Weiterzumachen wie bisher, ist keine Option. Denn weiterzumachen, ohne die neuen Bedürfnisse einer sich rasant verändernden Gesellschaft zu berücksichtigen, ist das sichere Todesurteil für jedes Tankstellenunternehmen – vom kleinen Familienbetrieb bis zu den großen Mineralölgesellschaften. In Zeiten fallender Kraftstoffverbräuche, mickriger Kraftstoffmargen, gewandelter Essgewohnheiten und alternativer Energieträger wie Strom, die nicht zwangsläufig mit der Tankstelle verheiratet sind, sucht die Branche neue Kreativ in die Zukunft Ideen. Welche Konzepte große wie kleine Tankstellenunternehmen schon ausrollen, noch diskutieren oder gar verworfen haben, zeigt ein Streifzug durch die Planungsbüros der Branche.
Aral
Den Anfang macht der Branchenprimus Aral, der sich im März auf seiner traditionellen Jahrespressekonferenz in Düsseldorf in die Karten blicken ließ. Mit Abstand die meisten Stationen sichern trotz leichtem Saldo-Minus von 19 Tankstellen die führende Position im Kraftstoffgeschäft mit einem Marktanteil von 21,5 Prozent und einem leicht gestiegenen Absatz von 7,7 Millionen Tonnen. Im gesellschaftseigenen Tankstellennetz betrug der Shop-Umsatz 1,6 Milliarden Euro und das Waschgeschäft erreichte ein Rekordumsatzniveau von mehr als 105 Millionen Euro (vier Prozent über Vorjahr).
All dies stimmte den Vorstandsvorsitzenden Patrick Wendeler ebenso zufrieden wie die mit einem lautstarken Marketingorchester eingeführte neue Kraftstoffgeneration, die angeblich eine neue Anti-Schmutz-Formel bietet. Auch deswegen soll der Absatz der Spitzenkraftstoffe mit dem Ultimate-Label gegenüber dem Vorjahr im zweistelligen Prozentbereich gestiegen sein. Der Zuwachs speist sich laut Aral zum einen aus bestehenden Kunden, die anstatt der Basiskraftstoffe teurere kauften, zum anderen durch Neukunden, die zuvor beim Wettbewerb getankt haben.
Die größte Aufmerksamkeit abseits des Standardbetriebs widmet Aral derzeit der Umrüstung der unternehmenseigenen Tankstellen auf Rewe to go. Mit dem neuen Shop- und Bistroangebot, das Aral im vergangenen Frühjahr vorstellte, sollen die Weichen für die Zukunft gelegt werden. Die 50 für 2016 angepeilten Shop-Renovierungen konnte das Unternehmen nach eigenen Angaben einhalten, im laufenden Jahr sollen 200 weitere hinzukommen, so dass in jedem Bundesland mindestens eine Station mit Rewe to go in Betrieb ist.
Im Exklusivinterview mit Sprit+ (in Ausgabe 4.2017) sagte Wendeler: „Im Moment sind wir bei einer Umrüstfrequenz von sechs Stationen in einer Woche. Sie müssen sich vorstellen, was das für ein Aufwand ist, damit alle Prozesse funktionieren, die Leute ausgebildet sind und die Belieferung läuft. Manchmal überlege ich mir, ob wir nicht ein bisschen zu schnell sind in der Art und Weise, wie wir da rangehen.“ Weitere Ziele für 2017 sind die Vorbereitung einer eigenen App, mit der ab 2018 mobil bezahlt werden kann, und der Ausbau des Partnernachwuchsprogramms Future Hero.
Shell
Die Nummer zwei im Tankstellenmarkt ist trotz eines Minus von netto 28 Tankstellen weiterhin Shell, zumindest wenn man die Stationszahlen zugrunde legt. Im Servicebereich hat sich Patrick Carré, Leiter des Tankstellengeschäfts in den D-ACH-Ländern, nicht weniger vorgenommen, als die Spitzenposition zu übernehmen. „Wir müssen um das Kraftstoffangebot herum ein umfangreiches Dienstleistungsgeschäft aufbauen“, sagte Carré. Dafür experimentiert Shell in verschiedenen Projekten.
Nach dem erfolgreichen Start von Mobile Payment in Großbritannien will die MÖG den Service in Kürze auch in Deutschland anbieten, um eiligen Kundenden Weg in den Shop zu sparen. Das Smartphone stellt dann eine Verbindung zum Kassensystem und Bezahlsystem Paypal her. Das Shop-Geschäft leide nicht darunter, hätten die Erfahrungen auf der Insel gezeigt.
Im Shop will Shell den steigenden Erwartungen an gesündere und frischere Angebote mit Partnerschaften begegnen: Starbucks gehört zu den etablierten Partnern, der niederländische Anbieter Albert Heijn wird momentan an einigen Stationen in NRW getestet. Außerhalb des Shops sollen die Abholstationen für Pakete, die Amazon Locker, für Kundenfrequenz sorgen. Nach ersten Tests in München ist nun auch Berlin an der Reihe.
Doch nicht nur das Dienstleistungsangebot steht auf Expansionskurs, auch die Dienstleistungsqualität soll verbessert werden. Dazu will Shell in den kommenden zwei Jahren 10.000 Mitarbeiter in Training-Trucks vom Schulungsanbieter Dale Carnegie fortbilden und motivieren lassen. Denn: „Sie geben der Marke Shell Gesicht und Herz“, sagt Carré, „Personal ist künftig noch mehr Schlüssel zum Erfolg.“ Um gute Mitarbeiter in einem harten Wettbewerb mit dem Einzelhandel zu finden, hat Shell im vergangenen Jahr seine eigene Stellenbörse eingerichtet.
Das freundlichere Image sollen auch die 1.000 der insgesamt 2.000 Tankstellen, die zu „Premiumstationen“ umgestaltet wurden, verkörpern. Ausgebaut werden soll auch die Wasserstoffinfrastruktur, die Shell als Mitglied der Initiative H2 Mobility unterstützt.
Total
Als einzige der vier größten MÖG verzeichnete Total ein Nettowachstum des Netzes. Möglich machte das laut Unternehmenseinschätzung der Umstand, die Konsolidierungsphase früher abgeschlossen zu haben als die Konkurrenz. Bereits im vergangenen Jahrzehnt habe man die unrentablen Standorte geschlossen und in perspektivstarke investiert. Zehn Stationen kamen 2016 dazu, wodurch sich Total anschickt, im kommenden Jahr das 2013 formulierte Ziel endlich zu erreichen: zehn Prozent Marktanteil.
Dafür spielen Partnerschaften mit Eigentümern aus dem Mittelstand eine wichtige Rolle. Diese wolle man unter anderem mit dem Wachstums- und Neubauprogramm mit dem neuen Design T-Air, das im deutschen Markt heraussteche, überzeugen. „Aber nicht nur optisch stimmt das Konzept“, ist Reinald Hieronymus, Leiter Netzentwicklung Tankstellen, überzeugt, „modernisierte Shop- und insbesondere Bistroangebote, ein neues Waschkonzept und Innovationen wie die digitale Tankkarte und zukunftsorientierte Energiekonzepte wie Elektroladesäulen und Wasserstoff verdeutlichen unseren Anspruch auf eine Spitzenposition im deutschen Markt.“
Esso
Eine Spitzenposition hat Esso weiterhin inne, auch wenn die Exxonmobil-Tochter unter die 1.000er-Marke gerutscht ist. Das tut der guten Stimmung im Unternehmen aber keinen Abbruch, der neue Leiter des Esso-Tankstellengeschäfts, Alexander Hentschke, spricht gar von einem „hervorragenden Jahr 2016“, das die Erwartungen „übererfüllt“ habe. Die Investitionen der vergangenen Jahre in Shop und Carwash hätten sich nun ausgezahlt und für „signifikant bessere Ergebnisse“ als 2015 gesorgt.
Eine der zentralen Aufgaben in diesem Jahr ist der Roll-out des neuen Kassensystems von Scheidt & Bachmann (Sprit+ berichtete in Ausgabe 8.2016), das die Inventur, die Warenbestellung und den Bezahlvorgang an der Kasse vereinfachen soll. Mit dem neuen Kassensystem sieht man sich gar als Vorreiter, ebenso wie beim kontaktlosen Bezahlen mit Girocard, das ab Ende des ersten Quartals 2017 an allen Stationen möglich sein soll. Damit gehöre man bundesweit zu den ersten Unternehmen.
Außerdem plant Esso, in diesem Jahr die Hälfte ihrer Stationen mit dem neuen Synergy-Design auszustatten, das die Verantwortlichen an den bislang 21 Teststationen offenbar überzeugt hat. Synergy ist der Name für die neue Kraftstoffgeneration von Esso, die im dritten Quartal 2017 aus der Zapfsäule fließen soll. Damit einhergeht unter selbem Namen ein neues Erscheinungsbild auf dem Forecourt. Die Zapfsäulen für die Benzinsorten sind blau, die für Diesel silbergrau und rote Elemente dienen der Beleuchtung, Säulennummerierung oder als Werbeflächen. Zur Synergy-Optik gehört auch eine neue Preisanzeige.
JET
Dass die Phillips66-Tochter JET im Branchenjargon noch zu den „Big Five“ der Tankstellenbranche gerechnet wird, mag angesichts der 851 Stationen, die der Energie Informationsdienst (EID) Anfang 2017 zählte, verwundern. Gegenüber Sprit+ gab JET gar nur 641 unternehmenseigene Tankstellen an. Weil JET aber in Deutschland im Durchschnitt die durchsatzstärksten Stationen im Portfolio hat, wird der Absatzmarktanteil auf 10,5 Prozent geschätzt und damit um 1,5 beziehungsweise drei Prozent höher als bei Total und Esso, die deutlich mehr Stationen betreiben. Grund dafür ist mit Sicherheit das B-Preisniveau an den Zapfsäulen.
Jörg Biermann, Geschäftsführer Tankstellengeschäft, interpretiert das so: JET steht schon immer für ein verlässliches Angebot. Das führt dazu, dass wir im Durchschnitt erheblich mehr Kunden pro Tankstelle als andere Marken haben.“ Das spiegele sich auch im Yougov Brandindex wider: Kunden bewerteten zum siebten Mal in Folge die Blau-Gelben als ihre beliebteste Tankstellenmarke. Mit dieser Positionierung beim Kunden, punktuellen Zukäufen und einer verlässlichen Partnerschaft zu den Pächtern will man genauso weitermachen. Engagierte Mitarbeiter sollen in der JET-Akademie für ihren Weg in die Selbstständigkeit fit gemacht werden. Zum 2015 eingeweihten und 2016 getesteten neuen Tankstellenkonzept machte die MÖG keine neuen Angaben.
Avia
Ein seit einigen Jahren größeres Netz als JET hat die Mittelstandsmarke Avia, die in saldo 15 Stationen hinzugewonnen hat – wenn man bei 30 unabhängigen mittelständischen Gesellschaftern von einem einheitlichen Netz sprechen kann. Das Gros der Stationen bilden Partnerstationen. Der Anteil unternehmensgeführter Stationen liegt unter fünf Prozent.
Als übergeordnetes Ziel und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber den Konzernmarken gibt Avia an, Kunden und Tankstellenleitern ein verlässlicher Partner zu sein. Deshalb habe man auch keine Schwierigkeiten Pächter oder Eigentümer zu finden. „Die persönliche Nähe zu unseren Tankstellenpartnern und -pächtern, wie sie Mittelstandsunternehmen mit Kontinuität bei den handelnden Personen zulassen, wollen wir an unsere Kunden weitergeben“, meint Josef Grünberger, Leiter Marketing und Tankstellen. Gerade in Gegenden, aus denen sich die großen Gesellschaften längst zurückgezogen hätten, stehe man für Verlässlichkeit.
Langfristig plant Avia, sein Tankstellennetz in Anzahl und Qualität weiterhin auszubauen. „Wir sehen hier eine fortlaufende Parallelität von Investitionen in neue Standorte und in die Modernisierung bestehender Tankstellen“, erläutert Grünberger. Als spezielles Ziel für 2017 gibt Avia die Professionalisierung des Bistrogeschäfts aus.
Star
„Volle Kraft voraus!“ Unter diesem Motto stand die Konferenz im September vergangenen Jahres, bei der Orlen 1.000 Mitarbeiter zusammentrommelte, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, wie das Unternehmen angab. Das Motto steht aber auch für die geplante Erweiterung des Tankstellennetzes. Insbesondere in Richtung Süddeutschland möchte Orlen 2017 sein Netz ausbauen.
Und das hat Gründe: Die Tankstellenmarke Star soll in Deutschland eine höhere Bekanntheit erfahren, unter anderem mit Emotionen weckenden Sponsoringaktivitäten im Breiten- und Spitzensport, um langfristig die beliebteste Tankstellenmarke in Deutschland zu werden.
Dazu beitragen soll auch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis im Shop. Hierfür hat Orlen sein Eigenmarkenportfolio ausgebaut, womit man laut eigener Einschätzung eine Vorreiterrolle im Markt einnimmt. Die auf Star gebrandeten Produkte umfassen Wasser, einen Energydrink, Chips und Adblue. Doch nicht nur bei den Kunden möchte Orlen für Zufriedenheit sorgen, auch bei den 476 Pächtern, die rund 83 Prozent aller Tankstellen betreiben: Für die interne Kommunikation hat Orlen „Starlet“ eingeführt – eine Plattform, über die Partner Nachrichten und Marketingneuheiten beziehen oder Probleme melden können.
HEM
Seit Jahren hält die Deutsche Tamoil ihr Netz unter dem Namen HEM konstant um die 400er-Marke, zum Jahreswechsel lag der Wert um drei über dem Strich. Also alles beim Alten? Nicht ganz, denn von allen befragten Tankstellenunternehmen klang Tamoil-Geschäftsführer Carsten Pohl am zufriedensten mit dem zurückliegenden Geschäftsjahr, wenn er vom „besten Jahr der Firmengeschichte“ schwärmt. Die Absätze konnten beim Kraftstoff, im Shop und im Waschgeschäft gesteigert werden.
Wichtig ist dem Mittelständler, „die Wünsche unserer Kunden schneller und besser zu erkennen und zu bedienen als jeder andere“, erklärt Pohl. Themen wie Kaffee und Bistro habe man perfektioniert, die Hygiene lasse man sich regelmäßig durch ein Institut prüfen und außerdem betreibe man das modernste Tankstellennetz in Deutschland. Mit diesem hohen Servicegedanken wolle man nun den nächsten Schritt machen und den Dauerrivalen im Yougov Brandindex, JET, von Rang eins stürzen.
Westfalen
Das neu erlangte Selbstvertrauen des Tankstellenmittelstandes verkörpert keiner so ungeniert wie die Westfalen-Gruppe. Zu Recht muss man sagen, denn das Unternehmen traut sich, in vielen Bereichen Pionierarbeit zu leisten und neue Konzepte auszuprobieren. Dazu zählen die Eröffnung einer LKW-Waschanlage in Kerpen und die Wasserstofftankstelle in Münster. Die berühmteste „Erfindung“ von Westfalen bleibt aber ohne Zweifel das Drive-in-Konzept, das in der Branche für großes Aufsehen sorgte.
„In vielen Geschäftsfeldern sind wir Trendsetter und stehen für einen dynamischen, starken deutschen Mittelstand“, kommentiert Andre Stracke, Leiter des Bereichs Tankstellen. Gegen- über den großen MÖG sieht sich Stracke aufgrund der Größe, der kurzen Entscheidungswege und der Flexibilität gut positioniert.
Der Herausforderung, qualifiziertes Personal zu finden, begegnet Westfalen mit starken Investitionen in die Aus- und Weiterbildung von Pächtern und Mitarbeitern vor Ort. Mitarbeiter, die das Potenzial zum Tankstellenunternehmer zeigen, erhalten die Option auf ein Traineeprogramm.
OMV
Geht die Entwicklung so weiter, dauert es nicht mehr lang, bis die OMV zahlenmäßig hinter Westfalen zurückfällt. Doch allem Anschein nach ist das im süddeutschen Raum als Premiumanbieter positionierte Mineralölunternehmen mit den Ergebnissen der Netzkonsolidierung sehr zufrieden. Der niedrige Pumpenpreis habe den Absatz gefördert und ein gutes Marktumfeld ermöglicht.
Besonders profitiert von der Preislage haben die OMV-Premiumkraftstoffe Maxxmotion, die gegenüber dem Vorjahr ein zweistelliges Wachstumsplus verzeichneten. Besonders gut lief auch das Waschgeschäft, das trotz durchwachsener Wettersituation mit einer Steigerung gegenüber 2015 abschließen konnte. Das zeige, dass das Reinvestment-Programm gegriffen hätte.
Q1
Viel Geld in die Hand genommen hat 2016 auch die mittelständische Q1, um qualitativ und quantitativ (Saldo plus sechs auf 191 Stationen) zu wachsen. Dies erforderte auch, die Leitungsebene straffer zu organisieren und personell umzubesetzen.
Mit neuen Shop-Konzepten („Oase“; Sprit+ berichtete in 4.2016) und Digitalisierungsprojekten wie der App Zahlz, die das mobile Bezahlen von Autowäschen, Tankrechnungen und künftig auch Shop-Einkäufen möglich machen soll, sieht sich Q1 gut aufgestellt, um sich von Mitbewerbern abzuheben.
Natürlich sei es nicht einfach, sich gegenüber den großen MÖG zu behaupten. „Trotzdem sind wir davon überzeugt, dass der Mittelstand vielfach deutlich mehr Charme und entsprechende Chancen hat“, verkündet Q1 selbstbewusst und repräsentiert damit das neue Selbstverständnis des Mittelstands.
(Autor: Michael Simon; der Text erschien im Sonderheft "Tankstellennetze", das Ausgabe 4.2017 von Sprit+ beilag.)