Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Automobilhersteller seine Leistungen rühmt oder seine Visionen verherrlicht, die er auf dem Gebiet des vernetzten Fahrzeugs vorzuweisen hat. Doch nicht jedem Autofahrer erschließt sich der Sinn der Verknüpfung mit dem Internet. Das könnte sich bald ändern – zumindest wenn es nach dem Münchener Start-up Thinxnet geht. „Unser Ziel ist das vernetzte Fahrzeug, das einen echten Mehrwert für den Kunden hat“, erklärt Hans-Peter Huber, der für die Unternehmensentwicklung zuständig ist.
In den Geschäftsräumen mit Blick auf die Isar hat das Start-up ein Produkt entwickelt, das den Tankstellenbesuch revolutionieren soll. Mit der App „Tanktaler“ können Autofahrer die Daten ihres Fahrzeugs in Echtzeit auf ihrem Smartphone abfragen. Was sie dafür tun müssen, erklärt Huber in wenigen Sätzen. Zuerst lädt sich der User die kostenlose App für Apple- und Android-Smartphones herunter und meldet sich anschließend mit seiner E-Mail und den Fahrzeugdaten an. Hier fragt das Start-up das Baujahr und das Modell ab, denn je nach Angabe erhält der Fahrer die mit seiner Fahrzeugsoftware kompatible Hardware per Post. Dabei handelt es sich um einen Stecker in der Größe einer Visitenkarte, den der Autofahrer nur noch in die sogenannte OBD-Buchse unterhalb des Lenkrads stecken muss.
OBD steht für „On-Board-Diagnose“ und ist seit etlichen Jahren eine Schnittstelle am Auto, die Daten sammelt. Bisher diente sie als Informationsquelle für Werkstätten – ab jetzt können auch interessierte Privatpersonen diese Daten abgreifen. Der Hardwarestecker kommuniziert mit dem dazugehörigen Benutzer der Tankstellen-App über das eingebaute GPS-Modul mit integrierter SIM-Karte. So erhält der User in Echtzeit unzählige Daten aus seinem Auto.
Navigation für Orientierungslose
Ruft ein Autofahrer die App auf, zeigt ein Autosymbol beispielsweise den aktuellen Standort des Fahrzeugs an. Das ist praktisch für Menschen, die vergessen, wo auf dem riesigen Firmenparkplatz sie ihr Auto im morgendlichen Halbschlaf geparkt haben. Und auch denjenigen wird geholfen, die Orientierungsschwierigkeiten beim Einkaufsbummel in einer fremden Stadt haben. Mithilfe der Navigationsfunktion muss man sich noch nicht einmal selbst den Weg zurück zum Gefährt suchen. Die Steuerung des kürzesten Weges übernimmt die App.
Doch die eigentliche Intention der App verrät ihr Name: Es geht ums Tanken. Für jeden gefahrenen Kilometer wird dem Fahrer ein Tanktaler gutgeschrieben. „So nennen wir unsere Währung“, erklärt Huber. „Es ist vergleichbar mit den Punkten, die Sie bei Payback bekommen.“ Mit den gesammelten Tanktalern sollen die Autofahrer künftig, wenn sie an die Tankstelle kommen, bezahlen können. Sie erhalten, sobald sie auf den Forecourt einfahren, eine Push-Nachricht auf ihr Smartphone, dass sie an dieser Station mit Tanktalern bezahlen können. Wenn der Tankvorgang beendet ist, gibt der Appbenutzer einfach seine Zapfsäule an, der Kassenmitarbeiter erhält ein Signal, dass ein Kunde mit Tanktalern bezahlt und beendet den Kaufvorgang mit einer einfachen Bestätigung in der Kasse. Die Talerbezahlung honoriert Thinxnet mit einer Ersparnis von zwei Cent pro getanktem Liter, die das Unternehmen im Moment noch aus der eigenen Tasche bezahlt.
Wenn das Produkt Marktreife erlangt, erhofft sich Thinxnet, dass die Mineralölgesellschaften diesen Bezahlanreiz finanzieren werden. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die bisherigen Feldversuche absolvierte man in Kooperation mit einem mittelständischen Mineralölhändler, der mit den Tests hochzufrieden sei, versichert Huber.
Der große Vorteil für Tankstellen liege darin, dass sich der Durchfluss mit der Tanktaler-App deutlich erhöhen lässt. „Die Durchlaufzeit eines Autos, vom Einfahren an die Zapfsäule bis zum Verlassen des Tankpunktes, beträgt durchschnittlich sieben Minuten“, sagt Huber. „Wenn der Fahrer aber mit der Tanktaler-App bezahlt, macht er die Säule für den nächsten Kunden in zweieinhalb Minuten frei.“ Gerade im Berufsverkehr morgens und abends sei ein hoher Durchfluss wünschenswert, meint Huber.
Dass der Tankstellenbetreiber auf den Kraftstoff heutzutage eine verschwindend geringe Marge bekommt, weiß Huber. Auch dass der Betreiber maßgeblich davon lebt, dass Tankkunden den Shop betreten und mit einem spontanen Einkauf etwas Geld in die Kasse spülen. Aber das ist in den Augen des Unternehmensentwicklers kein Widerspruch zu dem, was seine App kann.
Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Abschlussarbeit an der Universität hat er nämlich anhand empirischer Auswertungen festgestellt, dass es zwei Konsumentengruppen an der Tankstelle gebe: die einen, die prinzipiell für Spontankäufe an der Tankstelle zu haben sind, und die anderen, die noch nie an der Tankstelle eingekauft haben und es sich auch nicht vorstellen können, egal wie viele verlockende Werbeträger von einem Schnäppchen künden. Denkt man also die Vision des Unternehmens weiter, kommen künftig nur noch die Kunden nach dem Tanken in den Shop, die ohnehin etwas kaufen wollen. Dadurch benötigt der Tankstellenbetreiber weniger Personal-, und für die Kunden, die wirklich etwas kaufen wollen, bleibt mehr Zeit.
Push-Nachrichten für Spontane
Und auch die Spontankäufer verliert man mit diesem System nicht, meint Huber. Während des Tankens oder nach dem Bezahlvorgang mit den Talern hat eine MÖG oder ein einzelner Betreiber die Möglichkeit, via Push-Nachrichten auf Sonderangebote im Shop hinzuweisen, zum Beispiel dass der Cappuccino heute nur 1,50 Euro kostet. Nachdem der Kunde seinen Wagen auf einen Parkplatz gefahren hat, kann er sich in aller Ruhe im Shop umsehen, während der nächste bereits tanken kann.
„Prinzipiell hat jede Tankstelle die Möglichkeit, ein eigenes Loyalty-Programm aufzubauen“, sagt Huber. Ohne großen technischen Aufwand können Unternehmen über die App beispielsweise Tanktaler gutschreiben bei einem Einkauf im Shop oder für spezielle Produkte. Auch Bedürfnisse überhaupt erst zu schaffen, ist ein wichtiger Punkt. Nach dem Prinzip: Wer 1.000 Tanktaler bei einem Besuch umsetzt, bekommt eine Autowäsche gratis.
Doch nicht nur an der Tankstelle hat die App einen Nutzwert für den User. Sie kann als Fahrtenbuch verwendet werden. Denn jedes Mal, wenn die Zündung angeht, zeichnet das GPS-Modul die Fahrt auf. Nach Beendigung kann der Autofahrer oder auch ein Flottenmanager die gefahrene Strecke nachvollziehen, den Spritverbrauch auswerten und angeben, ob es sich um eine dienstliche oder eine private Reise gehandelt hat. Das erleichtert dann die Abrechnung mit dem Finanzamt.
Für Kfz-Werkstätten bietet die App die Möglichkeit, ihre Kunden an Termine wie den Reifenwechsel zu erinnern. So können die Kundenströme besser geordnet werden und es kommen nicht beim Wintereinbruch alle auf einmal. Auch kann die Werkstatt auf Hinweis des Fahrers Fehlercodes auswerten und die nötigen Schritte veranlassen.
Letztlich biete Tanktaler den MÖG einen großen zusätzlichen Nutzen, ist sich Huber sicher. Thinxnet könne den Geschäftskunden mithilfe von unpersonalisierten Profilen Einblicke in die Geschäfte der Konkurrenz geben. Wie viele Fahrer haben gleichzeitig bei der Konkurrenz getankt, wann und zu welchem Preis? Wie schnell ist der Durchfluss dort? Das Konsumentenverhalten ist auf einen Schlag vollkommen transparent und muss nicht in umfangreichen und langwierigen Umfragen ermittelt werden.
Huber spinnt die Vision des Start-up konsequent zu Ende: Setzt sich das Bezahlen per App durch, müsste der Kunde noch nicht einmal mehr aus dem Wagen aussteigen, wenn eine Station einen Tankwart beschäftigt. Mit einem solchen Service könne man den Besuch an der Tankstelle zu einem Wohlfühl-Aufenthalt machen und sich von der Konkurrenz abheben. „Unsere App hat das Potenzial für ein neues Tankstellenerlebnis zu sorgen“, glaubt Huber.
(Autor: Michael Simon; Der Artikel erschien in Ausgabe 3/2016 von Sprit+.)