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Porträt: Praktikum beim Dauerbrenner

05.03.2016 10:51 Uhr
Porträt: Praktikum beim Dauerbrenner
Pächter Markus Berbalk (l.) zeigte Sprit+-Redakteur Michael Simon, welche Aufgaben täglich anfallen.
© Foto: Annika Beyer

Der Monatserste ist für Tankstellenbetreiber der Tag der Wahrheit. Wie gut oder schlecht lief das Geschäft im Vormonat? Die Eindrücke eines kurzweiligen Abrechnungstages über die Schulter eines Pächters.

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Es ist ein garstiger Herbstmorgen, dieser 1. Februar, im Süden von München. Nicht die Temperatur, die für diese Jahreszeit zu milde ist, macht den Start in den Arbeitstag so widerwärtig, sondern der böige Wind, der den Nieselregen wie durch einen Ventilator aufwirbelt. Auf meiner Armbanduhr ist es kurz vor sechs, als ich unsere Sprit+-Leser per Twitter frage, was mich wohl zu so früher Stunde an diese Tankstelle führt, die sie auf dem beigefügten Foto sehen. Das blaue Schild mit weißen Lettern verrät, dass es eine Tankstelle des mittelständischen Mineralölhändlers Allguth ist. Mehr als einen nassen und wenig frequentierten Forecourt sieht man nicht und so schlussfolgert Follower Rudolf Linsenbarth mit einem Augenzwinkern:  „Ich hoffe, wir erfahren es, wenn es noch mehr als nur Tanken ist.“ Ist es.

An diesem Tag tausche ich den Schreibtischstuhl gegen … ja, gegen was denn eigentlich? Was macht ein Tankstellenchef an so einem Ersten im Monat? Welche Orte klappert er ab? Mit wem hat er zu tun? Am Ende meines Praktikumstages sollte ich schlauer sein.

Für die Station, vor der ich stehe, ist ein gewisser Markus Berbalk verantwortlich. Unser bisheriger Kontakt beschränkte sich auf E-Mails, die einen freundlichen, aber bestimmten Menschen erahnen ließen. In einer dieser Mails skizzierte Berbalk seinen Tag, der am Monatsbeginn zumeist um vier Uhr morgens an seiner zweiten Station in der beschaulichen Gemeinde Hohenlinden beginnt. „Da verpassen Sie aber nichts, wenn Sie nicht dabei sind“, hatte er generös geschrieben. Ein Glück.

Als ich an der Bürotür klopfe, öffnet ein Mann, so groß wie ein Bär, so stabil wie ein Balken. Der Name passt gut, denke ich mir, als sich Berbalk vorstellt. „Lassen Sie uns gleich loslegen. Dann kann ich Ihnen alles zeigen“, sagt er in einem ruhigen Ton, der zwar von Gelassenheit, aber gleichzeitig von Geschäftigkeit zeugt.

Im Shop macht er sich zunächst an die Bestandsprüfung des Kühlregals, dann folgt der Getränkemarkt. Akribisch achtet er darauf, dass im Regal keine Lücken entstehen und dass der vorderste Kasten aufgefüllt ist, damit der Kunde nicht nur einzelne Flaschen kauft. In sein Treiben vertieft, brummt Berbalk etwas vor sich hin, das nach „Unordnung“ klingt und gibt hinzu, dass gestern ja Sonntag war und dass es deshalb so aussehe. Ich schaue mich im Shop um, ohne zu erkennen, was er genau meint. Alles scheint sauber und am rechten Ort zu sein.

Die Getränkeabteilung betreibt er für die Allguth im Agenturgeschäft, erzählt der 48-Jährige. Für ihn ist es neben dem übrigen Shopsortiment, über das er selbst entscheidet, und dem Waschgeschäft die dritte Säule seines Betriebs. Am genuinen Tankstellengeschäft, dem Kraftstoffverkauf verdient kein Betreiber mehr gut, er aber erst recht nicht: Weniger als einen Cent pro Liter zahlt die Allguth ihren Pächtern als Provision, was aber nicht schlimm sei, fügt der Tankstellenchef rasch hinzu, als ich ihn erschrocken ansehe, denn schließlich genieße er bei der Pacht marktunübliche Konditionen. Dennoch: Wenn ein Kunde tankt, an der Kasse bemerkt, dass er nur einen Zehn-Euro-Schein bei sich hat und aus Versehen auf einen Betrag von 10,03 Euro kommt, zahlt Berbalk, der freundliche und kulante Tankstellenbetreiber, drauf. Er lächelt schief, als er diese Gleichung aufstellt.

Das Leid mit den Dieben

Berbalk nimmt auf seinem Drehstuhl Platz. Von hier oben könnte er durch die Lamellen den ganzen Laden überblicken. Doch die Überwachung überlässt er den 23 Kameras, die drinnen und draußen diejenigen identifizieren, die unredliche Absichten haben. Auf seinem Bildschirm zeigt er mir das Kennzeichen eines VW-Busses. Wie der Abgleich mit der Kassenzeit ergibt, hat der Fahrer zwar den Schokoriegel und seinen Energydrink bezahlt, aber die Tankfüllung offenbar „vergessen“. „Der Klassiker“, sagt Berbalk in aller Seelenruhe, während er das Schreiben an den Fahrzeughalter aufsetzt. Über das Kreisverwaltungsreferat, die Ordnungsbehörde in München, habe er den Halter ausfindig gemacht. „Finden Sie, dass der sympathisch aussieht?“, fragt er mich und bevor ich antworten kann, tippt er in die Formatvorlage 15 Euro Bearbeitungsgebühr ein, zusätzlich zu den Kosten für die Halterermittlung und die Tankkosten. Andere Kraftstoffunterschlager, an deren Redlichkeit er weniger glaubt, kommen ihm nicht so günstig davon.

Es ist mittlerweile acht Uhr, als Berbalk sich von seinem Warenwirtschaftssystem einen automatischen Vorschlag erstellen lässt, wie viele Zigarettenstangen er ordern soll. Die anderen Bestellungen für Getränke und das Shopsortiment verschickt er noch per Fax. Bei der Wahl seiner Lieferanten ist er frei, zumindest noch, argwöhnt Berbalk.

Das Ausfüllen der Listen, die Anrufe bei Lieferanten, all das geht dem Routinier dermaßen mühelos von der Hand, dass er genügend Zeit hat, nebenbei zu plaudern: 365 Tage im Jahr habe seine Station geöffnet und fast ebenso viele Tage schaue er herein. Am Wochenende sind es samstags meist vier, sonntags „nur“ drei Stunden. Den Urlaub werde er nachholen, wenn er in den Ruhestand geht. Auch wenn ehemalige Betreiber unken, dass sie dasselbe gesagt hätten, es dann aber doch nicht gemacht haben.

Der letzte richtige Urlaub? Berbalk kräuselt die Stirn. Das muss noch zu Zeiten von McDonald‘s gewesen sein, wo er seine Karriere begann. Nach seiner Lehre als Industriekaufmann absolvierte er dort eine Ausbildung zur Führungskraft, ein sogenanntes Trainee. Nach dessen Abschluss war er als Supervisor Herr über vier Franchise-Filialen. „Doch da hatte ich schnell das Ende der Fahnenstange erreicht“, meint er.

Zu etwa dieser Zeit, im Jahr 1997, führte Shell unter lautem Protest der Pächter das Agenturgeschäft für den Shop ein. Zahlreiche Pächter, denen gekündigt wurde, akzeptierten den neuen Vertrag nicht, wodurch Shell massiv unter Druck geriet, ad hoc neue Partner zu finden. „Da waren Leute, die bei McDonald‘s arbeiteten, sehr gefragt, denn die waren schon vertraut mit systematischen Abläufen.“ Zeitweise betrieb Berbalk sechs Tankstellen gleichzeitig für Shell, ehe der Konzern mit DEA fusionierte. Das Bundeskartellamt hatte Sorge, dass der Monsterkonzern zu mächtig werden würde und stimmte der Vereinigung nur zu, wenn Shell ein paar Stationen an die Konkurrenz verkaufte. Die Total übernahm einige Münchener Stationen, darunter auch welche unter Berbalks Leitung. So kam er zur Total.

Seine 12. oder 13. Station

Im Jahr 2006 stellte seine Steuerberaterin den Kontakt zur Allguth her. Man bot ihm eine Tankstelle in Hohenlinden an, „bei der man nicht viel falsch machen kann“, meint Berbalk heute. Bei seiner zweiten Allguth-Station war er dann vom ersten Spatenstich an dabei und übernahm sie 2009. Seine zwölfte oder dreizehnte Station, genau könne er das aus dem Kopf nicht sagen. Er lächelt bescheiden.

Mit dem Monatsabschluss für Januar unterm Arm verlassen wir das Tankstellengebäude. Auf dem Forecourt blockiert ein Fahrzeug des Eichamtes eine Säule. „Ihr kommt auch gefühlt alle halbe Jahre“, scherzt Berbalk. Er kennt den städtischen Prüfer seit vielen Jahren. Mir steckt er, dass es ab und an mal vorkommt, dass sich ein Tankkunde um einen Liter betrogen fühlt. Die Rechnung, die bei einer nicht turnusmäßigen Prüfung bei 2.000 Euro liegt, zahlt der Steuerzahler, wenn die Anlage in Ordnung ist. Ein Unding, findet Berbalk.

Auf der Fahrt zur Waschanlage erzählt er mir noch weitere Geschichten aus dem Skurrilitäten-Kabinett. Erst gestern habe einer seiner Angestellten einen Mann beim Schnapsklau beobachtet und diesen einige hundert Meter verfolgt. Als er den Übeltäter stellte, zückte der ein Messer. Der Form halber hat Berbalk natürlich der Polizei ein Foto zukommen lassen, „aber das wird wieder im Sand verlaufen“. Oft haben die Diebe aktuell ein schwerwiegenderes Verfahren am Laufen, weshalb der Staatsanwalt solche Fälle einstellt. Narrenfreiheit und freies Tanken für Kriminelle, bravo, denke ich mir.

Doch über solche Dinge rege er sich schon lange nicht mehr auf. Stattdessen erfreue er sich an anderen Dingen. An seinen Autos zum Beispiel. 2005 hat er sich eine alte Corvette gekauft. Dann kam er schnell auf den Geschmack, sich alte US-amerikanische Autos zu leisten. Mittlerweile sind es fünf, in einem davon, einem wuchtigen Lincoln Town Car, biegen wir gerade in die Aschauer Straße ein, um den Monatsbericht von der Waschanlage abzuholen.

Der Tanz mit den Mäusen

An der Waschstraße geht es schnell. Mit-arbeiter Mark Gruschzcyk hat die Zahlen vorbereitet. Gewohnt gut, schließlich ist der Mann ja auch schon 13 Jahre an dieser Station für den Betrieb verantwortlich. 13 Jahre – an einer Waschanlage ist das eine Ewigkeit, normal wechsle das Personal hier zweimal im Jahr. Berbalk lehnt sich entspannt hinterm Steuer zurück. Allgemein habe er großes Glück mit seinen Mitarbeitern. In all den Jahren habe es kaum Fluktuation beim Stammpersonal gegeben, auch seien Diebstähle durch das eigene Personal kein Thema.

Dass er dennoch nicht häufiger in den Urlaub geht, „daran bin ich selbst schuld“. Er habe es versäumt, in all den Jahren eine rechte Hand heranzuziehen. Einzig seine Frau Carmen kann ihn im Notfall vertreten. Sie beide hätten es ab und an versucht, die Verantwortung für einige Tage abzugeben. „Aber Sie wissen ja: Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Dach.“

Nach 20-minütiger Fahrt parkt Berbalk seinen US-Boliden vor einem Ge­bäude, das er mit einer Mischung aus Anerkennung und Frotzelei das „Weiße Haus“ nennt.  Im Münchener Westen hat die Allguth einen repräsentativen Firmensitz bauen lassen, in dem die Verwaltung ihr Zuhause hat. Auch Jürgen Götz, der bei der Allguth die Tankstellenleitung innehat, hat hier ein geräumiges, lichtdurchflutetes Büro. Mit einem Strahlen im Gesicht begrüßt er seinen alten Kameraden Berbalk, mit dem er zusammen einst gedient hatte. Ein kurzer Austausch, Übergabe der Monatsabschlüsse und schon schließt sich die Tür des „Weißen Hauses“ wieder. Er sei schon sehr zufrieden mit der Allguth, sagt er, als wir ins Auto steigen. Hier dürfe man ein gutes und ein zweites gutes Jahr in Folge haben, ohne dass die Provisionen sofort angepasst werden.

Nächste Station bei der morgendlichen Stadtrundfahrt ist die Anwaltskanzlei, die die Steuerprüfung übernimmt. Auch in diesem mehrstöckigen Bürokomplex hält sich Berbalk nicht länger auf als nötig. Ein kurzer Plausch mit den Empfangsdamen, mal den Kopf in die Tür reinstrecken, das scheint zu genügen. „Eigentlich könnte ich die Unterlagen an die Allguth und an das Steuerbüro per Post schicken. Aber zum einen ist es gut, sein Gesicht zu zeigen. Und andererseits kommt man bei der Abrechnung am Monatsersten gleich als Erstes dran“, erklärt Berbalk.

Die letzten Meter

Beim Großhändler Metro will er noch ein paar Artikel einkaufen, die er auf die Schnelle braucht: Schmelzkäse für die Käsebrezeln, Kinder Maxi King für die Kühltheke sowie Tampons. Auf der Fahrt vor die südlichen Tore Münchens erzählt er von seiner Heimatstadt Kaufbeuren im Allgäu, aus der auch seine Frau Carmen stammt, seine zweite Ehefrau. Sie kennen sich seitdem er 15 Jahre alt ist, sie war damals acht. Schwierig sei es, genügend Zeit füreinander zu finden, insbesondere im Moment, wo die Hauptkraft für die Nachtschicht seit Wochen erkrankt ist. Seine Frau sei die einzige an der Tankstelle, die sie ersetzen kann.

Zurück an der Station stopft Berbalk die morgens gezählten Einnahmen vom Vortag in zwei Geldbeutel. Er wirkt nicht einmal müde, obwohl er zwei Stunden länger auf den Beinen ist als ich. „Alles Gewöhnungssache“, schmunzelt der Riese, ehe er sich verabschiedet und mit seinem Lincoln davonbraust. Von der heimischen Couch trennt ihn jetzt nur noch ein kurzer Besuch bei seiner Hausbank – und mich eine halbstündige Heimfahrt.

(Autor: Michael Simon; Der Artikel erschien in Ausgabe 3.2016 von Sprit+.)

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