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Mindestlohn: Auf der Suche nach dem Allheilmittel

06.03.2015 15:47 Uhr
Wie lautet das erste Fazit von Betreibern, Verbänden und Mineralölgesellschaften nach zwei Monaten?
Wie lautet das erste Fazit von Betreibern, Verbänden und Mineralölgesellschaften nach zwei Monaten?
© Foto: Robert Churchill/Getty Images/iStockphoto

tankstellen markt hat bei Betreibern, Verbänden und Mineralölgesellschaften nachgefragt, wie das erste Fazit zwei Monate nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes aussieht – und welche Maßnahmen Betreiber ergriffen haben.

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„Wir sind hier am Kämpfen“, kommentierte ein Leser den Aufruf von tankstellen markt, sich zum Thema Mindestlohn zu äußern. Was als „Gesetz historischen Ausmaßes“ und „eine der größten sozialpolitischen Reformen“ gehandelt wird, wird zwar prinzipiell von vielen Branchenvertretern befürwortet. Kritik erntet jedoch die konkrete Ausgestaltung: „Der Mindestlohn berücksichtigt nicht die regionalen wirtschaftlichen Unterschiede in der ­Wirtschaftskraft. Er ist auch deswegen ­ungerecht, weil er die wirtschaftliche ­Leistungsfähigkeit der mittelständischen Tankstellenbetreiber allesamt über einen Kamm schert“, beanstandet Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbands freier Tankstellen (BFT).

Die Ausgestaltung des Gesetzes „ohne jegliche Differenzierung“ beklagt auch Jürgen Ziegner, Geschäftsführer des Zentralverbands des Tankstellengewerbes (ZTG). „Man hätte das Gesetz beispielsweise bei Themen wie der Dokumentationspflicht etwas präziser fassen und die Unterschiede zwischen Ost und West berücksichtigen sollen“, fordert Thomas Drott, Rechts­anwalt beim Bundesverband Tankstellen und ­Gewerbliche Autowäsche Deutschland (BTG Minden).

Denn vor allem für Tankstellen in den neuen Bundesländern hat der Mindestlohn erhöhte Personalkosten zur Folge. „Hier ist eigentlich jede Tankstelle der IG Esso betroffen“, weiß André Zacharias, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Esso, aus einer Umfrage unter den Mit­gliedern. „Das Problem beschränkt sich aber nicht nur auf die neuen Bundes­länder“, ­berichtet ZTG-Geschäftsführer ­Ziegner. Während in Großstädten wie München und Stuttgart ein Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro dem Standard entspräche, sei dieses Gehalt im Ruhrgebiet oder im ländlichen Niedersachsen ­hingegen eher die Ausnahme als die Regel.

Erste Zollkontrollen
Trotz aller Kritikpunkte, umsetzen müssen die Tankstellenbetreiber das Gesetz in ­wirtschaftlich starken ebenso wie in strukturschwachen Regionen gleichermaßen. Denn erste Überprüfungen durch den Zoll, der für die Einhaltung des Gesetzes zu­ständig ist, gab es bereits. „In allen Fällen wurden die Papiere der anwesenden ­Angestellten kontrolliert sowie Einsicht in die Arbeitsverträge und Schichtpläne ­genommen“, sagt Ziegner. Von ersten Kontrollen in Nordrhein-Westfalen berichtet Drott vom BTG Minden. Dabei seien die Beamten zum Teil etwas unfreundlich und rabiat mit den Angestellten umgegangen, klagt der Verband.

Um auf solche Überprüfungen vorbereitet zu sein, informieren die Verbände bereits seit Monaten ihre Mitglieder auf Arbeits- und Regionaltagungen, in Zeitungen und Rundschreiben. Bei Themen wie der Dokumentationspflicht, die noch zu unkonkret geregelt ist, wird auf die ­Expertise der Steuerberater zurückgegriffen.

Selbst wenn offene Fragen geklärt sind, bleibt ein Problem: Wie können Betreiber die Mehrkosten stemmen? In einem Punkt herrscht Einigkeit: Die universell gültige Lösung gibt es nicht. „Hier sind keine pauschalen Empfehlungen gefragt, sondern individuelle Lösungen, die auf die jewei­lige Station und ihr Wettbewerbsumfeld zugeschnitten sind“, ist sich Andre Stracke, Leiter Bereich Tankstellen bei der West­falen-Gruppe, sicher.

Ein beliebter Rat der Verbände und Mineralölgesellschaften: Erhöhung der Preise im Shop und fürs Waschen. „Allerdings ist beim Thema Shop zu beachten, dass eine Vielzahl von Produkten preis­gebunden ist“, gibt Zieger vom BFT zu ­bedenken. „Die Erhöhung der Preise ist auch kein Allheilmittel. Bei den einzelnen Unternehmen gibt es nur bedingt Spielraum, in vielen Regionen geht das aufgrund der Wettbewerbssituation gar nicht“, sagt Drott. Ein weiterer Lösungsansatz ist, die Öffnungszeiten anzupassen beziehungsweise sogar nachts komplett zu schließen. „Insbesondere die Abendöffnungszeiten nach 19.30 Uhr sind in den Blick geraten“, berichtet Zieger.

Ebenfalls immer wieder im Gespräch ist die Anpassung der Personalstruktur. Die Möglichkeit, aus den Aushilfskräften Teilzeitkräfte zu machen, erhöht zwar die Arbeitszeit des Einzelnen. Allerdings ­können Aushilfskräfte bei erhöhtem ­Personalbedarf wie bei Krankheit flexibler eingesetzt werden. „Es ist immer besser, im Notfall acht Telefonnummern zu haben als vier“, sagt Drott. Weiter an Personal zu sparen hält der BTG-Mann für wenig ­sinnvoll. „In den letzten Jahren haben die meisten Tankstellen bereits ihren Personalbedarf optimiert. Die haben jetzt wirklich nur noch die, die sie auch brauchen.“

MÖG in der Plicht?
Ein hilfesuchender Blick wird auch in ­Richtung Mineralölgesellschaften geworfen. Realistische Personalkosten bei Geschäftsplanverhandlungen, Zuschüsse oder Anpassung der Margen sind Beispiele dafür, wie diese den Pächtern unter die Arme greifen könnten. Ein neues Vertragswerk ist laut Branchenvertretern bei Shell ­geplant. Auf Anfrage verwies eine Pressesprecherin von Shell auf die laufenden Branchengespräche. Eine Aussage dazu soll Ende März 2015 folgen.

Ein Entgegenkommen ist laut Drott auch bei JET erkennbar, wo „vernünftige Geschäftspläne“ mit den Pächtern ab­geschlossen wurden. „Grundsätzlich ist es uns sehr wichtig, ein verlässlicher und ­fairer Partner für unsere Tankstellen­unternehmer zu sein. Denn unser Ziel ist es, langfristig mit ihnen zusammenzu­arbeiten“, sagt Carsten Reichelt, Pressesprecher bei JET. „Wir haben gemeinsam mit den Unternehmern individuell und gründlich die Situation der einzelnen Tankstellen betrachtet und dort, wo es notwendig war, auch Konditionen angepasst“, ergänzt er. Diese individuelle und gezielte Herangehensweise sei als wertvolle Unterstützung empfunden worden.

Bei Esso hält man sich eher kurz bei Nachfragen zum Thema Mindestlohn: „Wir haben verschiedene Betreiberformen, für die auch unterschiedliche Einflussmöglichkeiten und wirtschaftliche Verhältnisse bestehen. Wir analysieren die Auswirkungen und werden dann situationsgerecht entscheiden“, heißt es aus der Presseabteilung der Hamburger Mineralölgesellschaft.

Um Mehrkosten durch den Mindestlohn auszugleichen, hofft man bei Total weiterhin auf eine positive Geschäftsentwicklung. Ein gutes Shopangebot in Kombination mit einem modernen Tankstellendesign und gutem Service soll immer mehr Kunden in die Tankstellen locken. „Unsere weiteren Empfehlungen sind klar: ­Erstens operative Kosten senken. Zweitens Struktureffizienz des ­Personaleinsatzes steigern. Drittens Energiekosten optimieren“, rät Guillaume ­Larroque, Direktor Tankstellen bei Total Deutschland. Unterstützung ­sollen die Betreiber beispielsweise bei der Erarbeitung von Businessplänen oder beim Energiemanagement erhalten.

Konkreter wird es bei der Westfalen-Gruppe: Maßgeschneiderte Empfehlungen für jede Station zu Sortiment, Verkaufspreisen, Öffnungszeiten, Schichtplanungen, Personaleinsatz und Arbeitsverträgen sollen die Betreiber von ­Tankstellen der Westfalen-Gruppe auf ­Erfolgskurs halten. „Etwa zwei Drittel der zuvor geschätzten Mehrkosten durch den Mindestlohn lassen sich dadurch auffangen. Mittlerweile setzen unsere Tankstellen diese Konzepte um und erste Erfolge sind bereits sichtbar“, berichtet Stracke. So steigen bei den Shopartikeln trotz moderater Preiserhöhung in vielen Fällen auch weiterhin die Stückumsätze. „Und in Einzelfällen werden wir die für den Partner tatsächlich anfallenden Mehrkosten auch teilweise übernehmen“, ergänzt Stracke.

Der Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen (Uniti) will als Verband keine Pricing-Empfehlungen geben. „Schließlich handelt es sich dabei um freie unternehmerische Entscheidungen unserer Mitglieder“, argumentiert Uniti-Hauptgeschäftsführer Elmar Kühn. Grundsätzlich sei sein Verband der ­Überzeugung, dass sich die Branche seit Jahrzehnten optimiert hat, diese Aufgaben dadurch aber nicht allein gelöst werden können. „Wie die Spargelbauer, Taxifahrer und Friseure sagen auch wir, dass der Mindestlohn zu steigenden Preisen führen wird. Auch in unserer Branche zahlt also der Kunde die steigenden Preise – und ­diese Konsequenz hat die Politik gesehen und scheinbar akzeptiert“, kritisiert Kühn.

Fünf vor zwölf
Wie dringend Maßnahmen und die Unterstützung der MÖG ist, zeigt ein Leserbrief eines Tankstellenverwalters aus ­Thüringen an tankstellen markt: „Ich s­tehe ‚fünf vor zwölf‘ vor der Stationsaufgabe. Der Januar war normal katastrophal, mit dem Hintergrund Mindestlohn ­ruinös.“ Um die Anforderungen des ­Mindestlohns einzuhalten, musste er bei den Teilzeitkräften die Stunden herabsetzen und auf Mini-Jobber ganz verzichten. „Die Öffnungszeiten kann ich kaum ab­decken, wenn einer ausfällt, bricht alles zusammen“, schreibt der Betreiber weiter und ergänzt: „Es wird weiterhin Hoffnung da sein, dass sich doch noch etwas an der Einkommenssituation ändert. Aber die Zeit spielt gegen mich als niedrig um­setzender Tankstellenverwalter. Ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalten kann.“

Welche Auswirkungen der Mindestlohn konkret in Zahlen hat, zeigt ein ­Leserbrief eines Betreibers einer kleinen freien Landtankstelle im Fichtelgebirge. Bisher hat er sieben Euro in der Stunde ­gezahlt, wobei am Ende des Jahres noch etwas „für uns und unsere Arbeit übrig ­geblieben ist“. Durch den Mindestlohn haben sich die Lohnkosten von 60.000 Euro im Jahr auf 72.000 Euro gesteigert. „Wenn wir den verbleibenden Gewinn durch die Anzahl unserer Stunden teilen, dann bleibt mir als Betreiber nur noch ein Stundenlohn von etwa 4,50 Euro“, kritisiert er.

Ob Zahlen wie diese zu Schließungen führen werden, wird die Zukunft zeigen. Dass die Erhöhung des Kaffeepreises im Shop oder Einsparungen am Personal nicht das Überleben vieler Tankstellen sichern werden, zeigt das erste Fazit der Branchenvertreter.

(Veröffentlicht in tm 3.2015, Annika Beyer)

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