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Tankstelleneröffnung: Der Schwarzwälder Zwitter von Avia Oest

13.10.2016 11:18 Uhr
Zeitreise: An der Avia-Station in Freudenstadt ist alles auf alt gemacht und trotzdem modern.
© Foto: Annika Beyer

Nicht retro, authentisch oder ein Museum will die neue Tankstelle des Aviaten Oest in Freudenstadt sein – und ist doch alles in einem. Aber vor allem ist sie eines: ein echter Hingucker. // Mit Bildergalerie

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Mehrere Trucker lassen die imposanten Hupen ihrer 40-Tonner aufheulen, als sie an der Tankstelle vorbeifahren. Wenige Minuten später steigt ein Motorradfahrer trotz Temperaturen über 30 Grad in seiner schwarzen Lederkluft von der Maschine, wandert entlang der Absperrung um das Gelände und macht Fotos mit seinem Smartphone. An einer gewöhnlichen Tankstelle wäre dieses Verhalten von Vorbeifahrenden wohl ungewöhnlich bis seltsam, nicht so an dieser Station.

Denn an der Bundesstraße 28 in Kniebis, einem Ortsteil von Freudenstadt, mitten im Schwarzwald hat der Aviate Oest Ende August eine ganz besondere Tankstelle eröffnet und damit alle Blicke des passierenden Verkehrs auf sich gezogen. Und nicht nur dessen: Auch die ­geladenen Gäste aus der Region und Branche ­konnten sich an der Tankstelle nicht sattsehen, begutachteten und fotografierten jedes Detail, nachdem sie einer der fröhlich lächelnden Tankwarte in blauem Anzug durch die Absperrung auf das Tankfeld gelassen hatte.

Zu sehen gibt es genug: Etwa die mit Rostflecken auf alt gemachten roten Zapfsäulen von Gilbarco. Oder den weißen Preisturm, der statt moderner LED- oder Segmenttechnik mit Rollenbandtechnik arbeitet. Damit kommt die Anzeige dem damaligen optischen Standard am nächsten – ohne dass jemand bei einer Preisänderung auf eine Leiter steigen muss. Bei der Sonderanfertigung von PWM wurde außer­dem, wie zu der Zeit üblich, auf die kleine „9“ verzichtet. Dementsprechend wurde ein schmalerer Kasten konstruiert und die Software auf drei Ziffern angepasst.

Doch die Entdeckungsreise ist auf dem Tankfeld nicht zu Ende: Der von Stracke Laden­bau entworfene Verkaufsraum mit 90 Quadratmetern Fläche und 17 Sitzplätzen ist geprägt von Neonlicht, bunten Farben, dem beige und dunkelbraun gefliesten Boden und von runden Formen. Die Regale in der Mitte des Shops sind ebenso gebogen wie die Kühlein­heiten und die Bistrotheke. Dort findet der Kunde ein breites Angebot, das sich nicht vor einem Bäcker oder normalen Café verstecken muss. Kaffee und belegte Semmeln können die Besucher bei schönem ­Wetter auf der Terrasse mit 25 Sitzplätzen genießen, die einen traumhaften Blick auf den Bergrücken Kniebis bietet. An Shop und Bistro grenzt die Waschhalle, die zum Werkstatt-Showroom mit alten Ölkannen und neuen Produkten von Oest umfunktioniert wurde.

Back to the 60‘s

Doch welches Konzept steckt hinter der Tankstelle des Schwarzwälder Avia-Gesellschafters? Mit einem Museum vergleichbar ist höchstens der Showroom, denn alle anderen Bereiche sind funktionsfähig wie an jeder modernen Tankstelle. Auch die Bezeichnung „authentisch“ trifft es nicht ganz. Auf dem Gelände finden sich zwar überall Stilelemente der 60er Jahre wieder, doch gerade Shop und Bistro hätte es in dieser Ausführung nicht gegeben: Wo heute Schokoriegel, Eis und Red Bull kombiniert mit einer richtigen Gastronomie angeboten werden, hätte der Tankkunde früher höchstens Keilriemen und ein paar Autopflegeprodukte gefunden. Also eine Retrotankstelle im Stil der 60er Jahre? Das beschreibt die Avia-Station wohl am ehesten, auch wenn man bei Oest behauptet, „diesen Begriff schon längst über Bord geworfen zu haben“.

Für die Umsetzung holte man neben Stracke Ladenbau den Künstler Christoph Hodgson ins Boot, der beispielsweise die ­Restaurants im Glasturm der Motorwelt in Böblingen gestaltet hat. Als Vorlage insbesondere für den Außenbereich diente unter anderem ein alter Tankstellenkatalog der Avia, den Josef Grünberger, Leiter Marketing und Tankstellen bei Avia Deutschland, im Keller gefunden hat. „Das war ein echter Glücksgriff, weil wir die Tankstelle von der Markenseite so darstellen konnten, wie es die Avia damals vorgeschrieben hat“, berichtet Oest-­Geschäftsbereichsleiter Thomas Zink.

Zuvor musste sich Oest jedoch die Genehmigung dafür bei Avia International einholen, denn die Tankstellen der Gesellschaft dürfen eigentlich nur im aktu­ellen Corporate Design und Logo auftreten. „Wir haben versprochen, dass es wirklich authentisch aussehen wird und dann hat das Komitee unserer Idee ­zugestimmt“, erzählt Zink.

Zeitplan mit Punktlandung

Nach dieser Genehmigung und der eineinhalbjährigen Planungsphase starteten schließlich am 21. März die Bauarbeiten. „Das ursprüngliche Gebäude war viel zu verbaut, ein Umbau wäre extrem aufwendig gewesen. Und ein kompletter Neubau hätte den Charakter der Tankstelle so verändert, dass das Flair verloren gegangen wäre“, erklärt Zink. Daher habe man sich dazu entschieden, fast alles vom ursprünglichen Gebäude abzureißen. Nur die Fassade und die Fahrbahnüberdachung blieben erhalten, dahinter entstand ein neues Gebäude für den Shop und das Bistro.

Neben unvorhergesehenen Ereignissen wie einem Wintereinbruch im April mit 30 Zentimetern Schnee standen Zink und sein Projektteam vor allem vor einer Herausforderung: Die gefliesten Schrammborde wären beispielsweise in der ursprünglichen Version wegen der fehlenden Ableitfähigkeit nicht zulässig gewesen. „Also gab es die nächste Besprechung im Landratsamt und wir ­haben eine Lösung gefunden, die aller­dings sehr aufwendig war“, erinnert sich Zink. Erst einen Tag vor der Eröffnung wurde deshalb die letzte Fuge gemacht – fünf Monate nach Beginn des Umbaus.

„Es ist etwas Besonderes entstanden. Ich lehne mich jetzt  aus dem Fenster und sage: Es ist die schönste Tankstelle Deutschlands“, sagte Zink sichtlich emotional gerührt bei seiner Eröffnungsrede und ergänzt: „Wir machen uns jetzt auf den Weg und das Beste daraus. Aber wenn wir hier durchgehen, sehen wir ständig noch etwas, was wir verändern wollen.“ Anpassungen und Veränderungen werden daher die Normalität sein. „Es ist nichts Statisches, es wird immer ­etwas passieren.“

Und nun freue er sich auf „Heerscharen von Motorclubs, Touristen, Motorradfahrern, Autofans und normalen Menschen, die an der Tankstelle genauso viel Spaß haben wie wir“. Es spricht ­vieles dafür, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht und der fotografierende Motorradfahrer nicht der letzte sein wird.

(Autorin: Annika Beyer; Der Artikel erschien in Sprit+ 10./11.2016)


Oest-Tankstelle in Freudenstadt

Oest-Tankstelle in Freudenstadt Bildergalerie

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