An Erfahrung mangelt es ihm wahrlich nicht, denn an der Tankstelle – an ebendieser, die jetzt „seine“ Tankstelle ist – hat er schon als 16-Jähriger gejobbt. 20 Jahre ist das her. Heute ist Christian Herterich 36 Jahre und kann selbst Personal einstellen. Denn seit dem 11. Januar 2021 ist er der Eigentümer der Aral-Tankstelle in Clausthal-Zellerfeld (Niedersachsen). Zuvor war seine Tante Rita Herterich dort die Chefin. Und der Neffe war gar nicht mehr in der Tankstellenbranche aktiv. „2005 bin ich weggezogen, um eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei der Gothaer in Göttingen zu absolvieren“, erzählt Christian Herterich. Elf Jahre lang, bis zum Jahr 2016, war er als Versicherungskaufmann mit verschiedenen Weiterbildungen im Innen- und Außendienst in Göttingen und Köln unterwegs. „Im Sommer 2016 hat es mich dann wieder nach Clausthal zurückgezogen, wo ich in der Versicherungsagentur meiner Eltern angefangen habe.“ Aber: „Tankstelle war für mich immer ein Thema, ich hatte es ständig im Hinterkopf. Aber mehr als Eigentümer beziehungsweise Verpächter.“
Anfang 2019 mussten die Herterichs dann leider erfahren, dass das Leben selten nach Plan verläuft: Ein langjähriger Mitarbeiter ist nach kurzer und schwerer Krebserkrankung gestorben. Dadurch kam die Frage der Nachfolge in der Aral-Station wieder auf. „Ich habe dann erstmal ausgeholfen, wobei ich gemerkt habe, dass ich quasi ohne Einarbeitungszeit wieder einsteigen konnte. Und schließlich habe ich mich im Sommer 2019 für die Übernahme der Tankstelle entschieden“, fasst Christian Herterich zusammen. Und Tante Rita Herterich, die ihre Tankstelle lange 44 Jahre führte? „Sie schaut regelmäßig vorbei zum Kaffeetrinken“, versichert Neffe Christian. „Aber nicht mehr zum Arbeiten. Bei Fragen ist sie trotzdem immer noch meine Ansprechpartnerin.“
In den 1,5 Jahren hatte Christian Herterich dann bei weitem mehr als die Einarbeitung zu meistern. Denn vor der Übernahme hat er die Tankstelle komplett erneuert. In dem Umbau hat er insgesamt einen niedrigen sechsstelligen Bereich investiert. „Die Vorbereitungen und Planungen, zu denen zum Beispiel auch Besuche bei Shopbauern gehörten, haben etwa ein Jahr gedauert“, sagt Herterich.
Der 36-jährige neue Tankstellenchef ist ein ehrlicher und direkter Mensch. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht ganz offen auch über die Herausforderungen, die eine Tankstelle mit sich bringt. Etwa, dass das Privatleben darunter leiden kann. Momentan arbeitet Herterich noch „viel zu viel“, wie er sagt. 50 bis 70 Stunden kommen pro Woche zusammen. So hat er nicht nur wenig Zeit für sich selbst, auch seine Fernbeziehung leidet darunter. Das liegt nicht nur an der massiven Arbeitsbelastung, die gerade jetzt in der Anfangszeit auf Herterich lastet. Die Pandemie macht es auch nicht gerade leichter. Die Folgen von Corona schränken sogar Herterichs Hobbys ein: „In normalen Zeiten finde ich Ausgleich als Trainer im Schwimmverein oder gehe ins Fitnessstudio. Das war wegen Corona zeitweise völlig unmöglich. Aber selbst die Zeit auf dem Sofa mit gutem Essen und einem Glas Rotwein sind aktuell sehr eingeschränkt.“
Und trotzdem arbeitet der Nachwuchsbetreiber gerne in seiner Tankstelle. Unterstützt wird er dort von einem Festangestellten, vier Teilzeitkräften und drei Aushilfen auf 450-Euro-Basis. Da kann der Dienstplan schon mal zur Herausforderung werden. Zu tun gibt es genug in der Tankstelle, wo Kunden nicht nur an elf Zapfsäulen plus LPG-Zapfpunkt tanken können: 85 Quadratmeter Shop gehören zur Station, ein Backshop mit Sitzecke, eine Aral Superwash Waschanlage sowie eine Toto/Lotto Niedersachsen Verkaufsstelle. Zudem kooperiert Herterich mit dem lokalen Autovermieter sowie mit den Tennis- als auch Angelvereinen.
Die Belegschaft hat gut auf den neuen Chef reagiert. „Das ganze Team war grundsätzlich erst einmal froh, dass es nach dem Schicksalsschlag weitergeht. Wir haben alle ein gutes Verhältnis zueinander. Ohne meine Belegschaft hätte ich die Tankstelle nicht übernommen. Vor der Übernahme hatte ich ja 1,5 Jahre Zeit, um mich ins Team einzufügen und mich in die Führungsrolle einzuarbeiten“, so Herterich. Auf die Frage, ob auch seine Familie ähnlich gut reagiert hat, ist Herterich wieder grundehrlich: „Die waren nicht nur begeistert“, sagt er. „Eigentlich war ich im Familienbetrieb Versicherungsagentur eingeplant. Dort stand auch die Übernahme an. Das macht jetzt mein Bruder alleine.“ Nichtsdestotrotz steht die Familie „komplett hinter mir und unterstützt mich sehr viel im Tankstellenalltag. Sie hält mir den Rücken frei und auch beim Umbau haben sie viel mit angefasst.“
Im besagten Tankstellenalltag gefällt dem 36-Jährigen die Arbeit mit den Kunden am besten, da sie sehr abwechslungsreich ist. „Genauso gespannt bin ich auf die anstehenden Veränderungen durch die Digitalisierung und Mobilitätswende, zurzeit vor allem Elektro. Wobei ich persönlich auch E-Fuels und grünen Wasserstoff als spannende Alternativen betrachte.“ Am wenigsten spannend findet er die Putzarbeit – speziell die wöchentliche Reinigung der Waschanlage, aber er geht dieser Aufgabe natürlich sehr gewissenhaft nach, weil er weiß, dass Hygiene und Sauberkeit nicht nur zuletzt wegen der Pandemie „extrem wichtig“ sind, sondern auch ein Aushängeschild für die Tankstelle. Auch die Aktenablage gehört zu den weniger beliebten Aufgaben, denn „sie ist noch zu wenig digital“.
Christian Herterich hat großen Mut bewiesen und widmet sich mit vollem Einsatz seiner Aufgabe. Auch wenn er sich seine Zukunft einmal anders vorgestellt hatte: Die Redaktion Sprit+ wünscht ihm für alles, was noch auf ihn zukommt, nur das Beste! (bg)
Nachwuchskraft Christian Herterich: Das war so nicht geplant
Im Hinterkopf hatte Christian Herterich das Thema Tankstelle zwar immer. Aber dass er die Station seiner Tante übernimmt und das auch noch sehr plötzlich, war so nicht geplant.