Dichtgewachsene Maisfelder umschließen eine Biogasanlage im nördlichen Emsland bei Werlte, rund 60 Kilometer von Oldenburg entfernt. Aber hier sind die Bedingungen ideal, um klimaneutralen Flugzeugtreibstoff herzustellen. Am heutigen Montag soll die Anlage offiziell in Betrieb genommen werden. "Ich musste lange suchen, um einen geeigneten Standort zu finden", sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer vonr Atmosfair, einer gemeinnützigen Klimaschutzorganisation aus Berlin. Der ideale Standort ist also hier, in der niedersächsischen Provinz – wo Biogasanlagen und Windkrafträder fast an jeder Kreuzung stehen. "Von der Biogasanlage brauchen wir nur das Kohlendioxid", sagt Brockhagen. Zu dem Gas kommt Wasserstoff, das mit Windstrom hergestellt wird. Wasserstoff und Kohlendioxid werden in der Anlage, die hinter der Biogasanlage des Partners und regionalen Energieversorgers EWE gebaut wurde, über chemische Prozesse zu Rohkerosin verarbeitet. Zum Flugtreibstoff Jet A1 wird es in der Raffinerie Heide nördlich von Hamburg weiterverarbeitet, die es an den Hamburger Flughafen liefert.
Damit es keinen Konflikt um Tank oder Teller gibt, wollte Brockhagen eine Biogasanlage, die Abfälle verarbeitet, keinen eigens angebauten Mais oder andere Pflanzen. Hier werden Abfälle der Lebensmittelindustrie aus der Region verarbeitet. Auch der Strom aus der Windkraftanlage nehme niemandem etwas weg, denn die alten Windräder seien längst aus der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausgefallen. "Jetzt bekommen die Betreiber das Geld von uns", sagt Brockhagen. Die Herstellung des Wasserstoffs gehe damit nicht auf Kosten der Energiewende. Außerdem gibt es auf dem Gelände eine Anlage, die Kohlendioxid aus der Luft herauszieht. Das sei das eigentliche Ziel: Das CO2 nicht aus eigens angebauten Pflanzen oder aus der Industrie – etwa aus Zement- oder Stahlwerken – zu beziehen, sondern neutral zu wirtschaften. Nur jenes CO2 soll hinterher in der Atmosphäre landen, was ihr vorher entnommen wurde, erklärt Brockhagen.
Das E-Kerosin soll der Luftfahrtbranche aus der Klemme helfen. Denn Flugzeuge können nicht auf flüssigen Treibstoff verzichten und auf Elektroantriebe umsteigen. Gleichzeitig muss sich aber auch die Luftfahrt auf den Weg zur Klimaneutralität machen. Nach Berechnungen des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums beträgt der Anteil der Luftfahrt am menschengemachten Klimawandel 3,5 Prozent. Also sucht die Branche klimaneutralen Treibstoff.
Die Lufthansa ist Pilotkundin für den Treibstoff. Aktuell sei das Unternehmen der größte Abnehmer nachhaltiger Flugkraftstoffe (SAF) in Europa, sagt Christina Foerster vom Konzernvorstand. Synthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien seien das Kerosin der Zukunft und ermöglichten neutralen Luftverkehr. Mit dem Bezug des E-Kerosins wolle Lufthansa der Herstellung und Produktion "wichtigen Rückenwind" geben. Derzeit verwende die Lufthansa Biokraftstoffe, die aus alten Speiseölen oder landwirtschaftlichen Abfällen hergestellt werden. Synthetisch erzeugtes Kerosin verspreche die höchsten Einsparungen an Treibhausgasemissionen und müsse deshalb durch den angedachten Produktionshochlauf und langfristig verlässliche Rahmenbedingungen wirtschaftlich attraktiv gemacht werden, betont auch Melanie Form, Leiterin der Geschäftsstelle der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V. (Aireg). Das Projekt brauche daher Nachahmer.
Bislang gibt es die Produktion von synthetischem Flugtreibstoff nur in kleinem Maßstab. Die Anlage im Emsland sei da schon ein gewaltiger Sprung nach vorn, sagt Brockhagen. Erstmals werde nämlich synthetisches Kerosin in industriellem Maßstab hergestellt. Allerdings ist auch sie nur ein kleiner Tropfen in einem riesigen Fass: Sie wird acht Fässer Kerosin am Tag herstellen können, das entspricht einer Tonne Treibstoff. Aber allein ein Airbus A 350 verbrauche fünf Tonnen Kerosin pro Flugstunde, erklärt Brockhagen. (dpa/bg)
Aus Lebensmittelabfällen und Windkraft: Klimaneutrales Kerosin
Klimaneutrale Flugreisen gibt es nicht. Zumindest noch nicht. Aber die Branche strengt sich an, grünen Kraftstoff zu entwickeln.