Oft nehmen die großen Konzerne die Vorreiterrolle bei Trends ein, sind sie doch finanzstark genug und verfügen über ausreichend Manpower, um Neues auszuprobieren. In der Tankstellenbranche ist das nicht anders: Hier wird Aral dank der Kooperation mit „Rewe to go“ an über 1.000 unternehmenseigenen Stationen den Tankstellenshop in den kommenden Jahren auf eine neue Ebene heben, indem im Portfolio frische Produkte aus dem Lebensmitteleinzelhandel mit dem Backwaren- und Snackangebot von Bäckereien kombiniert werden. Ähnliche Ideen oder Verbesserungen bestehender Konzepte stehen bereits bei anderen MÖG in den Startlöchern.
Doch ist die Zeit reif für eine solche Revolution im Shop? Will der deutsche Kunde das überhaupt? Und rechnet sich am Ende des Tages der Aufwand trotz höherer Kosten in der Logistik und bei den Abschreibungen der frischen Produkte? Das sind die zentralen Fragen. Umso gespannter waren die Teilnehmer der 21. Handelsblatt-Jahrestagung „Handel und Wandel in Tankstellen und Convenience-Shops“ in Düsseldorf auf die Vorträge des ersten Vormittags. Denn hier zeigten die Großen der Branche, mit welchen Ideen sie in Zukunft mehr Artikel auf die Kassenbons der Kunden bringen wollen.
Erfolgreiche Umrüstung
Die nächste Evolutionsstufe seines Arbeitgebers zeigte Rainer Kraus, Leiter Transformation Convenience-Geschäft bei Aral. Bereits 2013 hat er eine Filiale von Rewe to go besucht, deren Konzept sofort auf Interesse stieß. In einem gemeinsamen Feldversuch testeten die Partner, ob die Zusammenarbeit funktioniert und ob der Kunde das Angebot überhaupt annimmt. Beides scheint offensichtlich der Fall zu sein. Deutliche Umsatzzuwächse, eine Warenkorbsteigerung sowie mehr neue und vor allem weibliche Kunden verzeichnen die bisher umgerüsteten Shops, freut sich Kraus.
Gleichzeitig betonte der Manager, dass es sich hier um ein „lernendes Programm“, handle. „Oft müssen wir bei Dingen, die wir für sicher gehalten haben, wieder umdenken“, sagte Kraus. Es sei noch ein langer Weg zu gehen, aber er sei optimistisch, dass das Konzept dauerhaft auf dem deutschen Markt bestehen und sich natürlich auch für Aral rechnen werde.
Beim Shop-Lieferanten Lekkerland stellt man sich ebenfalls auf einen Wandel ein. „Der Kunde ist nicht mehr bereit, für ein durchschnittliches Produkt einen Premiumpreis zu zahlen“, betonte CEO-Lekkerland Patrick Steppe. Frische, Service und Qualität seien die Eigenschaften, die ein Tankstellenshop bieten muss. Und der Kunde müsse vor allem lernen, dass er das auch in der Tankstelle bekommen kann.
Aktuell testet das Unternehmen an zwei Standorten ein neues Shop-Konzept, das den veränderten Bedürfnissen des Kunden gerecht werden soll. Ziel ist die Beantwortung zweier Fragen: Wie reagiert der Endverbraucher auf das neue Konzept? Und wie wird daraus ein Businesscase, der profitabel ist?
Einer der beiden Lekkerland-Teststores gehört zum Esso-Netz, in dem aktuell ebenfalls viel passiert: Mit dem neuen Konzept „Synergy“ setzt die Mineralölgesellschaft derzeit eine Upgrade um – sowohl auf dem Forecourt im geänderten Design samt neuen Kraftstoffen als auch im Shop. Konkret bedeutet das unter anderem, starke Kategorien wie etwa den Getränkebereich durch Partnerschaften mit bekannten Marken zu fördern, deutlich mehr Fokus auf die richtige Platzierung zu legen und den Verkauf durch Werbeaktionen wie „Hit des Monats“ anzukurbeln.
Und auch für Esso heißt das: Weiter testen, was funktioniert und was nicht. Oder wie es Ina Poulus, Convenience Retail Manager Fuels & Lubricants EAME, ähnlich wie Steppe formulierte: „Manches muss der Kunde noch lernen. Aber wir müssen auch lernen, was der Kunde eben nicht lernen will.“
Carlo Caldi, Mitglied des Executive Boards bei Tank & Rast, bestätigte, dass auch die Autobahntankstellen mit einem Wandel konfrontiert sind. Heute sei die Raststätte eine Alternative zum Autofahren und ermögliche eine Phase der Entspannung mit Essen, Trinken und Entertainment. Doch was passiert, wenn diese Phase dank autonomen Fahrens ins Auto verlagert wird? Was kann dann noch die Raststätte leisten? Caldi könnte sich hier einen wachsenden Stellenwert von Drive-in-Konzepten vorstellen.
In einer Diskussionsrunde waren sich die Shop-Experten darin einig, dass derzeit „alle mit Hochdruck an innovativen Konzepten arbeiten“, die die Tankstelle zu einem attraktiveren Ort machen soll, an dem sich der Kunde gerne aufhält. Dazu müsse der Verbraucher lernen, dass die „Plörre an der Tanke“ an vielen Tankstellen der Vergangenheit angehört und dass sich das Essensangebot sehr wohl sehen lassen kann.
„Wo ist Convenience entstanden? An den Tankstellen!“, betonte Caldi. Die Branche müsse sich diese Kompetenz zurückholen. Und auch Carsten Nolof, Leiter des Fachbereichs Marketing/Shop, Food Services bei Total, stimmte dem zu: „Es ist ein langer Prozess, bis das beim Kunden angekommen ist, aber wir sind auf einem guten Weg.“ Kooperationen mit dem Lebensmitteleinzelhandel halte er jedoch nicht für die Lösung an Tankstellen, das sei das Ende der Margen. Man werde sehen, wie das Konzept bei Aral laufen wird.
Der Gefühlskonsument
Alle vorgestellten Konzepte zeigen, dass die Branche aktuell verstärkt versucht, die Sicht des Kunden einzunehmen und das Angebot nach seinen Bedürfnissen auszurichten. Diese Vorgehensweise unterstrichen weitere Redner: Professor Kishor Sridhar, Leiter der Verum Business Akademie, untersuchte beispielsweise verdeckte Emotionen beim Kunden während des Einkaufs, die von der Tankstellenbranche bisher nicht berücksichtigt werden.
Heraus kam ein Marketingkonzept, das Kaufmotive wie Angst, Geiz oder Bequemlichkeit des Kunden bedienen soll. Auf so genannten Erlebnisinseln in einer Testtankstelle wurden dabei bestimmte Produkte unter verschiedenen Mottos angepriesen. Etwa unter dem Claim „Retter in Not“ fanden die Tankstellenkunden Windeln oder Backzutaten wieder. Unter dem Motto „Du hast es verdient“ waren dagegen Frauen-Romane und Whisky platziert, in der „Partyzone“ standen Chips, Bier und Wodka für die spontane Feier bereit.
Immerhin 63 Prozent der Kunden fiel die Erlebnisinsel auf, unabhängig davon, ob sie etwas gekauft haben oder nicht. Der Tankstellenbetreiber war laut Sridhar zufrieden mit der Aktion, führte sie allerdings nicht weiter. Der Grund: Die Mitarbeiter haben nicht richtig mitgezogen, weil die Betreuung der Erlebnisinseln mit zu viel Aufwand verbunden war.
Davon ließ sich Sridhar nicht erschüttern. „Einfach mal machen!“, lautete der Ratschlag des Professors an das Publikum. Dass er mit dieser Einstellung den Nerv der Zeit trifft, beweisen die zahlreichen Testballons der Konzerne.
(Autorin: Annika Beyer; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 3/2017.)