Wie konnte es dazu kommen, dass die Tankstelle Hartmann von einem auf den anderen Tag bis zu 70 Prozent weniger Einnahmen verzeichnete? Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: Schuld ist eine Baustelle und eine damit einhergehende Vollsperrung und Umleitung. Kunden, die zur Tankstelle Hartmann in Oberleitersbach (Unterfranken) wollen, müssen einen Umweg von sage und schreibe 22 Kilometern in Kauf nehmen.
„Es wird ernst, ich schaue mit etwas Angst auf die nächsten Monate“ hatte Schüßler Mitte Februar auf Facebook gepostet. Am 19. Februar folgte schließlich die Vollsperrung von knapp zwei Kilometern der Staatsstraße südlich von Bad Brückenau. Die Unternehmen im von der Sperrung betroffenen Industriegebiet wurden zwar über die Lage informiert. Mehr aber nicht. „Wenn wir von Anfang an einbezogen worden wären, wäre das ganze vielleicht anders gelaufen“, meint Schüßler. Allerdings sind die anderen im Industriegebiet ansässigen Unternehmen auch nicht vom Kundenverkehr abhängig, so wie eben die Tankstelle.
Es kam, wie es kommen musste: Der Umsatz brach um bis zu 70 Prozent ein. „Wir haben hier einen sehr starken Bistrobereich, verkaufen normalerweise um die 130 Mittagessen pro Tag. Jetzt sind es mit Glück 60“, erzählt Schüßler. Er reagierte zwar sofort und stelle mit Beginn der Vollsperrung einen Antrag auf Kurzarbeit. Nach zwei Wochen kam die Ablehnung. Schüßler legte Widerspruch ein und dünnte derweil die Dienstschichten in der Tankstelle aus. Weitere drei Wochen später wurde der Antrag auf Kurzarbeit wieder abgelehnt. Begründung: Die Tankstelle liege ja vor beziehungsweise nach der Baustelle und nicht etwa mittendrin. Theoretisch hätten Kunden die Möglichkeit, dorthin zu kommen. Theoretisch, ja – aber mit 22 Kilometern Umweg?
Und das ist noch nicht einmal alles, denn hinzukommt, dass die Navis Autofahrer aktiv von der Tankstelle wegleiten. An der Kreuzung, an der Kunden zur Tankstelle abbiegen müssten, behauptet das Navi, dass es hier nicht weitergehe und man doch bitte wenden solle.
Auch dieses Problem ging Schüßler in Eigeninitiative an und ließ Schilder drucken mit der Info, dass die Zufahrt zur Tankstelle frei ist. Das hätte auch funktioniert, wären die Schilder nicht plötzlich verschwunden gewesen. „Die hat ein übereifriger Streckenwart einfach eingesammelt“, seufzt Schüßler. „Ich frage mich nur, warum? Warum sammelt er die Schilder einfach ein, warum fragt keiner bei mir nach?“ Das ist einer der Punkte, die den Tankstellenbetreiber zermürben. Die fehlende Kommunikation und die völlige Empathielosigkeit des Staatlichen Bauamtes Schweinfurt, das für die Baustelle und Vollsperrung verantwortlich zeichnet. Oder, wie es Schüßler ausdrückt: „Das Straßenbauamt zeigt uns ja mal so wirklich den Stinkefinger.“
Der patente Tankstellenbetreiber hatte erkannt, dass er gegen das Bauamt machtlos ist und wollte seine Kräfte nicht in diesem Kampf gegen Windmühlen verschwenden. Stattdessen hat er überlegt, wie trotz der misslichen Lage Kunden zur Tankstelle kommen. Zuerst dachte er daran, ein Auto zu verlosen. Diese Idee verwarf er jedoch wieder. Denn für die Teilnahme hätte ein Kunde nur ein einziges Mal zur Tankstelle kommen müssen – ein sprichwörtliches Tröpfchen auf den heißen Stein. „Final haben wir uns für eine Baustellenrabatt und eine Stempelkarte entschieden. Der sogenannte Baustellenrabatt beträgt 1,5 Cent pro Liter Kraftstoff“, erläutert Schüßler. Und die Stempelkarte, was hat es damit auf sich? „Kunden bekommen pro Tankfüllung ab 50 Euro einen Stempel. Bei fünf Stempeln erhält der Kunde ein Heißgetränk seiner Wahl gratis. Für zehn Stempel gibt es die Autowäsche im Wert von 15,50 Euro gratis.“
Und das ist noch nicht alles, denn zusätzlich verlost die Tankstelle Hartmann zwei Reisegutscheine in Höhe von jeweils 500 Euro und fünf Mal eine Zehner-Karte für die Waschanlage. Um an der Verlosung teilzunehmen, muss der Kunde seine Kontaktdaten auf der Stempelkarte vermerken und in eine Lostrommel einwerfen. Ausgelost wird, sobald die Baustelle wieder weg ist. Und das wird im Oktober sein. Hoffentlich. Denn wer deutsche Baustellen kennt, weiß, dass man vor den Termin ein „frühestens“ setzen kann. Frühestens Oktober wird der Spuk rum sein. „Das ‚frühestens‘ will ich gar nicht hören“, sagt Schüßler zermürbt. Und dennoch ist er voller Hoffnung: „Irgendwie überstehen wir das.“ Immerhin war die Stempelkarte schon mal ein Erfolg und der Tankstellenbetreiber konnte rund 35 Prozent Umsatz zurückholen. Und auch die Bank zeigt sich kooperativ. Im Gegensatz zum Straßenbauamt hat man hier Verständnis für die wortwörtlich missliche Lage der Tankstelle und kommt Schüßler entgegen.
Wer sich selbst über die Station informieren möchte, kann das auf Facebook (Account „Tankstelle Hartmann“) oder Instagram (Account „tankstellehartmann“). Sprit+ drückt derweil fest die Daumen, dass Schüßler recht behält und die derzeitige Lage nicht nur „irgendwie“, sondern gut übersteht.
Reimund Fischer