Weltneuheit in Starnberg – unter dieser Überschrift berichtet die Allguth auf ihrer Internetseite über die Eröffnung einer frisch umgebauten Station in der Kreisstadt südwestlich von München. Ob es sich dabei wirklich um eine Weltneuheit handelt, kann an dieser Stelle nicht bewiesen werden. Aber in der deutschen Tankstellenbranche ist das Konzept in jedem Fall ein Novum. Der Grund: Die A-Gesellschaft Total und der Münchener Mittelständler Allguth treten an diesem Standort als gleichwertige Partner auf. Das wird nicht nur optisch durch das Co-Branding an der Tankstelle sichtbar, sondern zeigt sich auch in einigen Besonderheiten im Handelsvertrag.
Entstanden ist diese neue Form einer Markenpartnerschaft aus der sich verändernden Situation in Starnberg. Dort fuhr Allguth seit vielen Jahren eine Zweimarkenstrategie mit einer Station unter dem Allguth- und einer unter dem Aral-Logo. Aufgrund eines Bauprojekts, das nur noch auf die Genehmigung wartet, muss die Allguth-Station in den kommenden Monaten schließen. „Wir wollten in Starnberg auf der einen Seite weiterhin als Allguth präsent sein und unsere Expertise im Waschgeschäft, im Getränkemarkt und im Bistro zeigen. Das sind die Kompetenzen, mit denen wir in der Region bekannt sind“, beschreibt Allguth-Geschäftsführer Christian Amberger die Ausgangssituation.
Auf der anderen Seite wollte man für die Kunden, die Wert darauf legen, Kraftstoff bei einer A-Marke zu tanken, weiterhin Markenqualität zum Ausdruck bringen. Neben dem Premiumimage ist die breite Flottenkartenakzeptanz, die vor allem gewerbliche Kunden an die Tankstelle holt, ein weiterer Vorteil einer A-Gesellschaft. Für Allguth, die vor allem im Privatkunden-Segment stark ist, ist das ein wichtiger zusätzlicher Absatzkanal. „Unsere Idee war deshalb ein Konzept, das aus einem Co-Branding zweier Unternehmen besteht“, erklärt Amberger.
In Gesprächen mit Aral wurde klar, dass die Idee des Co-Branding nicht mit den nationalen und internationalen Bestimmungen des Konzerns kompatibel ist. Total, von denen das Münchener Familienunternehmen schon seit zehn Jahren Kraftstoff bezieht, zeigte sich hingegen offen für die Idee, an einem Standort zwei Images zu leben. Also wurde die Starnberger Station aus dem Vertrag mit Aral gelöst. „Das ist kein Bruch mit der Aral. Im Gegenteil: Wir arbeiten an vielen anderen Standorten natürlich weiterhin professionell zusammen“, betont Amberger.
So stand dem Umbau nichts mehr im Wege: Vom 29. März bis zum 1. April wandelte sich die blaue in die braune Attika des T-Air-Konzepts von Total mit der brandneuen Optik der gemeinsamen Logos nebeneinander: „Allguth Total“. Zudem wurden die Zapfsäulen und alle Werbeelemente wie der Preismast, Auszeichnungen und die Einfahrtspfeile ausgetauscht. „Das war viel Arbeit, ging aber innerhalb der drei Tage reibungslos über die Bühne – trotz verschärfter Bedingungen wegen Corona“, erinnert sich Amberger.
Die Kosten für die Baumaßnahmen hat der Mittelständler übernommen. „Wir haben uns dafür entschieden, das lieber selbst zu bezahlen und dafür die Ware günstiger von Total abzunehmen“, erklärt der Geschäftsführer. Das Shopgebäude mit Getränkemarkt und die Waschstraße erstrahlen nun neu im Corporate Design der Allguth und zeigen dem Kunden noch besser, dass er sich hier auf die besonderen Allguth-Services verlassen kann. Einige Rückfragen von Kunden, um was für eine Marke es sich nun handle, gab es laut Amberger zwar. Die Verwirrung ließ sich aber mit der Beschreibung des neuen Konzepts schnell auflösen.
Neben dem neuen optischen Auftritt haben sich die Partner auch auf einige Besonderheiten im Handelsvertrag geeinigt: Total überlässt die Preisgestaltung der Allguth-Zentrale in Gräfelfing. „Das ist sehr positiv, weil wir viel besser auf die regionalen Besonderheiten eingehen können, als eine bundesweit aktive Gesellschaft das zentral machen kann“, ist Amberger überzeugt. Wettbewerber in Starnberg, eine der Gemeinden mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Privathaushalte in Deutschland, sind Esso und Shell. „Wir fahren A-Preis-Niveau, aber unter strenger Beobachtung des Marktes, so dass wir unseren Kunden immer zeitnah einen guten Preis anbieten können“, verspricht der Unternehmenschef. Dass Total ihnen die Preishoheit überlassen hat, sieht er als Vertrauensbeweis in die Markenpartnerschaft. „Das Hü und Hott beim Pricing könnte man in Deutschland verhindern, indem man die Verantwortung wieder in die Region und die Hände der Markenhändler gibt, die vertrauensvoll mit diesem Thema umgehen“, ist er sich sicher.
Ein weiterer Pluspunkt: Allguth darf die Total-Ware mit der eigenen Logistik von der Raffinerie abholen. „Das ist ein gravierender Vorteil, weil man das Thema Disposition und Logistik mit eigenen Spediteuren viel besser im Griff hat und so Engpässe oder gar Leerläufe leichter vermeiden kann“, sagt Amberger. Außerdem dürfen die Gräfelfinger mit ihrem eigenen Kassensystem, das seit 2019 von Huth stammt, und der eigenen Warenwirtschaft arbeiten – laut Amberger ein „unglaublicher Vorteil“, weil Allguth auf niemanden Rücksicht nehmen muss und die Konzepte realisieren kann, die sie auch unter der eigenen Marke umsetzen.
Die neue Partnerschaft ist folglich eine Erweiterung des bisherigen Handelsvertrags, der es den Münchnern erlaubt, eine bestehende Station mit dem Total-Branding zu ergänzen. Das ermöglicht die Verbindung der Stärken eines Mittelständlers mit denen einer A-Gesellschaft. Diese Vorteile sieht man auch bei Total: „Wir setzen bewusst auf die regionale Bekanntheit und Kompetenzen unserer Kooperationspartner, die Allguth ohne Frage besonders auszeichnet. Als einer der größten Tankstellenbetreiber Deutschlands sind wir sehr gespannt, von den innovativen Konzepten der Firma Allguth zu lernen“, betont Dirk Köhler aus dem Business Development von Total.
Thomas Strauß, Direktor Tankstellen bei Total, ergänzt: „Mittelstandskooperationen im Tankstellenbereich sind ein ganz entscheidender Teil unserer Wachstumsstrategie. Wir schätzen dabei die Stärke der mittelständischen Tankstellenbetreiber sehr, die nicht ohne Grund oftmals schon seit vielen Generationen erfolgreich am Markt vertreten sind.“ Wichtig dabei sei die Zusammenarbeit auf Augenhöhe: „Wir profitieren von der individuellen Gestaltungskraft eines regional etablierten Unternehmers und bringen unsererseits die Erfahrung eines international agierenden Energiekonzerns ein, von der unsere mittelständischen Geschäftspartner wiederum stark profitieren können.“
Denkanstoß für neue Wege
Für Allguth ist die Station in Starnberg ein Test. „Wir wissen noch nicht, wie es weitergeht. Wenn wir feststellen, dass das Konzept super läuft, dann werden wir uns überlegen, an welchen anderen Standorten wir es noch umsetzen können“, kündigt Amberger an. In jedem Fall wolle man mit der Station in Starnberg ein Zeichen setzen, dass es auch andere Wege der Kooperation zwischen Mittelstand und A-Gesellschaft gibt. „Warum soll ich mich zu 100 Prozent an den Hals eines Konzerns werfen, wenn ich selbst tolle eigene Konzepte habe“, findet Amberger. Er fordert dazu auf, darüber nachzudenken, ob das klassische Modell einer Markenpartnerschaft noch zeitgemäß ist oder ob es nicht Sinn macht, in Form eines Co-Brandings neue Wege zu gehen – auch wenn die Station in Starnberg dann ihr Alleinstellungsmerkmal verliert. (Autorin: Annika Beyer. Der Artikel erschien in Sprit+ 5./6.2020.)