Elektromobilität ist seit Jahren in den Medien präsent. In den vergangenen Monaten hat das Thema jedoch eine Renaissance erlebt: Die Regierung will den Kauf von E-Autos mit einer Prämie bis zu 4.000 Euro schmackhaft machen, der Bundestag hat die Steuerbefreiung für die Käufer neuer und umgerüsteter Elektrofahrzeuge deutlich verlängert und die Grünen haben vor, ab 2030 in Deutschland keine Autos mit Benzin- oder Dieselmotoren mehr zuzulassen.
Bedeutet diese Entwicklung den Abgesang auf die Tankstelle? Oder kann die Branche sogar davon profitieren? Dieser Frage geht die Studie „Nutzung der mittelständischen Tankstelleninfrastruktur für die Elektromobilität“ der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und der Hochschule Magdeburg-Stendal nach. In Auftrag gegeben hat sie die Mittelständische Energiewirtschaft Deutschland (MEW) und der Bundesverband freier Tankstellen (BFT). Sie stellten die Studie im Oktober sowohl bei einem parlamentarischen Mittagessen in Berlin als auch auf der BFT-Arbeitstagung in Kassel vor.
Kein Mut zur Lücke
Glaubt man der Studie, können sich Tankstellenbetreiber aktuell noch entspannt zurücklehnen. Die von der Bundesregierung geplanten eine Million E-Fahrzeuge bis 2020 werden wohl nicht erreicht. Verantwortlich machen die Autoren unter anderem den „lückenhaften Netzausbau der öffentlich zugänglichen Ladepunkte und den teils zeitintensiven Ladevorgang durch fehlende Schnellladesäulen“. Derzeit gibt es etwa 6.500 öffentliche Ladepunkte, darunter nur 150 Schnellladesäulen. Es fehlt nicht nur im ländlichen Raum flächendeckend an Infrastruktur, sondern auch in den Metropolen und Ballungsräumen.
Und welche Rolle spielen dabei die Tankstellen? Mit einem Anteil von 1,8 Prozent an der Infrastruktur nur eine geringe – obwohl laut Studie technische Anschlussparameter an vielen mittelständischen Tankstellen vorhanden wären. Allerdings sind hier nur Schnellladesäulen mit einer Ladezeit von wenigen Minuten interessant, denn kein Kunde wird acht Stunden auf der Station verbringen, bis er weiterfahren kann. Hier sehen die Autoren auch die Chance für die Branche, durch Waren- und Dienstleistungsangebote für die Wartezeit die Kundenbindung und den Umsatz an der Station zu erhöhen.
Demgegenüber stehen die Investitionskosten für die Ladesäule und den Bau, die abhängig vom Standort bei etwa 40.000 bis 50.000 Euro liegen. Betreiber können pro Ladung, Stromeinheit oder nach Ladezeit abrechnen. Wer etwa sechs Euro für eine Ladung verlangt, dabei selbst circa 1,60 bis zwei Euro für den Strom zahlt, arbeitet bei fünf bis sechs Ladungen am Tag kostendeckend, rechneten die Referenten auf der Arbeitstagung vor. Offen bleibt derzeit, ob der Gesetzgeber wie bei den konventionellen Kraftstoffen eine Preisauszeichnung fordern wird und wie diese mit Diesel und Benzin vergleichbar gemacht werden kann.
Finanzielle Unterstützung für die Investition erhalten Tankstellenbetreiber bei verschiedenen Förderprogrammen des Bundes oder der Länder. „Fördermittel lehne ich allerdings als Mittelständler erst einmal grundsätzlich ab, weil sie den Markt kaputt machen. Man muss einen Markt sich entwickeln lassen und nicht erst fördern“, gab BFT-Geschäftsführer Axel Graf Bülow auf dem parlamentarischen Mittagessen zu bedenken. Wenn die Politik allerdings Fördermittel bereitstellt, wie es aktuell der Fall ist, dann sollten diese nicht nur den großen MÖG oder einer bestimmten Klientel zur Verfügung stehen, sondern auch dem Mittelstand, forderte er.
Konkrete Lösungen fehlen
Egal ob mit oder ohne Fördergelder, die Investition in eine Ladesäule muss sich insbesondere für den Mittelstand lohnen, denn Fehlentscheidungen können schneller negative wirtschaftliche Auswirkungen als bei den A-Gesellschaften haben. Zum derzeitigen Stand sei allerdings auf längere Sicht keine Rendite zu erwarten, warnt die Studie. Daher raten die Autoren dazu, bei der Wahl der Standorte besonders sorgfältig zu sein.
In diesem Zusammenhang nennen sie einige Faktoren, die bei der Entscheidung eine Rolle spielen sollten, ohne sie jedoch zu konkretisieren: Relevant seien etwa die regionalen Gegebenheiten, das Nutzerverhalten und die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge. Indem die Branche den Aufbau von Schnellladesäulen verstärke, bleiben Tankstellen wichtige Infrastruktur-Standorte. Gerade in der flächendeckenden Ausrichtung kämen dann auch den mittelständischen Tankstellen eine besondere Bedeutung zu. Ladesäulen sollen also das bestehende Geschäft nicht beeinträchtigen, sie müssen es vielmehr ergänzen.
Hier finden Sie die Studie „Nutzung der mittelständischen Tankstelleninfrastruktur für die Elektromobilität“.
(Autorin: Annika Beyer; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 12/2016.)