Herr Höbbel, Varo Energy wurde erst 2012 gegründet. 2017 folgte der Einstieg in das Tankstellengeschäft als drittes Standbein neben der Raffinerie und dem Großhandel. Warum hat man sich bei Varo zu diesem Schritt entschlossen?
Wenn ein Unternehmen Anteile an einer Raffinerie hat, wie wir in Bayernoil, möchte es seine Produkte möglichst durch stabile Absatzkanäle vermarkten. Und da ist das Tankstellengeschäft der sicherste und konstantere Weg. Natürlich gibt es im Jahr Schwankungen, aber im Grunde genommen ist dieser Bereich relativ stabil im Vergleich zum eher saisonal geprägten Direktgeschäft.
Wie viele Tankstellen hat denn Varo bisher gewinnen können?
In Deutschland haben wir aktuell 19 öffentliche Tankstellen und 27 nicht öffentliche Tankpunkte. Betrachtet man aber die Niederlande, ist unsere Präsenz mit einem Netzwerk von knapp 200 Tankstellen deutlicher ausgebaut.
Wie sind Sie zu den Tankstellen, welche sich in Deutschland befinden, gekommen?
Wir haben 2015 mit der niederländischen Argos fusioniert und dadurch am Niederrhein sechs Tankstellen gewinnen können. Die laufen weiter unter dem Brand Argos, weil das für die niederländischen Kunden, die als Tanktouristen zu uns nach Deutschland kommen, eine bekannte Marke ist. Außerdem bauen wir seit Oktober 2018 in Kranenburg bei Kleve eine sehr große und hochvolumige Station. Das ist ein Projekt, das wir durch den Kauf von Argos geerbt haben und wofür wir drei Jahre auf die Baugenehmigung warten mussten.
Und woher stammen die restlichen Tankstellen?
Im Sommer 2017 hat Varo das Unternehmen Schneider Mineralöl Meissen gekauft. Mit dieser Akquisition erwarben wir acht öffentliche EPT-Tankstellen in Sachsen sowie die nicht öffentlichen 27 Tankpunkte. Schließlich haben wir im April 2018 das Ölgeschäft von Wengel & Dettelbacher übernommen und dadurch neben dem Großhandelsgeschäft fünf weitere unbemannte öffentliche Tankstellen in der Region Kitzingen und Würzburg ins Netz integriert. Unsere drei heutigen Schwerpunkte liegen somit in Sachsen, in Unterfranken und am Niederrhein bei Kleve.
Bemannt, unbemannt, öffentlich, nicht öffentlich, unterschiedliche Marken und Regionen – das Netz von Varo ist aktuell noch sehr heterogen. Ist es geplant, das Netz zu vereinheitlichen?
Aktuell möchten wir erstmal unsere Expansionsagenda erfüllen, die recht ambitioniert ist. Wir wollen auf mindestens 200 Stationen wachsen, aber es können durchaus 300, 400 oder 500 werden. Da sind wir offen.
Das klingt wirklich sehr ambitioniert. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
Wir haben verschiedene Expansionspfade. Der erste und weitaus einfachere Weg wäre, durch die Akquise eines großen Unternehmens auf einmal auf die genannte Stückzahl zu kommen. Wir nennen das bei uns intern den „Lucky Punch“. In diesem Fall würden wir uns darum bemühen, die Marke als Lizenz zu bekommen, damit wir die Stationen nicht für viel Geld umflaggen müssen. Und dann würden wir wahrscheinlich auch unsere regionalen Netze auf die neue Marke umbranden und die Systeme vereinheitlichen.
Welchen Expansionspfad gibt es noch?
Der andere, etwas mühsamere Weg wäre, viele kleinere Netze mit 20, 30, 50 oder vielleicht nur zehn Tankstellen zu kaufen. Wenn wir dann bei einer Größenordnung von 100 bis 150 Stationen sind, würde wahrscheinlich der Druck wachsen, das ganze Netz unter einer Marke und mit einer IT-Plattform und einem technischen System zu vereinheitlichen. Die Frage nach dem Brand würden wir situativ beantworten. Es ist allerdings sehr schwierig und teuer, eine eigene Marke neu aufzubauen, und daher im Moment nicht unser Ziel.
Ist für Sie das Geschäft an den Bundesautobahntankstellen interessant?
Wir fokussieren uns ganz klar auf Straßentankstellen. Wenn man eine starke Tankkarte hat, dann ist ein Standort an der Autobahn sehr interessant. Unsere EPT-Tankkarte ist allerdings trotz Crossakzeptanzen nicht so stark wie etwa eine Routex. Wir könnten folglich einen Autobahnstandort nicht in der Stärke ausnutzen, wie das andere große Mineralölgesellschaften tun. Wir konzentrieren uns jetzt erstmal darauf, dass wir im Netz wachsen.
Aber es gibt keinen Masterplan, dass Sie bis zum Zeitpunkt X 200 Tankstellen haben wollen?
Doch, den gibt es, aber da kann ich Ihnen die genauen Zahlen nicht verraten. Wir haben verschiedene Blaupausen in der Schublade liegen, die wir entwickelt haben. Je nachdem, wie wir letztendlich expandieren, ziehen wir die eine oder die andere Blaupause aus der Schublade. Neu bauen werden wir sicherlich nicht. Die Erfahrung in Kranenburg bestätigt, dass das extrem zeit- und personalintensiv und damit nicht unser präferierter Weg ist.
Egal welchen Weg der Expansionsstrategie Sie letztendlich gehen werden, Sie werden viel Geld brauchen …
Bei Varo werden die Projekte isoliert nach ihrer Rentabilität geprüft. Wenn unsere privaten Anteilseigner Potenzial sehen, haben wir den großen Vorteil, dass das Geld relativ schnell bereitsteht, um verschiedenste Investitionen – sowohl organischer als auch inorganischer Natur – kurzfristig zu realisieren. Die Agilität, mit welcher wir agieren dürfen, ist sicherlich hilfreich.
Führen Sie denn schon mit der ein oder anderen Gesellschaft solche Gespräche?
Wir führen sehr viele Gespräche auf verschiedensten Ebenen innerhalb der Varo.
Und wie weit sind Sie mit den Gesprächen?
Teilweise reden wir über Monate, dann stocken die Gespräche und nehmen plötzlich wieder Geschwindigkeit auf. Und nicht alle Gespräche führen zu einem positiven Abschluss. Hinzu kommt aktuell, dass die Margen im letzten Quartal 2018 hoch waren. Das kann Mittelständler dazu motivieren, mit dem Verkauf etwas zu warten. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die emotionale Komponente, wenn das Unternehmen in der zweiten oder dritten Generation geführt wird. Schlussendlich sprechen bei manchen Geschäftsführern das Alter und eine fehlende Nachfolgeregelung für einen Verkauf. Zudem verändert sich der Markt, alternative Kraftstoffe und Elektromobilität spielen zunehmend eine Rolle. Keiner weiß, ob ein Standort in zehn Jahren immer noch so viel wert ist wie jetzt und wann letztendlich ein guter Moment ist, um zu verkaufen.
Wie geht denn Varo mit dem Thema alternative Kraftstoffe um?
Varo hat sich im Bereich Biofuels als starker Partner positionieren können und wir bauen diese Sparte kontinuerlich aus. In den Niederlanden und in der Schweiz ist Varo Marktführer beim Blenden und Verkaufen von Bio-Benzin und Bio-Diesel.
Welche Relevanz hat das Shopgeschäft für Sie?
Der Fokus von Varo liegt auf dem Nassgeschäft. Es ist nun aber mal so, dass wir in Deutschland eine der niedrigsten Margen im europäischen Vergleich haben und aus meiner eigenen Berufserfahrung weiß ich, dass man probieren sollte, 80 Prozent der Kosten an der Tankstelle durch Shop und Waschen zu decken. Daher werden wir auch beim Shopgeschäft situativ je nach Expansionspfad entscheiden, wie es weitergeht.
Was unterscheidet Varo denn noch von anderen Gesellschaften?
Wir haben einfache Konzernstrukturen mit flachen Hierarchien, das heißt, wir sind nicht so groß und nicht so behäbig, sondern können schnell und flexibel entscheiden. Außerdem unterliegen wir aufgrund unserer kleinen Größe keiner kartellrechtlichen Beschränkung. Trotzdem sind wir sehr finanzkräftig und haben hier wie gesagt wenige Restriktionen. Wenn ein Projekt interessant ist und wir uns auf einen guten Kaufpreis einigen können, dann kann ein Kauf innerhalb von wenigen Wochen über die Bühne gehen. Und was ich bei Varo schön finde, ist die Mischung aus alten Hasen, die über eine große Erfahrung in der Industrie verfügen, und wiederum jungen, frischen Mitarbeitern, die sehr dynamisch sind. Der Spirit und Elan eines Start-ups ist bei uns noch gut spürbar.
Wie ist denn der Stand in der Raffinerie Vohburg, in der es am 1. September 2018 zu einer Explosion kam und die seitdem still steht?
Die Untersuchung der Unfallursache ist noch nicht abgeschlossen. Es kann aktuell noch nichts über die Unfallursache gesagt werden. Wir können erst informieren oder kommentieren, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind, alles andere ist Spekulation, wozu wir uns nicht verleiten lassen wollen. Auch zum Öffnungstermin möchte Varo als einer der Gesellschafter keine konkreten zeitlichen Angaben machen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass alle ein Interesse daran haben, dass die Anlage sehr bald wieder läuft.
(Das Gespräch führte Annika Beyer. Das Interview erschien in Sprit+ 4/2019.)
Vita:
Thorsten Höbbel hat Internationales Management in Bamberg und Manchester sowie Spanisch und Französisch studiert. Seine berufliche Laufbahn startete er im Rahmen eines European Graduate Programms bei BP. Insgesamt arbeitete der 47-Jährige 19 Jahre bei BP in Spanien, Deutschland und Österreich und wechselte dabei zwischen den Bereichen Retail und Strategie. Zuletzt führte Höbbel zwischen 2013 und 2016 das Franchise-Tankstellengeschäft der BP in Österreich und nahm anschließend ein Sabbatical. Seit Mitte 2017 ist er für den Aufbau des Tankstellengeschäfts von Varo Energy in Deutschland verantwortlich. (ab)