Zwei Besonderheiten zeichnen die Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel an der A71 bei Sömmerda in Thüringen aus, die Shell seit dem 1. Oktober 2018 errichtet. Zum einen setzt der Neubau den Siegerentwurf aus einem Architekturwettbewerb um, was für eine Tankstelle eher ungewöhnlich ist. Die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) hatte den Wettbewerb 2015 ausgelobt, noch ohne einen Konzessionsnehmer zu haben. Erst als die Preisträger feststanden, fand das Konzessionsvergabeverfahren statt. Shell bewarb sich mit dem Siegerentwurf und bekam den Zuschlag.
Zum anderen, und das ist überhaupt erst der Grund für den Architekturwettbewerb, liegt neben der künftigen Rastanlage das Fürstengrab von Leubingen, das größte erhaltene Fürstengrab der Auntjetitzer Kultur aus der Frühbronzezeit. Die Fürstengräber dieser Kultur hoben sich durch große, weithin sichtbare Hügel von den normalen Bestattungen ab. So ist der Leubinger Fürstenhügel nicht nur Namensgeber der Rastanlage, sondern auch Dreh- und Angelpunkt des architektonischen Konzepts.
Neben den funktionalen Anforderungen an eine Raststätte mussten die Planer einen kulturellen Aspekt beachten: „Ein Fußweg führt von der Rastanlage zum Fürstenhügel, den wir als Zeitreiseweg bezeichnen“, erklärt Architekt Jonas Greubel von Mono Architekten. Der Weg wird von Informationstafeln begleitet und vermittelt so die geschichtlichen Hintergründe.
Der Entwurf ist interdisziplinär entstanden. Greubel nennt es ein partnerschaftliches Entwerfen von Landschaftsarchitekt, Architekt und Kommunikationsdesign, das den Zeitreiseweg und eine zusätzliche Ausstellung in der Rastanlage begleitet. „Schon im Wettbewerb haben wir immer eng als Team zusammengearbeitet, um die Architektur ganz auf den Hügel auszurichten“, betont er. So ist der Siegerentwurf nun ein individuelles Konzept für genau diesen Standort.
Fürstenhügel im Mittelpunkt
Die Rastanlage selbst ist ein langgestreckter Baukörper, der als Winkel ausgerichtet ist. Der eine Schenkel ist eine 45 Meter lange Stahlkonstruktion, unter der sich ohne weitere Stützen die Zapfanlagen befinden. Im Winkel selbst befindet sich der Shop. Der zweite Schenkel knickt leicht von der Autobahn weg, damit er zum Fürstengrab hin ausgerichtet ist. Dort liegen alle Funktionsanlagen der Raststätte wie Toiletten, der Gastraum und auch der Raum mit der Ausstellung über das Grab.
Das Dach ist über den Zapfsäulen ein Flachdach, auf dem zweiten Schenkel entwickelt es sich ansteigend zu einem klassischen Giebeldach. So steigert sich auch die Raumhöhe vom Shop zum Gastraum auf bis zu acht Meter.
Der Architekt beschränkt sich in einer „relativ reduzierten Architektursprache“ auf zwei wesentliche Materialien: „Die Außenhaut ist eine ungleichmäßig gefaltete Aluminiumfassade. Das Dach und die Fassade sind einheitlich aus Aluminium, sodass das Gebäude wie aus einem Guss aussieht“, erklärt Greubel. Das war ihm wichtig, da man von dem erhöhten Grabhügel aus auf die Raststätte herunterblicken kann. Den Gästen soll von der Anlage wie vom Hügel aus eine Atmosphäre der Ruhe vermittelt werden, während sich zugleich die Architektur der Rastanlage gegenüber dem historischen Fürstenhügel zurücknehmen soll.
Im Innenbereich sind alle öffentlichen Räume mit Holz ausgekleidet. Auf diese Weise schafft der Architekt einen bewussten Kontrast zwischen außen und innen. Der Gastraum hat eine durchgehende Glasfassade, damit der warme Holzton schon von außen eine gewisse Einladung ausspricht und eine Wohlfühlatmosphäre schafft. „Die Leute sollen ja länger bleiben und sich am besten mit dem Fürstenhügel und seiner Geschichte beschäftigen“, sagt Greubel.
State of the Art für Shell
Die unternehmerische Zielsetzung von Shell für dieses Projekt ist, einen zukunftsweisenden Beitrag zur Mobilitäts- und Baukultur zu leisten, erklärt Pressesprecherin Cornelia Wolber. „Die Reisenden und Rastenden können sich versorgen, erholen und sogar, aufgrund der Spezifik des Standortes, auch etwas über die Region und deren Geschichte lernen und durch die platzierten Stelen des Zeitreiseweges erleben.“
Das Konzept soll den regionalen Ansatz vertiefen und einen starken Bezug zur Geschichte herstellen. „Damit sollte die Verbindung Region und Bau stärker als an anderen Standorten ausgeprägt sein“, vermutet Wolber. Der Leubinger Fürstenhügel soll einen neuen State of the Art, ein Flaggschiff des Mineralölunternehmen darstellen. „Wir investieren an diesem Standort in alle aktuell möglichen Antriebsarten“, betont Wolber. Die Station ist mit drei Pkw-, zwei Lkw- und einer LPG-Zapfsäule sowie Adblue-Tankmöglichkeiten an allen Lkw- und einer Pkw-Zapfsäule und drei Elektroladesäulen geplant. H2 und LNG seien prinzipiell für die Zukunft denkbar und vom verfügbaren Platz auch nachrüstbar. Am Leubinger Fürstenhügel bleiben spätestens dann keine Wünsche mehr offen.
(Autorin: Julia Richthammer; Der Artikel erschien im Sonderheft Bauen 2019)