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Nachtschicht: Mehr Schlaf, mehr Kaffee

24.10.2018 12:00 Uhr
Magdalena Szymendera und Anna Atzberger (r.) teilen sich in dieser Nacht ausnahmsweise die Schicht.
© Foto: Julia Richthammer

Nachtschicht ist nicht gleich Nachtschicht: Von Besonderheiten und Unterschieden, die Sprit+-Redakteurin Julia Richthammer bei ihrem zweiten nächtlichen Einsatz, diesmal an einer Shell-Station der Maier-Korduletsch-Gruppe in Moosthenning, bemerkte. // Mit Bildergalerie

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Bei meiner letzten Nachtschicht fielen mir gegen ein Uhr bereits die Augen zu. Aus Fehlern lernt man ja bekanntlich, deshalb bereite ich mich dieses Mal besser vor: Am Morgen schlafe ich eineinhalb Stunden länger als sonst, kurz vor der Nachtschicht halte ich ein Powernap und den Kaffee, den mir Pächter Paul Török bei meiner Ankunft an der Shell-Station der Maier-Korduletsch-Gruppe im niederbayerischen Moosthenning anbietet, nehme ich dankend an. Ob meine Vorbereitungen etwas gebracht haben? Die Auflösung gibt es am Ende dieser Reportage.
Normalerweise arbeitet bei Török in der Tankstelle nur eine Person pro Schicht, also auch nachts. Dass heute zwei Mit­arbeiterinnen da sind, Magdalena ­Szymendera und Anna Atzberger, liegt daran, dass Atzberger erst seit kurzem bei Török in der Station beschäftigt ist. Szymendera arbeitet sie deshalb ein. Török und Atzberger kennen sich aber schon lange, sie waren viele Jahre Kollegen in einer anderen Tankstelle in Dingolfing. Atzberger ist also ebenfalls Profi und weiß grundsätzlich, was zu tun ist. Für mich ist das sehr praktisch, denn die beiden haben genug Zeit, mir alles zu zeigen und zu erklären.

Grundsätzlich gilt in Moosthenning wie bei meinem ersten nächtlichen Einsatz in Barbing-Unterheising (www.sprit-plus.de/nachtschicht_eins), dass die Hauptaufgaben der Nachtschicht neben dem Verkauf Putzen und Vorbereiten sind. So ­helfe ich Atzberger dabei, das Zeitschriftenregal aufzuräumen. Wir sortieren alles wieder in Reih und Glied und achten darauf, dass wirklich die gleichen Zeitschriften hintereinanderstehen.

Coole Erfahrung

Dass die Getränke in den Kühlschränken während der Nachtschicht wieder aufgefüllt werden, weiß ich schon von meinem letzten Einsatz. Ich wundere mich kurz, als mir Atzberger eine Weste in die Hand drückt. Als sie die Tür öffnet, wird mir klar, warum: Die Kühlschränke sind in einen großen Kühlraum integriert. Die Getränkekisten stehen ungefähr hinter den jeweiligen Reihen, in die sie ­einsortiert werden müssen. Bei den Bier- und Wasserflaschen kann ich Atzberger deshalb ganz gut helfen. Als es aber an die einzelnen Dosen geht, die gesammelt in einem großen Regal stehen, bin ich überfordert. Welche Dose kommt wohin? Ich suche die Reihen nach Lücken ab und danach das Regal nach der entsprechenden Getränkesorte. Atzberger rät mir, lieber zu schauen, welche Getränkesorte überhaupt noch da ist und dann zu überprüfen, ob in der jeweiligen Reihe Dosen fehlen. Bis ich allerdings eine einzige fehlende Sorte gefunden habe, hat Atzberger schon beinahe alle anderen aufgefüllt. Zumindest sorge ich für Unterhaltung, indem ich von meiner Arbeit erzähle.

Unterschiede erkennbar

Schnell fallen mir Unterschiede auf, die zeigen, dass Nachtschicht eben nicht gleich Nachtschicht ist. Einmal die Tatsache, dass normalerweise eine Person pro Schicht arbeitet. Zu den Hauptzeiten am Nachmittag und frühen Abend wird stundenweise verstärkt. Außerdem sind alle Mitarbeiter in alle Schichten eingeteilt. Das ist Török sehr wichtig, denn er möchte jeden in seinem Team regelmäßig sehen: „Ich möchte mit jedem reden und wissen, was zu Hause los ist, was sie beschäftigt. Mit reinen Nachtschichtlern geht das nicht.“

Der wohl größte Unterschied: In Moosthenning gibt es einen Nachtschalter. Den hat der Pächter einbauen lassen, nachdem die Tankstelle überfallen wurde. „Ich habe tatsächlich ein schlechtes Gewissen gehabt. Auch wenn ich jeden aufgeklärt habe, wir oft Übungen machen und jeder weiß, dass wir nichts verteidigen.“ Das Gefühl blieb, dass seine Mitarbeiter den Kopf für ihn hinhalten. Schon in der nächsten Nacht installierte er eine tragbare Kamera und eine Klingel als Notlösung an der Tür. Eine dauerhafte Lösung war das aber nicht, denn auch wenn die Mitarbeiter sehen konnten, wer da vor der Tür steht, mussten sie ihn doch hereinlassen. „Richtiger Schutz ist es, wenn die Kunden vor der Tür bleiben“, sagt Török.


Nachtschicht in der Tankstelle

Nachtschicht in der Tankstelle Bildergalerie

Zuhörer für die Trucker

Die Tankstelle hat zehn Lkw-Stellplätze, zehn Euro kostet die Übernachtung, ein Essen ist inbegriffen. Ein Fahrer hat seinen Lkw abgestellt, ist aber bisher nicht zum Bezahlen in die Tankstelle gekommen. ­Szymendera und Atzberger haben ihn über die Überwachungskamera genau im Blick. Irgendwann zieht Atzberger eine Jacke an, greift sich die Taschenlampe und wagt sich in den strömenden Regen hinaus.

Es dauert, bis sie wieder zurückkommt, denn der Mann sieht nicht gleich ein, dass er bezahlen muss und benötigt ein offenes Ohr für seine ­Leidensgeschichte: Er musste erst kürzlich mehrere ­tausend Euro Strafe bezahlen, weil er verspätet war. Und warum? Weil er keinen Parkplatz gefunden hat. Am Schluss gibt er Atzberger doch die geforderten zehn Euro. Die kommt somit durchnässt, aber erfolgreich zurück in die Station. Und ist erleichtert: Der Fahrer war zwar zunächst unkooperativ, doch immerhin bekleidet. „Ich weiß nicht, wie oft ich schon jemanden nackt überrascht habe“, sagt sie schmunzelnd.

Als Tankstellenmitarbeiter ist man auch Hobbypsychologe, bestätigen mir Szymendera und Atzberger. „Vor allem, wenn man eine Sitzgruppe hat“, sagt Szymendera. Wenn die Sympathie beim Gast überspringt, erzählen manche auch wirklich private Dinge, die man eigentlich lieber nicht wissen möchte, ergänzt Atz­berger. Im richtigen Moment zuhören, im richtigen Moment wegsehen: wichtige ­Fähigkeiten in einer Tankstelle.

Gegen null Uhr sperrt Szymendera die Haupttür zu und trägt die Geldschublade zum Nachtschalter. Ab jetzt müssen die Kunden klingeln und können die Tankstelle nicht mehr betreten. Überraschenderweise ist zwischen ein und zwei Uhr nachts noch einmal richtig viel los. Das ist die Zeit, in der viele Lkw-Testfahrer zum Tanken vorbeikommen. Szymendera macht in diesem Zeitraum auch die Tür wieder auf. Ab 200 Euro bekommen die Fahrer einen Kaffee gratis. „Dann sind sowieso immer Leute in der Tankstelle und ich muss nicht jedes Mal nach hinten zur Kaffeemaschine und zurück zum Nachtschalter laufen“, begründet sie ihr Vorgehen.

Anderer Blickwinkel

Eine der wenigen Pausen während der Testfahrerstunde nutze ich, um mir von Szymendera die Kasse erklären zu lassen. Wer immer nur auf der anderen Seite der Theke steht, um zu bezahlen, weiß ja nicht, wie das läuft. Dass auf dem Display erkennbar ist, an welcher Zapfsäule gerade was getankt wird, konnte ich mir zwar denken, gesehen habe ich es aber noch nie. Bei den Testfahrern ergeben sich enorme Beträge, zum Teil tanken sie an drei Zapfsäulen, zum Beispiel einmal Diesel und zweimal Adblue für 400 Euro. Schließlich sagt Szymendera: „So, das war der letzte Testfahrer.“ Die Stammfahrer kennt sie. Wenn alle von ihnen da waren, schließt sie die Tür wieder ab und öffnet den Nachtschalter.

Währenddessen bereitet Atzberger schon die belegten Brote und Sandwiches für den kommenden Morgen vor. Dabei verrät sie mir: Sie hat alle Sandwiches ­einmal probiert, damit sie weiß, wovon sie redet. „Wenn mich jemand fragt, ob die Senfsauce scharf ist, kann ich es ihm genau sagen. Oder wenn jemand wissen will, was genau auf einer Semmel ist und ich laufe erst in die Küche und schaue nach, das wirkt nicht gut.“ Ebenso sei es bei den Wäschen, die sie auswendig gelernt habe. „Ich muss sofort antworten können, wenn mich jemand fragt, warum die teurere besser ist. Druckse ich erst herum, sagt mein Gegenüber gleich: ‚Naja, dann nehme ich das günstigste Angebot.‘“

Letztendlich halte ich eine Stunde ­länger durch als bei meiner ersten Nachtschicht. Das mag nicht nach viel klingen, aber in der Nacht fühlt es sich an wie mehrere Stunden. Mein Signal zum Aufbruch ist, als Atzberger gegen zwei Uhr bemerkt, dass meine Augen ziemlich rot seien. Da ich meine persönlichen Ziele erreicht habe – herausfinden, was anders ist und länger durchhalten als beim ersten Mal – kann ich mich auch ohne schlechtes Gewissen verabschieden.

(Autorin: Julia Richthammer; der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 10./11.2018)

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