Von Online-Redakteur Andreas Heise
Prof. Jörg Wellnitz forscht seit vielen Jahren an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) zum Thema E-Mobilität und Wasserstoff. Sein Lehrgebiet: konzeptioneller Leichtbau, Konstruktion und CAE. In seiner Freizeit fährt der 55-Jährige auch einen elektrisch angetrieben Nissan Leaf. Im Interview mit dem Autoflotte-Schwestermagazin AUTOHAUS erzählt er, welche Faktoren den Hype um das E-Auto befeuern und wie zukunftsträchtig die Technologie aus seiner Sicht ist.
Das E-Auto wird zurzeit zum Antrieb der Zukunft stilisiert. Zu Recht?
Prof J. Wellnitz: Das E-Auto ist nicht der Antrieb der Zukunft für den individuellen Massenmarkt. Das kann keiner ernsthaft wollen – auch aus technischer Sicht nicht. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Unabhängig davon, dass man in der Gesamtbetrachtung kaum CO2 einspart, riesige Subventionen dort hineinfließen und man nur einen geringen Umwelteffekt erzielt, braucht man auch schon bei kleineren Stückzahlen Lithium, Kobalt und seltene Erden – dafür muss ein Autobauer großen Aufwand betreiben. Und sie wissen ja, wo viele der Rohstoffe gefördert werden. In Afrika. Es gibt dort eine sehr starke Marktkontrolle durch chinesische Konzerne. Aus Gesprächen mit Industrievertretern weiß ich, dass es auch in China nicht darum geht, dass man allein im E-Antrieb die Zukunft sieht, sondern darum, dass man damit Marktdruck auf europäische Hersteller ausüben kann. Deswegen plant die EU im Gegenzug auch zu Recht eigene Batteriezellenfabriken. Davon abgesehen benötigt man für die E-Mobilität deutlich größere Strommengen. Wir bräuchten in Deutschland zusätzlich bis zu 18.000 mehr Windräder, wenn wir einen hohen zweistelligen Prozentsatz von Pkw elektrifizieren wollen würden.
Was treibt dann die deutschen bzw. europäischen Autobauer?
Prof. J. Wellnitz: Es geht im Wesentlichen um mehr Autos. Ich war noch auf keiner Veranstaltung in meiner Laufbahn, wo es um weniger Autos ging. Entsprechend wird das E-Auto den Verbrenner nicht eins zu eins ersetzen, sondern die Produktpalette erweitern. Der VW I.D. Neo beispielsweise ist kein Ersatz für einen VW Golf, sondern eine Ergänzung. Und da bietet es sich natürlich an, im Mäntelchen einer "grünen" Strategie solche Fahrzeuge zu bewerben. Und es geht natürlich gleichzeitig darum, durch so ein Null-Emissions-Auto den Flottenverbrauch zu senken. Es ist ja kein Null-Emissions-Auto – das wissen wir alle. Aber es ist wichtig, dass es so eingestuft ist.
Also können Sie die Pläne der Autobauer wie VW, die E-Mobilität in den Fokus rücken, nachvollziehen?
Prof. J. Wellnitz: Nicht zu handeln ist teurer als handeln, hat zu mir mal jemand aus der Autoindustrie gesagt. Da ist schon was dran. Der Kostenaufwand, die Elektrifizierung umzusetzen, ist geringer, als sie an sich vorbeiziehen zu lassen. Und man kann sich ein grünes Image verpassen. Nicht auf die Elektrifizierung zu reagieren, bedeutet Kontroll- und Technologieverlust. Hinzu kommen Strafzahlungen wegen nicht eingehaltener Flotten-Grenzwerte und der wirtschaftliche Druck aus China. Bei VW ist es ein politischer Schritt. Wobei es auch Kritiker gibt, die behaupten, die Umstrukturierung in den Werken gebe es nur, weil u.a. der Passat so schlecht laufe. Und der Passat ist aktuell ein Problem bei VW – wie auch der Audi A4. In solchen Zeiten bietet es sich dann natürlich an, zu sagen, dass ich durch den Technologiewandel weniger Menschen in der Produktion brauche.
Sind die Menschen zu blauäugig beim Thema E-Auto?
Prof. J. Wellnitz: Menschen merken schnell, wenn man ihnen was aufschwatzen will. So kann ich beispielsweise fürs Autodesign sprechen: Wenn sie ein Auto für alte Leute entwerfen, fahren die es nicht. Wenn sie ein Auto für Frauen designen, fahren die es auch nicht – die nehmen ein Männerauto. Autokäufer merken, wenn etwas nicht stimmt oder wenn man ihnen etwas unterjubeln will. So ist es auch beim Thema E-Auto. Bestes Beispiel ist da die Praxistauglichkeit.
Apropos Praxistauglichkeit. Reichweiten von 400 Kilometern oder mehr sind keine Seltenheit mehr. Ist dieser Kritikpunkt nicht hinfällig?
Prof. J. Wellnitz: Wenn sie die Reichweiten durch zwei teilen, haben sie aus meiner Sicht eine Entfernung, die sie wirklich fahren können. Die dann wirklich verlässlich ist. Da kommen sie auch zurück, wenn es schneit. Alles andere sind schöne Musterzahlen. Der Nissan Leaf beispielsweise lädt seinen Akku bei kalten Temperaturen nicht ganz auf – hier schiebt die Elektronik einen Riegel vor. Auch andere Einflussfaktoren wie Klima oder Heizung wirken sich bekanntlich negativ auf die Reichweite aus.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem E-Auto gemacht?
Prof. J. Wellnitz: Erst wenn man so ein Auto mal fährt, weiß man, was E-Mobilität bedeutet. Ich muss meinen Fahrauftrag genau kennen. Deswegen funktioniert E-Mobilität dort am besten, wo die Route im Vorhinein bekannt ist. Ob zum Beispiel bei der Post oder beim Pflegedienst. Ich glaube daher, dass es eine Nischentechnologie ist – und es auch eine bleiben wird.
AH: Sehen Sie noch weitere Faktoren, die in der öffentlichen Diskussion gerne vergessen werden?
Prof. J. Wellnitz: Ja, und das betrifft die Mineralölsteuer. Wenn E-Autos massenhaft zum Einsatz kämen, würde es nicht lange dauern, bis der Staat die Mineralölsteuer auf den Strom umlegen würde. Die Energiekontrolle ist für den Staat enorm wichtig. Irgendwo muss sich er sich ja die Milliarden holen. Für den Besitzer eines E-Autos könnte das schnell mehrere Hundert Euro an Mehrkosten im Monat bedeuten. Genauso ist es nicht auszuschließen, dass Energiekonzerne an der Tankstellebeziehungsweise Ladestation eine Abendpauschale erheben würden – weil da einfach die meisten tanken. Ein wichtiger Punkt wäre hierbei die Individualisierung der Energieerzeugung. Dass ich selbst Strom erzeugen kann – ohne ihn einspeisen zu müssen. Das steht aber im Konflikt mit den Interessen des Staates, der ja seine Hoheit über die Energiebesteuerung bewahren will. Generell muss man beim Thema E-Antrieb aber festhalten, dass er am meisten Sinn macht, wenn der Strom sich nicht im Fahrzeug befindet. Die Batterie als Energieträger ist energetisch unsinnig, weil sie zu schwer ist bei einer zu geringen Ladungsdichte. Deswegen würde man auch keinen Intercity mit einer Batterie bauen.
AH: Gibt es für die nächsten Jahre/Jahrzehnte überhaupt die eine richtige Antriebsart oder wird es nicht eher auf einen sinnvollen Mix aus Verbrennungs- und Elektro-Motoren hinauslaufen?
Prof. J. Wellnitz: Weltweit wird der Otto- und Dieselmotor ein Massenprodukt bleiben. Es gibt einfach keine Alternative – vor allem preislich. Ja, ein Mix. Da sprechen wir aber vom Verhältnis 1:100. Sie müssen sich ja nur ansehen: Aus welchem Bauraum bekommen sie für welchen Preis bei welchem Gewicht welche Leistung? Bei dieser Rechnung kommt am Ende ein Ottomotor oder ein kleiner Diesel heraus. Wenn wir uns die neuesten Euro-6-Diesel anschauen und voraussetzen, dass daran nichts manipuliert wurde, dann ist das ein ziemlich sauberer Motor.
AH: Wie lässt sich das CO2-Ausstoß denn langfristig spürbar reduzieren?
Prof. J. Wellnitz: In Deutschland würde eine Geschwindigkeitsbegrenzung schon einen Beitrag bringen. Aber das ist ja auch nur ein Land, wo man hier noch den Hebel ansetzen kann. Und generell nur den Pkw-/Lkw-Verkehr, der maximal um die 20 Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß beiträgt, in die Pflicht zu nehmen, wird nicht reichen. Da erreichen wir für einen Milliarden-Aufwand eine Verbesserung von einem halben Prozent. Wenn sie wirklich etwas verändern wollen, müssen sie an die Massentierhaltung, an Monokulturen und an die Energieerzeugung. Abgesehen davon müssten die Menschen auch ihre Gewohnheiten ändern. Wir wollen jeden Tag Fleisch essen – und das billig. Für uns ist es normal, jederzeit über das InternetWaren zu bestellen – die dann in kürzester Zeit geliefert werden. Und wir fliegen überall hin – ohne groß über die Emissionen nachzudenken, die dabei ausgestoßen werden.