Nur noch etwa ein Prozent Benzol darf heute EU-weit in Motorbenzin enthalten sein. Der als toxisch, krebserregend und sogar erbgutverändernd geltende Stoff wird als sogenanntes Antiklopfmittel eingesetzt. Er verdampft schnell und ist deshalb an Tankstellen in einer höheren Konzentration in der Atemluft enthalten als an anderen Orten. Auch in den Kassen- und Verkaufsräumen der Tankstellen liegen Messwerte etwas höher.
Das hat jüngst eine Untersuchung des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ergeben. Demnach war bei zwölf von 40 Messungen in Tankstellen die Benzolbelastung in der Innenraumluft von Verkaufsräumen erhöht. Als Bewertungsgrundlage diente die Vorgabe des Bundesimmissionsschutzgesetzes von 5 μg/m³ Benzol, das quasi überall nachzuweisen ist. Es zeigte sich also bei rund 30 Prozent der Fälle, dass die Benzolbelastung über der allgemeinen Belastung der Bevölkerung liegen kann.
Genau diese Untersuchung hat eine neue Diskussion über die Beschäftigung von Schwangeren in den Verkaufsräumen von Tankstellen ausgelöst, auf die nun die Bundesländer reagiert haben. So wurde das Thema Mitte Mai unter Vorsitz Baden-Württembergs bei der Sitzung der Arbeitsgruppe sozialer und medizinischer Arbeitsschutz des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) in Stuttgart erörtert.
Die zuständigen Behörden der Länder einigten sich auf gemeinsame Vorgaben. Diese orientieren sich daran, was bisher bereits in einigen, aber nicht in allen Bundesländern Gültigkeit hatte: So besteht für die Tankstellenbetreiber eine Verpflichtung, die Benzolbelastung der Atemluft messen zu lassen, wenn schwangere Arbeitnehmerinnen in den Verkaufsräumen beschäftigt bleiben sollen. Nur wenn nachgewiesen ist, dass die Belastung nicht höher ist als 5 μg/m³, darf eine Weiterbeschäftigung erfolgen. Ansonsten gilt ein Beschäftigungsverbot.
Anderer Ausgangspunkt
Ansatzpunkt der Untersuchung in Bayern war es eigentlich, diese Messverpflichtung abzuschaffen. Andere Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Benzolbelastung in Verkaufsräumen von Tankstellen zurückgegangen sei. Doch Fehlanzeige: Der LASI wertet die Ergebnisse so, dass die Benzolbelastung in der Innenraumluft von Verkaufsräumen an Tankstellen aktuell und flächendeckend über dem Referenzwert für die Hintergrundbelastung der Allgemeinbevölkerung liegt. Das hätten auch ähnliche Untersuchungen in Baden-Württemberg ergeben, erklärt Arndt Oschmann, Sprecher des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg, das dem LASI in diesem Jahr vorsteht. Das Land Bayern zieht daraus den Schluss, dass die bisherige Messverpflichtung des Arbeitgebers nicht entfallen kann. Und diesen Vorgaben schließen sich nun auch die anderen Länder an.
Beschäftigungsverbot
Doch was bedeutet das im Umkehrschluss? Nach Aussage von Oschmann tritt das Beschäftigungsverbot dann in Kraft, wenn der Arbeitgeber keine Benzolmessung durchführt und somit nicht ausschließen kann, dass die Belastung höher ist als die der Allgemeinbevölkerung. „Eine werdende Mutter kann dann nicht am Kassenarbeitsplatz der Tankstelle weiterbeschäftigt werden. Der Arbeitgeber ist gehalten, der schwangeren Frau einen anderen geeigneten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Ist dies nicht möglich, muss er sie von der Arbeit freistellen“, erläutert der Ministeriumssprecher. Dann erhält die Arbeitnehmerin die vollen Lohnleistungen über das sogenannte U2-Verfahren von der Krankenkasse und der Arbeitgeber eine Erstattung. Oschmann weist jedoch darauf hin, dass bezogen auf den Arbeitsplatz Tankstellenverkaufsraum nicht nur die Benzolbelastung zu Beschäftigungsverboten führen kann. Weitere Ausschlusskriterien wären zum Beispiel eine Alleinarbeit und Arbeitszeiten nach 20 Uhr.
Richtig messen
Die nötige Raumluftmessung muss der Tankstellenbetreiber anhand der Vorgaben des Arbeitskreises der Ländermessstellen für chemischen Arbeitsschutz (ALMA) durchführen lassen. Es handelt sich dabei um Langzeitmessungen, die die Benzolbelastung an sieben aufeinanderfolgenden Tagen ermitteln. Kurzzeitmessungen wie sie etwa die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) durchführt und die nur rund eine Stunde dauern, genügen nicht, um den gesetzlichen Schutzpflichten nachzukommen und eine Einschätzung dafür zu bekommen, ob diese eingehalten werden können. Die Messungen der BGHW erfolgen im Rahmen der Überwachungstätigkeit, um etwa Arbeitsunfälle zu verhindern.
Für die Messungen nach ALMA-Vorgaben werden sogenannte Aktivkohle-Passivsammler oder Diffusionssammler im Kassenbereich der Tankstelle angebracht. „Die Tankstellenbetreiber können die Messung bei jedem zugelassenen Messinstitut beantragen“, sagt Oschmann und weist sogleich auf die Möglichkeit hin, sogenannte Sammelprüfröhrchen zum Beispiel im Internet selbst zu kaufen und nur die Auswertung von einem Labor machen zu lassen. „Das Verfahren wurde bewusst einfach gestaltet, um die Kosten niedrig zu halten“, erklärt er. Mit etwa 200 Euro muss man rechnen.
Wichtig ist jedoch, dass sich diejenigen, die die Probensammelröhrchen selbst aufstellen oder aufhängen, an die Vorgaben der ALMA halten. Einen Leitfaden bietet der Arbeitskreis auf seiner Internetseite an. Oschmann rät dennoch dazu, dass Tankstellenbetreiber das Vorgehen mit der zuständigen Aufsichtsbehörde für das Mutterschutzgesetz abstimmen.
Denn in der Praxis herrscht bei diesem Thema eine große Verunsicherung, denn Tankstellenkassiererinnen üben nach den Leitlinien zur Gefahrstoffverordnung keine Tätigkeit mit Gefahrstoffen aus. Belastungen bestehen dennoch – immerhin ist Benzol ein Stoff, der immer wieder in Zusammenhang mit der Entstehung von Krankheiten gebracht wird. Es gelten also rein gesetzlich die Regelungen des Arbeitsstättenrechts und des Mutterschutzrechts. Doch diese sehen vor, dass werdende Mütter keinesfalls beschäftigt werden dürfen, wenn sie bei bestimmungsgemäßem Umgang mit krebserzeugenden, fruchtschädigenden oder erbgutverändernden Gefahrstoffen in Berührung kommen könnten. Betreiber müssen sogar für alle Mitarbeiter sicherstellen, dass diese keiner gesundheitsgefährdenden Belastungssituation ausgesetzt sind und dies auch belegen – wie etwa mit den Messungen in der Atemluft.
Branchenverbände zum Thema
Eindeutige Empfehlungen zur Beschäftigung von Schwangeren in den Kassen- und Verkaufsräumen möchten die Branchenverbände ihren Mitgliedern nicht geben. So teilt der Zentralverband des Tankstellengewerbes (ZTG) zwar mit, dass er seine Mitglieder per Rundschreiben über die Untersuchungsergebnisse der bayerischen Studie informiert hat. „Ob unsere Mitglieder Schwangere weiterbeschäftigen sollen oder sofort freistellen, können wir nicht empfehlen. Das ist immer eine Entscheidung des Arbeitgebers im Einzelfall“, sagt ZTG-Geschäftsführer Jürgen Ziegner. Als Voraussetzung für eine Weiterbeschäftigung sieht aber auch er das entsprechende Ergebnis einer Benzolmessung im Verkaufsraum an. Eine solche Messung durchführen zu lassen, hält er für durchaus in der Praxis umsetzbar.
Ein wenig anders sieht das Thomas Drott, der Geschäftsführer des Bundesverbands Tankstellen und gewerbliche Autowäsche (BTG). Er hält die nötigen Messungen für kosten- und zeitaufwändig und rät Tankstellenbetreibern, ein Beschäftigungsverbot zu nutzen. „In diesen Fällen findet eine Erstattung des Großteils der Lohnkosten durch die Lohnausgleichskasse statt, sodass der Unternehmer hier nur moderat anteilig belastet wird“, weist Drott auf die Vorteile hin. Doch er fügt auch hinzu, dass der Unternehmer selbst in der Pflicht sei zu entscheiden, ob die Tätigkeit der Schwangeren den Beschäftigungsverboten von § 4 MuSchG entspricht und ob der Arbeitsplatz gemäß § 2 MuSchG ausgestaltet ist.
Zur Beschäftigung von Schwangeren sagt er grundsätzlich: „Rein praktisch ist zu berücksichtigen, dass Schwangere auch tatsächlichen Schwankungen ihres Befindens unterliegen. Insofern ist es schwierig, sich darauf zu verlassen, dass eine werdende Mutter pünktlich morgens als Erste die Tankstelle öffnet – es muss immer damit gerechnet werden, dass sie für den ein oder anderen Tag ganz oder zeitweise ausfällt.“ Vorgabe für werdende Mütter ist zudem, dass sie ihren Arbeitsplatz jederzeit verlassen können müssen, wenn dies aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist.
Muss ein Arbeitsplatz daher, wie etwa die Kasse einer Tankstelle, ständig besetzt sein, kann das für die Arbeitsorganisation schwierig werden. Für die umgehende Ablösung der Schwangeren muss jederzeit eine Ersatzkraft zur Verfügung stehen. Alleine in einem Verkaufsraum zu arbeiten, ist für Schwangere somit kaum möglich.
Für die Beschäftigung an Autowaschanlagen – wo generell wenige Frauen arbeiten – kann nach Aussage von Drott der Umgang mit dem Hochdruckreinigungsgerät aufgrund von Erschütterungen, Kälte und Nässe schwierig werden. Auch hier erscheine ein Beschäftigungsverbot praktikabel.
Arbeitgeber in der Haftung
Auch Günter Friedl vom Kraftfahrzeuggewerbe Bayern empfiehlt Tankstellenbetreibern, Möglichkeiten der betrieblichen Beschäftigungsverbote zu nutzen. Seine Empfehlung lautet deshalb „sofort freistellen“, denn das Recht liege in Deutschland grundsätzlich auf der Seite der Arbeitnehmer. Den Nachweis, dass keine erhöhte Benzolbelastung vorliegt, stuft er als schwierig ein. Außerdem würde auch die Druckerschwärze der Zeitungen, die im Verkaufsraum einer Tankstelle liegen, Polurol ausdünsten, das dem Benzol chemisch sehr ähnlich sei. So sei nicht klar, wo die Belastung herkomme; gegen die Dämpfe aus den Zeitungen werde nichts getan. Er betont die Vorteile des Beschäftigungsverbots: „Das finanzielle Risiko ist dann quasi gleich null und die Schwangere bekommt trotzdem ihr Geld.“ Anders sei es, wenn die werdende Mutter weiterbeschäftigt wird und es dann zu Komplikationen kommt. Dann werde sie krankgeschrieben und der Arbeitgeber müsse in der Zeit der Krankschreibung zumindest einige Zeit die Kosten oder den Lohn weiter übernehmen.
(Autorin: Jana Tashina Wörrle; Der Artikel ist Titelgeschichte von Sprit+ Ausgabe 9/2017.)
Benzolbelastung in Verkaufsräumen von Tankstellen
Die neueste Untersuchung zur Benzolbelastung in der Innenraumluft von Verkaufsräumen an Tankstellen stammt aus dem Jahr 2015/2016. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hat im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) 20 Tankstellen mit Messstationen ausgestattet und den Benzolgehalt sowohl im Winter als auch im Sommer in der Atemluft überprüft. So kamen 40 Messungen zustande. Die teilnehmenden Tankstellen lagen sowohl in Städten als auch in ländlichen Gebieten und nahe an Autobahnen. Zusammengestellt hat die Auswahl der Tankstellen der Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Bayern unter seinen Mitgliedern. Die Ergebnisse zeigen, dass bei zwölf von 40 Messungen erhöhte Benzolwerte festgestellt wurden. Bis 2005 galt ein Interventionswert von 25 μg/m³ Benzol als Bewertungsmaßstab für eine erhöhte Benzolbelastung. Mittlerweile gilt jedoch die Vorgabe des Bundesimmissionsschutzgesetzes von 5 μg/m³. (jtw)