betreiber sind also nicht mehr die Fischer, die ein Netz auswerfen und hoffen, dass die Kunden hängen bleiben. Sie werden zum Angler, der gezielt die Kunden über die App anspricht, die tanken müssen. Daneben können sie in der Ryd-App Zusatzservices bewerben wie Aktionen im Shop oder bei der Autowäsche.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie noch in der Anfangsphase?
Götz: Wir kannten am Anfang die technischen Hürden nicht, die wir überwinden mussten, damit man mit dem Smartphone an der Zapfsäule bezahlen kann. Da haben wir die Komplexität sicherlich etwas unterschätzt. Hier haben wir eng mit Kassensystemanbietern wie etwa Huth zusammengearbeitet, um das hinzubekommen. Inzwischen kooperieren wir mit allen namhaften Kassenherstellern in Deutschland: neben Huth mit Scheidt & Bachmann, Hectronic und neu auch mit Tokheim.

Sie haben das Henne-Ei-Problem angesprochen. Wie viele Leute sind aktuell bei Ryd angemeldet?
Götz: Wir wollen keine konkreten Zahlen ausplaudern. Aber so viel: In den vergangenen zwölf Monaten haben wir eine Explosion der Nutzerzahlen gesehen, auch deshalb, weil wir mit immer mehr Partnern zusammenarbeiten. Daher kann ich so viel verraten, dass wir mit unseren Partnern eine siebenstellige Zahl an Nutzern adressieren können. Das sind Leute, die die App wirklich regelmäßig öffnen, nicht nur fürs Tanken, sondern für alle Zwecke rund ums Auto. 

Sind das vor allem Nutzer der kostenfreien App-only-Variante oder der Ryd Box?
Martens: Indem wir Ryd Pay kostenfrei anbieten, gewinnen wir Nutzer für unseren Service und wollen sie darüber für die kostenpflichtige Ryd Box interessieren. Die Transformation dauert manchmal ein bisschen. Aber die Nutzer haben einen ein­fachen Einstieg. Sie merken, dass es eine tolle App ist und abonnieren oder kaufen dann die Box beziehungsweise lassen sie sich von einem Versicherer sponsern. Dieses Upselling klappt insgesamt sehr gut, weil wir dem Kunden erklären können, was der Mehrwert der Ryd Box ist. So freuen wir uns inzwischen über eine sechsstellige Zahl an Nutzern, die den OBD-Stecker haben.
Götz: Der eine besorgt sich die Box wegen des Fahrtenbuchs, der andere wegen des GPS-Trackings, der dritte wegen der Fehlerauslese. Aber mit dem Bezahlen an der Zapfsäule können wir viele für unsere ­Lösung begeistern. Das ist der eine Killerservice, denn tanken muss jeder.

Gibt es denn einen typischen Ryd-Nutzer, beispielsweise junge, digitale Kunden?
Martens: Das war am Anfang unsere These. Aber die Realität ist komplett anders. Unsere Nutzer sind auf alle Altersgruppen verteilt und wir sehen keine Unterschiede beim Geschlecht. Und wir werden nicht häufiger in der Stadt als auf dem Land genutzt. Das bestärkt uns darin, dass Ryd ein massentauglicher Service ist.

Ist eine Ausweitung auf Flottenkunden geplant?
Götz: Ja, ab sofort haben wir drei Business Units: Neben Ryd Pay und der Ryd Box arbeiten wir an Ryd Fleet, also einem Angebot rund um die Flotte. Wir  haben zum Beispiel für das Finanzamt ein finanzkonformes Fahrtenbuch entwickelt, das zertifiziert ist und alle rechtlichen Anforderungen wie beispielsweise die zehnjährige Aufbewahrungspflicht einhält. Das Paket werden wir im Rahmen von Ryd Fleet zu einem anderen Preis anbieten als die Ryd Box, weil es mehr Services enthält. Flottenkunden, die das Fahrtenbuch gar nicht brauchen, können sich aber auch weiterhin einfach nur für die Ryd-Box-Lösung oder auch nur für die kostenfreie App Ryd Pay entscheiden.
Martens: Entsprechend dieser neuen Strategie werden wir zudem den Customer Support in die drei Segmente aufteilen: Für Kunden, die eine Frage zum Bezahlen an der Tankstelle haben, für Kunden, die etwas zu Themen rund um den Stecker wissen wollen, und für die Firmenkunden.

Wie viele Zahlungen verzeichnen Sie denn mit Ryd Pay an der Tankstelle?
Götz: Die sind natürlich steigend, aber wir wollen auch hier keine konkreten Zahlen nennen. Wie viele Nutzer einmal in der Woche oder einmal im Monat über uns zahlen, hängt davon ab, wie schnell wir das Ryd-Akzeptanznetz ausbauen können. Wenn man nur wenige Tankstellen in seinem Gebiet findet, kann man den Service nicht oder nur selten nutzen. Daher hat es bei uns eine hohe Prio, die Tankstellen­anzahl nach oben zu bringen. Das gelingt in großen Schritten. Wir haben glück­licherweise – oder zugegeben auch über­raschenderweise – nach dem Uniti Cardsforum 2020 im Januar den ersten Anruf einer A-Gesellschaft bekommen, die mit uns reden wollte. Das war neu für uns. Wir sind eher mit der kreativen Idee von unten über die B- und C-Marken der Branche gewachsen. Mit dem Mittelstand kann man anders reden als mit großen Konzernen, weil sie meist schneller Entscheidungen fällen können.

Bei wie vielen Gesellschaften funktioniert Ryd ­aktuell?
Martens: Die Zahl wächst ständig. Aktuell funktioniert Ryd an etwa 500 Stationen von mehr als zehn Gesellschaften. Aber es sind schon einige Verträge für noch mehr Standorte unterschrieben, bei denen wir jetzt rasch ausrollen.
Götz: Die Zahl der Tankstellen wird ebenso wie die Zahl der Nutzer exponentiell steigen. Wir gehen davon aus, dass wir in Deutschland bis Ende des Jahres bei etwa 4.000 und in Europa bei 9.000 Stationen sind. Uns ist dabei aber nicht wichtig, alle Tankstellen mit Ryd zu vernetzen.
Martens: Deswegen sind die, die jetzt mit uns im Boot sind, im Vorteil, denn aufgrund der Exklusivität entscheiden sich die Kunden für ihre Station und nicht für den Wettbewerb, an dem Ryd Pay nicht funktioniert. Dann ändern wir nicht einfach nur bei den Bestandskunden das bestehende Zahlungsmittel, sondern bringen unseren Partnern neue Kunden.

Was muss ein Tankstellenunternehmer tun, um Teil des Akzeptanznetzes zu werden?
Martens: In der Regel fangen wir mit ein, zwei Teststationen an, an denen wir die Technik implementieren und testen. Dann sorgen wir natürlich dafür, dass das Tankstellenpersonal ausreichend geschult ist. Wenn das alles passt, rollen wir Ryd im ganzen Netz aus.

Inwiefern muss das Personal geschult werden?
Götz: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ursprünglich war unser System vollautomatisch, sodass das Kassenpersonal gar nicht mitbekommen hat, wenn jemand an der Zapfsäule gezahlt hat. Aber die Tankstellenmitarbeiter sind natürlich darin geschult, darauf zu achten, dass da nicht jemand tankt und einfach wegfährt. Deshalb haben wir den Prozess in der Software angepasst: Wenn jemand mobil bezahlt hat, dann wird das an der Kasse an der entsprechenden Zapfsäule über einen ­blauen Hinweis angezeigt. So weiß der Mitarbeiter, dass alles in Ordnung ist.

Gibt es eine Mindestanzahl an Tankstellen, wenn man Ryd im eigenen Netz einführen will?
Martens: Es ist die Stärke unseres Systems, dass es keine Mindest- und auch keine Maximalanzahl gibt. Vor einigen Wochen hatten wir beispielsweise einen sehr schönen Fall: Eine BFT-Tankstelle hat in der Presse von uns gelesen und fand die Idee super spannend. Sie haben mit uns telefoniert und wir haben abgefragt, welche Technik sie einsetzen. Weil sie die neueste Huth-Kasse installiert hatten, war das alles unproblematisch. Wir haben einen Standardkooperationsvertrag aufgesetzt, die Netzgröße angepasst und zwei Wochen nach dem ersten Anruf sind wir live gegangen.
Götz: Das ist natürlich der Idealfall. Damit das aber bei allen so reibungslos und schnell läuft, haben wir einen neuen Slogan ins Leben gerufen: Ryd Ready. Wir haben mit den bereits genannten Kassenherstellern eine Übereinkunft, dass unser System vorinstalliert ist und quasi nur noch über die Schnittstelle mit uns verbunden werden muss. Das hilft uns natürlich beim Ausrollen des Systems enorm, sodass wir nach der Vertragsunterzeichnung und Testphase schnell live gehen können.

Befürchtungen, dass die Umsätze im Shop sinken, wenn an der Zapfsäule gezahlt wird, haben sich nicht bestätigt?
Martens: Nein. Wir sehen an den Zahlen, dass manche Kunden mit unserem Service sogar länger an der Tankstelle verweilen, obwohl man das Gegenteil erwarten würde. Aber die Kunden tanken, bezahlen an der Säule und fahren dann auf den Parkplatz, um sich in Ruhe etwas im Shop zu kaufen. Früher hat der Kunde vielleicht nur schnell einen Coffee to go mitgenommen, wenn er an der Kasse gezahlt hat, weil er wusste, dass hinter ihm schon der nächste hupt. Jetzt kann er in Ruhe einen Kaffee und ein Croissant oder Brötchen bestellen und vielleicht sogar in der Tankstelle essen. Und das macht den Betreiber glücklich, weil seine Mitarbeiter genug Zeit haben für ein Upselling.

Und womit verdient Thinxnet Geld bei diesem ­Service?
Martens: Wir sind zum einen Zahlungsmittel und stellen sicher, dass die Tankstelle ihr Geld bekommt, auch wenn mal eine Lastschrift platzt. Dafür verlangen wir wie jeder Zahlungsdienstleister eine fixe Gebühr pro Transaktion. Außerdem ist Ryd ja eine Art Marketinginstrument und bringt unseren Partnern neue Kunden an die Tankstelle, sodass wir zudem eine nach Menge gestaffelte Gebühr auf die verkauften Liter nehmen. 
Götz: Für die technische Implementierung entstehen jedoch keine Kosten für den Tankstellenunternehmer: Wir machen die Tankstelle Ryd Ready, wenn die Stationein aktuelles Kassensystem unserer Partner hat, und die Kosten übernehmen wir. Wir verdienen also erst ab der ersten Tankfüllung.

Wenn man es genau nimmt, ist Ryd Pay ja nichts anderes als eine digitale Tankkarte. Schließen Sie deshalb Kooperationen mit anderen Tankkarten­anbietern aus?
Martens: Nein, wir sind offen für Kooperationen mit Tankkartenanbietern und haben Projekte mit großen Anbietern, denen wir helfen, ihre Tankkarte zu digita­lisieren und weitere Mehrwertservices einzubinden. Wir kooperieren aber auch mit einigen Gesellschaften, die ihre eigenen Tankkarten haben. Wir sehen uns nicht als klassischen Wettbewerber, wir sind ein En­abler. Wie stellen eine Programmierschnittstelle zwischen dem Kunden und unserem Service zur Verfügung, sodass das Bezahlen an der Zapfsäule möglich ist. Das haben wir beispielsweise bei der Bertha-App von Mercedes-Benz gemacht. Alle anderen ­Module in einer App wie ein Stationsfinder kommen vom Tankstellenunternehmen selbst. Wir bauen keine kompletten Apps, dafür gibt es genug Agenturen. Wir konzentrieren uns auf das, was wir am besten können.

Sie haben gesagt, dass Ryd Pay bis Ende 2020 in ­Europa an 9.000 Tankstellen möglich sein wird. Also liegt der Fokus auf der Internationalisierung?
Götz: Mit dem Einstieg von Daimler und Mastercard als Investoren mit einem Millionenbetrag im zweistelligen Bereich ist Ryd nicht mehr nur eine deutsche Lösung, sondern eine europäische. Das sind Weltkonzerne, die nicht nur ein bisschen Deutschland, ein bisschen Österreich und ein bisschen Schweiz machen wollen. Neben der DACH-Region wollen wir deshalb 2020 noch nach Belgien und die Niederlande, aber auch in Spanien und Portugal starten. Die Partnerlandschaft in diesen Ländern passt sehr gut zu unserer Lösung, weil die Nutzer digitaler denken als in Deutschland.

Bedeutet die Kooperation mit den beiden Partnern, dass Ryd nicht mit anderen Kreditkarten­anbietern oder Autoherstellern zusammenarbeiten darf?
Martens: Nein, als wir die Zusammenarbeit mit Mastercard angekündigt haben, haben wir ja parallel die Kooperation mit Paypal verkündet. Wir dürfen also weiterhin mit jedem Bezahlmedium und Automobilhersteller zusammenarbeiten und werden das tun, weil wir uns als neutrale Plattform verstehen.
Götz: Und diese Markenunabhängigkeit gilt eben auch für die Partnerschaften mit Tankstellenunternehmen. Keiner will auf seinem Handy 20 Apps von Mineralöl­gesellschaften installieren. Da hat es inzwischen ein Umdenken in der Branche gegeben, die erkannt hat, dass eine Plattformlösung mehr Sinn ergibt als zahlreiche Einzellösungen.

(Interview: Annika Beyer und Rocco Swantusch; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 4/2020.)

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