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Lilium-Konkurs: Das Ende eines Traums von der Mobilität der Zukunft?

13.12.2024 08:49 Uhr | Lesezeit: 4 min
Lilium Shuttle
Der Lilium Jet, ein vollelektrisches Flugtaxi mit senkrechter Start- und Landefähigkeit, sollte in kürzester Zeit die Städte erobern.
© Foto: Lilium

Lilium wollte die urbane Mobilität revolutionieren. Doch mit dem Konkurs des deutschen Flugtaxi-Startups Lilium aus Bayern droht diese Vision endgültig zu scheitern.

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Die Vision war kühn, die Versprechungen groß: Elektrische Flugtaxis, kurz E-Vtol genannt (electric vertical take-off and landing vehicle), sollten den urbanen Verkehr revolutionieren, Staus überflüssig machen und den CO₂-Ausstoß signifikant senken. Doch mit dem Konkurs des deutschen Flugtaxi-Start-ups Lilium aus Bayern droht diese Vision endgültig zu scheitern.

Die Vorstellung, eines Tages bequem und emissionsfrei mit einem elektrischen Flugtaxi über den Verkehrsstau hinwegzugleiten, beflügelte jahrelang die Fantasie von Städten, Investoren und Mobilitätsvisionären weltweit. Unternehmen wie das deutsche Startup Lilium galten als Vorreiter dieser futuristischen Mobilitätslösung. Das spektakuläre Ende eines Unternehmens, das einst als Hoffnungsträger galt, wirft Fragen auf: Waren die technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu groß? Oder waren es übertriebene Erwartungen, die Lilium und ähnliche Projekte ins Straucheln brachten?

Ein steiler Aufstieg – und ein noch tieferer Fall

Lilium, 2015 gegründet, trat mit dem Ziel an, die urbane Mobilität zu revolutionieren. Der Lilium Jet, ein vollelektrisches Flugtaxi mit senkrechter Start- und Landefähigkeit, sollte in kürzester Zeit die Städte erobern. Doch von Beginn an waren Zweifel laut: Die technische Machbarkeit, die Zulassung durch Luftfahrtbehörden und die Kostenstruktur galten als riesige Hürden. Der Lilium Jet versprach, emissionsarm, leise und effizient über urbanen Raum zu gleiten – ein Versprechen, das durch Milliardeninvestitionen befeuert wurde. Bis 2023 hatte das Unternehmen über 1,1 Milliarden Euro an Kapital eingesammelt, darunter von prominenten Investoren wie LGT Bank, Tencent, Atomico und Baillie Gifford. Allein in den Jahren 2021 und 2022 flossen durch Börsengänge und Finanzierungsrunden mehr als 400 Millionen Euro in die Kassen des Startups. Diese finanzielle Unterstützung sowie Partnerschaften mit führenden Technologiefirmen schufen anfangs eine breite Euphorie um die elegante Technologie und die hochgesteckten Ziele des Unternehmens.

Die elegante Technik und die hochgesteckten Ziele sicherten dem Unternehmen eine breite Aufmerksamkeit, zahlreiche Förderungen und schafften eine Menge qualifizierter Arbeitsplätze. Doch kommt Insolvenz in der Flugtaxi-Branche für viele Luftfahrtexperten nicht überraschend. Die zugrunde liegende Idee war unausgereift, die Visionen schienen überzogen. Oft dienen die hochgesteckten Versprechungen von Flugtaxi-Start-ups über eine staufreie Mobilität in der dritten Dimension vor allem dazu, Investoren anzulocken. Diese Gelder sind essenziell, um die komplexen Entwicklungsprozesse und die langwierigen Zertifizierungsverfahren zu finanzieren. Elektrisch betriebene senkrecht startende und landende Fluggeräte (E-Vtol) unterliegen strengen Sicherheitsauflagen, die berechtigt sind, da sie potenziell nicht nur Luftverkehrsrisiken, sondern auch Gefahr für urbane Gebiete mit sich bringen, in denen sie primär operieren sollen.

Hinter der glänzenden Fassade trübten sich die Aussichten jedoch immer weiter ein. Wiederholt verschob Lilium die Zeitpläne für die Marktreife, während die Entwicklungskosten explodierten. Die ursprünglich anvisierte Zertifizierung für die Lufttüchtigkeit zog sich hin – ein Problem, das viele Luftfahrt-Startups plagt.

Die Ursachen des Scheiterns

Die Insolvenz von Lilium spiegelt eine Reihe von Fehlern und Herausforderungen wider, die die gesamte Branche prägen:

  1. Unrealistische Zeitpläne: Lilium versprach, bereits 2025 mit einem kommerziellen Flugtaxi-Dienst zu starten. Experten der Branche hielten diesen Zeitrahmen für ambitioniert bis unmöglich. Die Entwicklung neuer Luftfahrttechnologien, insbesondere die Zulassung durch die strengen Regulierungsbehörden, dauert oft Jahrzehnte.
  2. Hohe Entwicklungskosten: Die Herstellung von Flugtaxis erfordert eine enorme Anfangsinvestition. Neben den technologischen Prototypen verschlingt vor allem die Infrastruktur – wie Start- und Landeplätze oder Ladeeinrichtungen – erhebliche Mittel. Die Kosten für die Entwicklung des Lilium Jets überstiegen die ursprünglichen Schätzungen um mehr als 50 Prozent.
  3. Marktakzeptanz: Studien zeigen, dass potenzielle Kunden skeptisch gegenüber Flugtaxis sind – sei es aufgrund von Sicherheitsbedenken, hohen Preisen oder schlicht der Frage, ob Flugtaxis im Alltag wirklich praktikabel sind. Konservative Schätzungen gehen von 27 Prozent der Verkehrsteilnehmer aus, die ein Flugtaxi nutzen würden, selbst wenn es verfügbar wäre.
  4. Fehlende Investorengeduld: Viele Kapitalgeber (allen voran Frank Thelen) waren bereit, hohe Summen in die Vision zu investieren, doch die Geduld schwand angesichts wiederholter Verzögerungen und ausbleibender Ergebnisse. Die wachsende Konkurrenz in der Luftfahrt-Startup-Szene und der Rückgang der globalen Risikokapitalflüsse taten ihr Übriges. Michael Sponring, Energy & Utilities Lead bei PWC sieht ebenfalls das wirtschaftliche Umfeld als verantwortlich an. 

Der siebensitzige Lilium Jet konnte bislang weder die angekündigten Flugleistungen nachweisen, noch ein tragfähiges Geschäftsmodell vorlegen. Die vermeintlichen Bestellungen, mit denen das Unternehmen warb, stellten sich weitgehend als Absichtserklärungen heraus.

Lilium Düsen
Das laute Betriebsgeräusch der zahlreichen Antriebsdüsen sorgte für Kritik, da es den umweltverträglichen Einsatz in städtischen Gebieten erschwert hätte.
© Foto: Lilium

Nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) als Alternative

Technologisch standen die Projekte vor erheblichen Herausforderungen. So konnte die im Prototyp verwendete Batterie nicht genügend Energie liefern, um die versprochenen Flugzeiten zu ermöglichen. Michael Santo, Luftfahrtexperte bei der H&Z Group in München, betont die zentrale technische Herausforderung: "Die größte Herausforderung ist tatsächlich die verfügbare Batteriekapazität. Diese entwickelt sich bei weitem nicht mit der prognostizierten und erhofften Geschwindigkeit. So sind heute nur recht kurze Flugzeiten darstellbar – für E-Vtols deutlich unterhalb von 60 Minuten." Energy & Utilities Lead Sponring teilt diese Ansicht und betont vor allem nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) als Alternative. Die Hoffnung auf zukünftige technologische Durchbrüche bei Akkus erwies sich hingegen als unsicherer Lösungsansatz.

Zusätzlich sorgte das laute Betriebsgeräusch der zahlreichen Antriebsdüsen für Kritik, da es den umweltverträglichen Einsatz in städtischen Gebieten erschwert hätte. Die 30 kleinen Antriebsdüsen erzeugen erheblich mehr Lärm als größere Rotoren anderer E-Vtols, was Einsätze in urbanen Gebieten stark einschränkt​. Diese Lärmbelastung, die auf Flugvideos deutlich hörbar ist, hätte umfangreiche Optimierungen erfordert – mit erheblichen zusätzlichen Kosten und Zeitaufwand. Dieses Konzept brachte jedoch komplexe aerodynamische und technische Herausforderungen mit sich, insbesondere beim Übergang vom Schwebeflug in den Reiseflug und zurück.

Während am Boden mit hochautomatisierten Fahrzeugen in Nordamerika und Asien bereits Fortschritte erzielt wurden, ist die Entwicklung in der Luft deutlich anspruchsvoller. Die Zertifizierung eines E-Vtols durch die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA und die US-amerikanische FAA ist ein steiniger Weg, der bisher nur wenigen gelungen ist. "Bei Flugtaxis handelt es sich um Flugzeuge, die je nach ihrem Einsatzspektrum (Sichtflug/ Instrumentenflug) die behördlichen Anforderungen erfüllen müssen", erläutert Santo weiter. Er verweist auf den Erfolg von Volocopter, der zeigt, dass die Zulassung prinzipiell möglich ist.

Was bedeutet das für die Branche?

Das Scheitern von Lilium markiert eine Zäsur in der Luftmobilitätsbranche. Trotz Investitionen von etwa 1,5 Milliarden Euro seit 2015 und geplanter Umsätze von 250 Millionen Euro im Jahr 2024 konnte Lilium nicht einmal bemannte Testflüge vorweisen. Die Insolvenz wurde nach dem Scheitern einer geforderten staatlichen Bürgschaft von mehr als 50 Millionen Euro eingeleitet. Liliums Aktienkurs fiel um mehr als 90 Prozent und liegt aktuell bei 0,12 Euro, ein drastischer Rückgang gegenüber dem Jahr 2022. Einige Beobachter sprechen sogar von einem „Platzen der Luftmobilitäts-Blase“.

Das Versagen von Lilium ist nicht isoliert zu betrachten. Es steht stellvertretend für eine Branche, die von großen Träumen und harten Realitäten geprägt ist. Der Markt für urbane Luftfahrttechnologien ist nach wie vor jung, und viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, ihre Visionen umzusetzen. Während Pioniere wie Volocopter oder Joby Aviation noch existieren, ist klar, dass die Luftfahrt ein kostspieliges und riskantes Geschäft bleibt.

Für die Investoren bedeutet Liliums Konkurs schmerzhafte Verluste, während Kunden weiterhin auf praktische Anwendungen warten müssen. Die regulatorischen Anforderungen, Sicherheitsstandards und die Akzeptanz durch die Öffentlichkeit werden zentrale Herausforderungen bleiben. Laut Santo wird die breite Öffentlichkeit E-Vtols nur akzeptieren, wenn ein klarer Mehrwert geboten wird: "Das kann die leise Anwendung im Bereich der Rettungsfliegerei sein (analog Volocopter beim ADAC) oder die bequeme, leise und preisgünstige Transportalternative." Eine Luxuspositionierung, wie sie Lilium anstrebte, könnte in Deutschland jedoch eher Skepsis und Neiddebatten hervorrufen. Dies könnte dazu führen, dass Flugtaxis zunächst in Nischenmärkten – etwa für den Tourismus oder hochpreisige Geschäftsreisen – ihren Platz finden, anstatt massentauglich zu werden. Sponring von PWC sieht ebenfalls geografische Hürden. Laut ihm gäbe es in den Emiraten das Publikum und die Möglichkeiten, Jets von Lilium einzusetzen. In Europa würde das noch länger dauern.

Lilium Systemtest
Die Herstellung von Flugtaxis erfordert eine enorme Anfangsinvestition. Die Kosten für die Entwicklung des Lilium Jets überstiegen die ursprünglichen Schätzungen um mehr als 50 Prozent.
© Foto: Lilium

Hat die Vision noch eine Zukunft?

Der Konkurs von Lilium zeigt, wie dünn die Luft für visionäre Mobilitätsprojekte sein kann. Unrealistische Erwartungen und massive Herausforderungen führten dazu, dass die Vision eines fliegenden Verkehrsnetzes in weite Ferne gerückt ist. Doch das Scheitern von Lilium bedeutet nicht zwangsläufig das Ende des Konzepts Flugtaxi. Es könnte vielmehr als Wendepunkt dienen: für realistischere Ansätze, für eine stärkere Einbettung in die Mobilitätslandschaft und für eine bessere Abstimmung zwischen Technologie und Marktbedürfnissen. Auch Santo sieht die Branche nicht am Ende: "Viele weitere Konzepte, wie Joby Aviation oder Volocopter, haben in den letzten Jahren ihre visionäre Kommunikation deutlich zurückgeschraubt und treten heute in der Wahrnehmung realistischer und konservativer auf."

Die nächsten fünf Jahre könnten, so Santo, den Durchbruch bringen – vorausgesetzt, die technischen Hürden wie die Batteriekapazität werden überwunden. Das Potenzial elektrisch betriebener Flugtaxis bestehen, da der Markt für urbane Luftmobilität bis 2040 auf 90 Milliarden US-Dollar anwachsen könnte – vorausgesetzt, regulatorische und technische Hürden werden gemeistert.

Bei Lilium gibt man sich indes bedeckt. Mit der Suche nach Investoren habe man KPMG beauftragt. Das Insolvenzgeld für die Arbeitnehmer laufe noch bis Dezember 2024. Ist dann immer noch kein Investor gefunden, so wird das Unternehmen gänzlich abgewickelt werden. Dabei bleibt abzuwarten, ob das Scheitern von Lilium als Mahnung für die Branche dient oder die Vision von der urbanen Luftmobilität endgültig entzaubert. Sicher ist: Der Weg in die Luft ist weit anspruchsvoller, als viele Pioniere dachten. Die Technologiebranche ist dafür bekannt, sich nach Rückschlägen zu erholen – doch die Träume von Flugtaxis benötigen mehr als nur die Vision abzuheben. Die Geschichte von Lilium ist eine Mahnung, aber auch eine Einladung, weiter über die Mobilität der Zukunft nachzudenken – ohne den Boden der Realität zu verlieren

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