Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs muss aus Sicht einer Regierungskommission in den kommenden Jahren deutlich an Fahrt gewinnen. "Trotz erheblicher technischer Fortschritte konnte der Verkehrssektor in den letzten Jahren die CO2-Emissionen nicht reduzieren", heißt es im Abschlussbericht der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), der am Mittwoch vorgelegt wurde. Das Verkehrsaufkommen wachse besonders im Güterverkehr. Gleichzeitig würden Klimaziele verschärft.
Nach Einschätzung des Expertengremiums müssen bis 2030 bis zu 14 Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland unterwegs sein, um einen ausreichenden Beitrag zur Umsetzung der im Juni verschärften Klimaziele im Verkehr zu liefern. Als bisheriger Planungshorizont für die Autobranche hätten sieben bis zehn Millionen E-Pkw 2030 gegolten. Vor dem Hintergrund der von der EU-Kommission vorbereiteten Verschärfung der Flottengrenzwerte und Ankündigungen der Hersteller werde jedoch ein deutlich höherer Bestand "als realistisch angenommen und kann für die Erreichung der Klimaziele erforderlich werden".
Von den angestrebten Größenordnungen ist der deutsche Pkw-Fuhrpark allerdings noch sehr weit entfernt, auch wenn der Anteil von E-Autos bei den Neuzulassungen steigt. Der Autoindustrieverband VDA bekräftigte seine Mahnung, dass für den Hochlauf der Elektromobilität eine flächendeckende Ladeinfrastruktur nötig sei, "die den Menschen das Vertrauen gibt, dass sie überall laden können".
Plug-in-Hybride als "Wegbereiter" zur E-Mobilität
Ausdrücklich verzichtet die Plattform, sich beim Umbau des Autoverkehrs einseitig auf E-Mobilität zu konzentrieren. So empfiehlt das Gremium Plug-in-Hybdride, die mit Elektroantrieb und Verbrennungsmotor fahren, als "Wegbereiter", die Kunden an die Elektromobilität heranführen könnten.
Die NPM war vor drei Jahren von der Bundesregierung beauftragt worden, Vorschläge für Klimaneutralität im Verkehr und zur Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Autoindustrie vorzulegen. Teilnehmer der aus insgesamt 240 Experten bestehenden Kommission kritisierten, dass die Schlussfolgerungen insgesamt zu autolastig seien. Zwar empfiehlt der Abschlussbericht auch, dass der öffentliche Verkehr auf Straße und Schiene attraktiver und flexibler werden müsse. Mehrere Verbände, darunter der BUND und der Deutsche Städtetag, kritisierten aber "den fehlenden Willen, den Autoverkehr spürbar zu reduzieren" und verlangten von der nächsten Bundesregierung Priorität für Fuß- und Rad- sowie öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Die auch an der Plattform beteiligte Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz der Bundesländer, die Bremer Senatorin Maike Schaefer (Grüne), betonte, die Mobilitätswende brauche mehr Alternativen zum Autobesitz.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wies die Kritik zurück. 95 Prozent der verkehrsbedingten CO2-Emissionen entfielen auf den Straßenverkehr. "Genau das ist ja unser Thema, wo mach ich am schnellsten Masse bei der Erreichung der Klimaziele, und das ist halt einfach mal das Thema Straße, und da gehört halt das Auto dazu." VDA-Chefin Hildegard Müller betonte, gerade auf dem Land seien Autos für viele Menschen unverzichtbar. Sie seien bereit, unterschiedliche Verkehrsmittel zu nutzen, fänden aber nicht immer passende Angebote. "Hier gibt es noch viel Aufholbedarf."
Mehr Teile in Deutschland fertigen
Scheuer appellierte an die Autoindustrie, mehr Teile in Deutschland herzustellen. Es wäre die falsche Botschaft an die Autofahrer, Prämien für den Kauf von E-Fahrzeugen auszuloben, "die Endverbraucher aber dann ein Dreivierteljahr auf das Produkt warten müssen, weil verschiedene Teile nicht lieferbar sind". In der Branche kommt es immer wieder zu Produktionsstopps, weil zum Beispiel Halbleiter fehlen. Wichtige Lieferanten sitzen in Asien. Der CSU-Politiker sagte: "Ich hoffe, dass nicht nur der globale Blick eines Herstellers das Entscheidende ist, sondern auch das, was an Komponenten unbedingt in Deutschland verbleiben muss, um auch in Deutschland die Lieferketten zu halten".
NPM-Chef Henning Kagermann zeigte sich optimistisch, dass der klimaneutrale Umbau des Verkehrs unter dem Strich mehr Arbeitsplätze schafft als vernichtet. Die größte Herausforderung sei allerdings die Qualifizierung. "Die Schwierigkeit ist dorthin zu kommen, weil es andere Arbeitsplätze sind" und deutlich mehr Experten für Digitalisierung und Dienstleistungen gebraucht würden. "Die Frage ist: Krieg' ich die heutige Beschäftigungsmannschaft rüber in die neue Welt?" Auch für die Beschäftigung sei es wichtig, möglichst viele der für die E-Mobilität nötigen Teile wettbewerbsfähig in Deutschland fertigen zu können.