Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat Kritik von Grünen und Greenpeace an seiner Warnung vor möglichen Wochenend-Fahrverboten scharf zurückgewiesen. Die Sektorbetrachtung im derzeit geltenden Klimaschutzgesetz führe dazu, "dass wir 22 Millionen CO2-Äquivalente sofort einsparen müssten", sagte der FDP-Politiker am Freitag im Deutschlandfunk. "Und 'wir' sind in dem Fall alle Bürgerinnen und Bürger, die betroffen sind von Autoverkehr, von Lieferverkehr – im Grunde genommen jede und jeder von uns." Solche Einsparungen seien mit einem Tempolimit oder mit sonstigen Maßnahmen nicht zu erreichen, sondern ad hoc nur mit dem Verzicht auf das Auto und den Lkw, bekräftigte Wissing seinen Vorstoß vom Vortag.
In einem Brief an die Vorsitzenden der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP hatte Wissing am Donnerstag vor drastischen Einschnitten für Autofahrer gewarnt, falls die Ampel-Koalition sich nicht bald auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes einigt – bis hin zu Fahrverboten am Wochenende. Um nach dem geltenden Gesetz sogenannte Klima-Sektorziele im Verkehr erreichen zu können, wäre nach Wissings Argumentation eine deutliche Verringerung der Pkw- und Lkw-Fahrleistung notwendig.
Die Grünen und die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierten Wissings Vorstoß als falsche Behauptung und politisches Armutszeugnis. "Ein Minister sollte nicht unbegründet Sorgen bei den Menschen schüren", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden der Deutschen Presse-Agentur. "Diese Behauptung ist schlichtweg falsch." Die Umweltschutzorganisation Greenpeace bezeichnete Wissings Vorgehen als politisches Armutszeugnis.
Wissing: Bürger müssten zwei Tage pro Woche dauerhaft auf Auto und Lkw verzichten
Wissing unterstrich im Deutschlandfunk, ein Tag Fahrverbot am Wochenende würde nur etwa die Hälfte der nötigen Einsparverpflichtungen bringen, "sodass wir also zwei Tage pro Woche dauerhaft und unbefristet verzichten müssten" auf Auto und Lkw. "Diejenigen wie Greenpeace und die Grünen, die immer sagen, das Klimaschutzgesetz muss aber so bleiben, wie es ist, die mögen jetzt erschrocken sein von den Konsequenzen ihrer Politik, aber man kann sich der Realität nicht einfach entziehen", sagte der Verkehrsminister. Das Klimaschutzgesetz sei "einfach schlecht gemacht" und führe dazu, "dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, obwohl sie zur Erreichung der Klimaschutzziele nicht erforderlich sind".
Grünen-Fraktionsvize Verlinden hielt dagegen, das aktuell geltende Recht verlange von Wissing lediglich, "ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, in dem sinnvolle Vorschläge enthalten sind, die zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor führen". Es gebe viele unterschiedliche Möglichkeiten, "wie etwa ein Tempolimit". Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen lehnen Wissing und die FDP strikt ab.
Strittige Reform
Wissing macht mit seinem Vorstoß Druck während laufender Verhandlungen der Ampel-Fraktionen über eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Bei den Verhandlungen ist dem Vernehmen nach strittig, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben, falls Zielvorgaben bei der CO2-Einsparung wie im Verkehrssektor verfehlt werden.
Worum es geht
Im Klimaschutzgesetz sind die deutschen Klimaziele verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass die Emissionen von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt. Kernpunkt ist bisher folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern, um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen.
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert werden – sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll – allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt. Vorgaben zur Emissionsminderung in den einzelnen konkreten Sektoren sollen damit abgeschafft werden. Vor allem die FDP dringt auf eine Reform des Gesetzes, die Teil des Koalitionsvertrags ist.
Verkehrssektor verfehlt Klimaziele
Im Jahr 2023 wurden nach Angaben des Umweltbundesamts in Deutschland 10,1 Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert als 2022. So gab es im Sektor Energie deutliche Rückgänge, das Umweltbundesamt begründete dies mit einem geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme. Insbesondere der Verkehrssektor müsse beim Klimaschutz aber nachsteuern, so die Behörde. Er verfehle seine Klimaziele erneut deutlich. Die Daten werden von einem Expertenrat für Klimafragen bewertet. Dieser Bericht wird am kommenden Montag vorgelegt.
Das geltende Klimaschutzgesetz sieht vor: Weisen die Emissionsdaten eine Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor aus, so legt das zuständige Bundesministerium innerhalb von drei Monaten nach der Bewertung durch den Expertenrat ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vor. Darauf ging Wissing in seinem Schreiben ein: Sofern das novellierte Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft trete, sei das Ministerium nach dem geltenden Gesetz verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen – dann kommt die Warnung vor flächendeckenden und unbefristeten Fahrverbote am Wochenende. Darunter würden nicht nur Bürger leiden, auch Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei, schrieb Wissing.
Seine Warnung weckt Erinnerungen an die sogenannten autofreien Sonntage während der Ölkrise: Nachdem arabische Staaten ihre Ölproduktion 1973 vor dem Hintergrund des Jom-Kippur-Kriegs verknappt hatten, wurden an vier Sonntagen Fahrverbote in der Bundesrepublik verhängt.