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Denkmalschutzpreis: Auszeichnung für sanierte MTB-Tankstelle

02.12.2016 11:12 Uhr
Beinahe wie damals: Nach der Sanierung schaut die MTB-Tankstelle in Tettnang fast so aus wie 1950, als sie in Betrieb genommen wurde.
© Foto: Michael Simon

Der Vergangenheit verbunden, verwandelt der mittelständische Energiehändler Wahr seine Tankstelle von 1950 beinahe in den Originalzustand. Der Gegenwart verpflichtet, bleibt es in Tettnang bei „beinahe“. Die Denkmalschützer sind entzückt. // Mit Bildergalerie

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Eine Tankstellen-Geschichtsstunde in mustergültiger Ausprägung erwartet Reisende am Ortseingang im oberschwäbischen Tettnang. Auf der rechten Straßenseite prunkt eine große OMV-Station, es könnte aber ebenso gut die pompöse Anlage einer anderen MÖG sein. Optisch modern, technisch auf dem Stand der Dinge, im Inneren ein ausgeklügeltes Shopsystem – so weit, so gewöhnlich für das Jahr 2016. Fahren die Reisenden weiter Richtung Ortskern, steht jeder Meter sinnbildlich für ein Jahr zurück in die Vergangenheit. Denn nach gut 66 Metern treffen sie am linken Straßenrand auf eine Tankstelle, die so aussieht, als stünde sie von den vorbeiziehenden Jahrzehnten unbeeindruckt da wie 1950.

Von Relikten wie diesem gibt es heute noch einige. Fotograf Joachim Gies hat viele ehemalige Tankstellengebäude aus den 50er und 60er Jahren, die leer stehen oder umfunktioniert wurden, in einem Bildband gesammelt. Aber das Besondere an dieser 1950 nach einem Entwurf der Deutsch-Amerikanischen Petroleumsgesellschaft gebauten Station ist: Sie ist immer noch das, als was sie vor 66 Jahren gebaut worden ist – eine Tankstelle.

Noch bemerkenswerter ist jedoch die Verwandlung, die jenes Original in Tettnang im letzten Jahr vollzogen hat. Der Eigentümer, das mittelständische Energiehandelsunternehmen Fritz Wahr, hat sich 2015 dazu entschlossen, das in die Jahre gekommene Make-Up abzutupfen. Wie bei einer schlechten Kosmetikerin hatte das Tankstellengesicht anstatt einer Komplettreinigung eine neue Schicht Farbe über die alte erhalten. So war das Antlitz der ehrwürdigen Anlage kaum noch zu erkennen: Auf der einen Seite hatte der vormalige Betreiber einen Kiosk angebaut, auf der anderen Seite war ein Wachhäuschen hinzugekommen, ein Reifenhandel war mal angebaut, wurde später wieder unschön entfernt – Aufkleber kaschierten die Risse in der Frontglasscheibe. Kurzum: Von der einstigen Schönheit Ihrer Jugend war die Tankstelle weit entfernt; der 66-Jährigen war ihr Alter anzusehen.

Zurück zum Ursprung

Als der mitgealterte Pächter 2015 kündigte, wagten die Verantwortlichen bei Wahr die Schönheits-OP. Die seit 2000 als Kulturdenkmal ausgewiesene Station sollte wieder möglichst so aussehen wie auf den Originalaufnahmen aus den 1950ern – soweit es im Rahmen der aktuellen Bau- und Sicherheitsbestimmungen möglich war. An der LED-Preisanzeige auf dem Dach, der flüssigkeitsdichten Fahrbahn und modernen Zapfanlagen, die allesamt schon installiert waren, rüttelte das Unternehmen nicht. „Unser Ziel war es, zu zeigen, dass sich an einer Tankstelle modernes Verkaufen, eine moderne Einrichtung und Technik im historischen Kontext betreiben lassen. Mit Respekt wollten wir sie so nahe wie möglich an den Ursprungszustand zurückführen“, berichtet Geschäftsführer Wolfgang Wahr, wenn er liebevoll über das „Schmuckstück“ des Familienunternehmens spricht.

Dieses gründete 1964 sein Vater Fritz als Transporthandelsunternehmen. Über die Jahrzehnte baute der Gründervater den kleinen Betrieb zu einem prosperierenden Mineralölhändler aus, der aber auch inzwischen ein knapp 50 Tankstellen starkes Netz unter der Marke MTB betreibt, an 22 Standorten mit eigenem Personal. 2012 vollzog der Vater den Generationenwechsel und übergab die Firma in die Hände seiner Söhne Wolfgang und Bernd.

Stadttankstelle lebt von Stammkunden

„Wir glaubten in Tettnang fest daran, dass man nicht nur vor den Toren einer Stadt erfolgreich eine Tankstelle betreiben kann“, erklärt Wolfgang Wahr. Deshalb entschloss sich das Unternehmen 2005 zum Kauf. Zehn Jahre später, und um die treuen Stammkunden wissend, stimmten er und Tankstellenleiter Olaf Biehler-Schaffner Schritt für Schritt mit der Stadt und der Denkmalschutzbehörde ab. Da waren die verunstaltenden An- und Umbauten, die es abzureißen galt. Gleichzeitig sollte die Fassade den ursprünglichen Anstrich zurück erhalten. Auch Überraschungen blieben nicht aus: Bei Reparaturen entpuppte sich das Kragdach nicht etwa als Beton-, sondern als Holzkonstruktion. Auch die wildwüchsige Dachbegrünung, die der vormalige Betreiber mit zwei Kubikmetern Erde offenbar willentlich angepflanzt hatte, musste runter.

Die größte Baustelle jedoch war der Tankstellenshop. Dieser erhielt eine von einem Schreiner nach Originalfotos maßangefertigte Tür, einen neuen Fußboden in Retro-Kacheloptik und moderne Möbel. Einer der beiden vormaligen Toilettenräume fungiert nun als Mini-Büro. Manche Wände, vollgetränkt von Fett und Nikotin, mussten neu verputzt werden. Für diese Komplettsanierung benötigten die regionalen Handwerker gerade einmal zwei Wochen, sodass die Tankstelle wie geplant zum 1. März 2016 in die Obhut der neuen Betreiberfamilie Lang gegeben werden konnte.

Ein Branchenneuling übernimmt

Der neue Pächter, Thomas Lang, deutlich jünger als das ihm anvertraute Objekt, kennt sich aus mit Gewerbeimmobilien. Seit 1997 vermittelt er in der Region Oberschwaben-Allgäu-Bodensee Nutz- aber auch Wohnraum. „Ich habe schon immer davon geträumt, nebenher eine kleine Tankstelle zu betreiben“, erzählt Lang, „Als ich die Annonce in der Zeitung gesehen habe, habe ich mich einfach einmal beworben.“ Mit der Unterstützung von Frau Christine und Tochter Julia, die, wie im Tankstellenkosmos üblich, im Shop mitarbeiten, und ein paar Aushilfen hat Lang im neuen Geschäftsfeld langsam Tritt gefasst.

Doch nicht nur er hat Gefallen an seiner extraordinären Mini-Station. Auch dem Schwäbischen Heimatbund blieb die Detailverliebtheit und das Engagement der Bauherren nicht verborgen – beispielsweise haben die modernen LED-Strahlern eine Neonröhrenoptik verpasst bekommen. So landete das Projekt Tankstellensanierung mit 85 weiteren Umbauten im Bewerbungstopf um den Denkmalschutzpreis des Landes Baden-Württemberg.

Preis als schöne Bestätigung

Einen der fünf gleichgewichteten Preise verlieh die Fachjury aus Vertretern des Heimatbundes, des Landesvereins Badische Heimat, der Wüstenrot Stiftung und der Geschichtsforschung an die Bauherren von Wahr. Die Preisträger seien bei der Gesamtsanierung „denkmalpflegerisch besonders vorbildlich mit ihrem Eigentum umgegangen“, heißt es lobend in der Begründung. Der Tankstellenverantwortliche Biehler-Schaffner habe mit einem spontanen Jubelschrei auf die Entscheidung reagiert, denn: „Dieser Preis ist eine schöne Bestätigung für alles, was wir auf die Beine gestellt haben.“

Als Zeichen der Anerkennung erhält das Unternehmen Fritz Wahr einen Geldpreis von 5.000 Euro und eine Bronzeplakette zur Anbringung am Gebäude. Doch bis dahin müssen sich Wahr, Biehler-Schaffner und Pächter Lang noch etwas gedulden: Die Preisverleihung findet im Frühjahr 2017, also erst in einigen Monaten statt – für eine Tankstelle, die eher in Dekaden denkt, ein Wimpernschlag. (ms)


Preisgekrönte Tankstelle

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