Das Urteil des OLG Schleswig ist lebensfern und rechtsfehlerhaft. Die vom OLG vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung weicht von den Vorgaben des BGH im zitierten Urteil ab und ist im Ergebnis ebenso willkürlich wie das vorangegangene Urteil vom 3. Dezember 2015, das vom BGH im Parallelverfahren aufgehoben und zurückverwiesen worden war.
Der BGH hatte das erste Kassenpachturteil aus Schleswig aufgehoben, da die damalige Bewertung der kostenlos zu überlassenen Kassensystemkomponenten mit 50 Prozent nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruhte, sondern letztlich aus der Luft gegriffen war und mit allgemeinen Erwägungen wie der Nützlichkeit des Kassensystems für beide Seiten begründet wurde. In seinem neuerlichen Urteil stellt das OLG Schleswig nunmehr zwar eine Berechnung der mutmaßlichen Gesamtkosten des Kassensystems voran, setzt jedoch die einzelnen Kassenkomponenten nicht kalkulatorisch in Relation zueinander und unternimmt insbesondere keinen Versuch, die kostenlos zu stellende Preiseingabefunktion wertmäßig gegen die anderen Kassenfunktionen abzugrenzen. Die pauschale Schätzung des Kostenanteils der Preiseingabefunktion auf 20 Prozent beruht wiederum nicht auf konkreten Anknüpfungstatsachen, sondern auf allgemeinen Erwägungen und Spekulationen darüber, wie mündliche Hinweise der BGH-Richter im Parallelverfahren zu deuten seien. Mit den gleichen Erwägungen hätte der OLG-Senat den Kostenanteil der Preiseingabefunktion auch auf 40 Prozent oder auf zehn Prozent schätzen können.
BGH nahm keine Bewertung vor
Sachfremd ist insbesondere die Erwägung, ein BGH-Richter habe dem Pächter in der mündlichen Verhandlung zur Rücknahme der Revision geraten, weshalb der Kostenanteil der Preisübermittlung weniger als 50 Prozent betragen müsse. Der BGH führte in seinem Urteil aus, dass auf Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden könne, „ob und in welchem Umfang die Vergütungsvereinbarung wirksam“ ist. Das Gericht sah sich also in Ermangelung konkreten Parteivortrags zu den einzelnen Kassenkomponenten gerade daran gehindert, die Sache selbst zu entscheiden und eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen. Hätte sich der BGH im Stande gesehen, eine entsprechende Bewertung vorzunehmen, hätte diese Eingang in das Urteil gefunden. Daher verbietet es sich, aus mutmaßlichen Äußerungen einzelner Richter in der mündlichen Verhandlung zu einem anderen Verfahren, die zudem noch nicht einmal Eingang in das dortige Urteil gefunden haben, willkürlich irgendwelche Quoten abzuleiten.
Rechtsfehlerhaft ist auch die Annahme des OLG, alle Systemfunktionen im Zusammenhang mit dem Verkaufsvorgang (Kassierfunktionen, einschließlich Kartenverarbeitung, und zwar auch im Agenturbereich) seien dem selbst zu finanzierenden regelmäßigen Geschäftsbetrieb des Pächters zuzuordnen und diesem kostenmäßig zuzuschlagen. Diese Sichtweise kann schon deshalb nicht überzeugen, weil sie unvereinbar ist mit dem Ausgangspunkt des BGH, wonach aus dem Leitbild des Handelsvertreters als selbstständiger Vermittler von Geschäften folgt, dass er sich einerseits nicht an den Kosten des Unternehmens beteiligen muss, andererseits jedoch das alleinige Risiko der von ihm entfalteten Absatzbemühungen trägt.
Kasse nicht übliche Ausstattung
Die Kosten der Tankstellenkasse sind aber gerade nicht Teil der Absatzbemühungen des Handelsvertreters, da ein solcher nach dem gesetzlichen Leitbild nur Verträge vermittelt, nicht aber Gelder vereinnahmt. Es ist zwar richtig, dass Tankstellenverträge den Pflichtenkreis der Pächter über das gesetzliche Aufgabengebiet eines Handelsvertreters erweitern und die Pächter insbesondere mit dem Inkasso der Kraftstoffverkaufserlöse betraut sind. Daraus erfolgt entgegen der Annahme des OLG allerdings keineswegs, dass eine Tankstellenkasse mit all ihren branchenspezifischen Funktionen zur üblichen Geschäftsausstattung eines Handelsvertreters im Sinne von § 87d HGB gehört.
Falsch und unhaltbar ist auch die Annahme des OLG, zum üblichen Geschäftsbetrieb hätten ferner alle Funktionen gehört, „die mit der Feststellung und Nachhaltung des Warenbestands zu tun haben“, wie die Tankinhaltsmessung und die Nasszahlenübermittlung. Ebenso wie das Inkasso gehören die Lagerhaltung und Bevorratung nicht zu den gesetzlichen Aufgaben eines Handelsvertreters und können mithin die in diesem Zusammenhang entstehenden Systemkosten nicht der allgemeinen Geschäftsausstattung des Handelsvertreters gemäß § 87d HGB zugeordnet werden. Nach den Vertikalleitlinien der Europäischen Kommission darf einem Handelsvertreter gerade nicht auferlegt werden, auf eigene Kosten oder eigenes Risiko Vertragswaren zu lagern.
Im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung ist eine hypothetische Betrachtung vorzunehmen und zu unterstellen, dass die Parteien noch keine Vereinbarung über die Einrichtung des Kassensystems und die Tragung der Kosten hierfür getroffen hätten. In dieser Betrachtung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und welche Kassenkomponenten „erforderliche Unterlagen“ sind. Maßgeblich für die ergänzende Vertragsauslegung ist vielmehr allein, ob und welche Kassenmietregelung die Parteien nach Treu und Glauben und bei angemessener Abwägung der beiderseitigen Interessen getroffen hätten. Das OLG verkennt mithin schon im Ansatz den Zweck der ergänzenden Vertragsauslegung und nimmt nicht die vom BGH geforderte angemessene Abwägung der beiderseitigen Interessen vor, sondern argumentiert einseitig anhand von § 87d HGB und schlägt (noch dazu mit falscher Begründung) alle sonstigen Kassenkomponenten der Kostenverantwortung des Handelsvertreters zu.
Kostenverteilung ungerecht
Das Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung, die einen objektiv angemessenen Interessenausgleich zum Ziel hat, darf nicht gegen die kaufmännische Vernunft verstoßen. Dennoch übergeht das OLG kaufmännisch geradezu zwingende Erwägungen wie etwa diejenige, dass die Kosten des streitgegenständlichen Kassensystems die Kosten einer für das Eigengeschäft vollkommen ausreichenden Registrierkasse um das Vielfache übersteigen. Laut OLG Schleswig soll der Pächter also ein Tankstellen-Management-System zum Preis von circa 37.000 Euro (auf zwölf Jahre) zu 80 Prozent bezahlen, das für ihn einen Nutzwert von gerade einmal 1.000 Euro hat (Preis einer einfachen Shopkasse). Es liegt auf der Hand, dass dies keine gerechte Kostenverteilung ist und ein kaufmännisch vernünftig denkender Pächter einer solchen Regelung nicht zugestimmt hätte. Die Kostenquote des OLG Schleswig kann daher nicht überzeugen und sollte vom BGH korrigiert werden.
(Autor: Rechtsanwalt Kay Wagner; der Kommentar erschien in Sprit+ 10./11.2017.)