Kabel, die aus der Wand hängen, ein noch ungefliester Boden, offene Decken und Wände, viel Staub – wer Ende März die Station des Aviaten Rödl Energie in München besuchte, konnte sich nur schwer vorstellen, wie die Tankstelle zwei Monate später im fertigen Zustand aussehen würde. Innerhalb von fünf Monaten hat sich der unübersichtliche und beengte 50 Quadratmeter große Verkaufsraum der 1962 gebauten Tankstelle in einen 150 Quadratmeter großen modernen Shop mit Bistro und Verweilbereich verwandelt. Über 20 Gewerke haben in dieser Zeit eng zusammengearbeitet, um die Pläne des Ladenbauers Heinrich Stracke nach den Vorgaben von Rödl Energie umzusetzen.
Aber von Anfang an: Der Aviate mit Sitz in Neumarkt in der Oberpfalz erwarb die ehemalige Esso Station 2022 gemeinsam mit zwei weiteren Tankstellen im Münchner Raum im Zuge des Verkaufs des OMV-Netzes an die EG Group. "Uns war von Anfang an klar, dass wir deutlich in unseren Neuzugang an der Effnerstraße investieren müssen, um ihn aus dem Dornröschenschlaf zu holen. Die Station war für den sehr guten Standort an einer der großen Einfallstraßen von Nordosten ins Zentrum von München völlig unterrepräsentiert und viel zu klein", erzählt Stefan Rödl, Geschäftsführer des mittelständischen Familienunternehmens mit elf Avia-Tankstellen und rund dreißig unbemannten Gewerbetankstellen zwischen Leipzig und München.
Ein Jahr lang blieb alles unverändert
Doch bevor der große Umbau starten sollte, wollte das Unternehmen die Kunden im Umfeld und deren Wünsche kennenlernen. "Wir haben die Station nach dem Kauf etwa ein Jahr unverändert betrieben, damit wir mehr über das Tank- und Einkaufsverhalten der Autofahrer und Anwohner erfahren und dann dementsprechend unser Konzept daran anpassen können", erläutert Benjamin Schmid, Leiter Tankstellen bei Rödl Energie. Schnell wurde klar, dass angesichts der Lage in einem großen Wohngebiet eine Abteilung mit klassischen Produkten aus dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) für die Nahversorgung und ein Bistro mit Verweilbereich den klassischen Tankstellenshop ergänzen sollen.
Als Partner für die Umsetzung haben sich Rödl und Schmidt für Heinrich Stracke entschieden. Das Unternehmen aus Dessau hat bereits die Avia Tankstellen von Rödl in Schwabach und bei der Firmenzentrale in Neumarkt umgebaut und sein Können bei der Umsetzung von Ideen bewiesen. "Den Ladenbau für einen rechteckigen Grundriss zu gestalten, ist in der Regel relativ einfach. Bei dieser Station lag die Herausforderung darin, den etwas verwinkelten Grundriss aus den 60er Jahren inklusive der beiden Stützpfeiler mitten im Raum sinnvoll zu nutzen und die einzelnen Bereiche geschickt anzuordnen", erklärt Andreas Strömer, Geschäftsführer bei Stracke. Zudem seien auch die Prozesse und Abläufe an der Tankstelle bei der Planung berücksichtigt worden, damit die Laufwege möglichst kurz sind und die Mitarbeiter reibungslos arbeiten können.
"Die Kunst eines Ladenbauers besteht ja immer darin, die Ideen des Kunden aufs Papier zu bringen, umzusetzen und gegebenenfalls zu improvisieren, wenn sich die Begebenheiten vor Ort ändern oder anders als gedacht herausstellen. Außerdem müssen die verschiedensten Gewerke so organisiert werden, dass es zu keinen Zeitverzögerungen im Projektplan kommt. Hier haben Andreas Strömer und sein Team und die Gewerke in den vergangenen Monaten hervorragende Arbeit geleistet", lobt Rödl.
Rödl Avia München
BildergalerieGenehmigung als Weihnachtsgeschenk
Nach der abgeschlossenen Planung hat Rödl im August 2023 den Bauantrag gestellt. Die Genehmigung erreichte das Unternehmen jedoch erst vier Monate später, zwei Tage vor Heiligabend. Der Startschuss für den Umbau fiel bereits am 8. Januar 2024.
Parallel dazu hat auch Martin Mazurek seine Stelle als Pächter der Station angetreten, um den Umbau von Beginn an begleiten und mitgestalten zu können. Bis Mitte April waren die Gewerke zunächst mit den Abbrucharbeiten beschäftigt. Dabei wurde unter anderem eine neue Elektrik verlegt, ein neues Fundament gegossen und die Wand an der Tankstellenfront eineinhalb Meter nach außen versetzt. Insgesamt hat sich der Verkaufsraum auf rund 150 Quadratmeter verdreifacht. Anschließend konnte das Team von Stracke mit dem Aufbau der Ladeneinrichtung starten, die zuvor in der Produktion des Unternehmens in Dessau gefertigt wurde.
Während im Gebäude fleißig gewerkelt wurde, blieb die Tankstelle weiterhin geöffnet. In einem Verkaufscontainer neben dem Tankfeld waren die Kasse sowie ein kleiner Shop mit den wichtigsten Produkten untergebracht. Große Banner wiesen die Autofahrer darauf hin, dass sie wie gewohnt Kraftstoff an der Station tanken können. "Aus unserer Sicht war es wichtig, den Betrieb aufrechtzuerhalten, damit die Kunden nicht zu anderen Tankstellen wechseln und nach dem Ende des Umbaus nicht mehr zurückkommen", erklärt Schmid. Zwar seien die Absätze im ersten Halbjahr naturgemäß zurückgegangen, jedoch deutlich weniger als befürchtet.
Mit offenem Mund im Shop
Am 13. Mai war es dann endlich soweit und die Avia Tankstelle öffnete erstmals wieder ihre Türen für den öffentlichen Verkauf. "Die Kunden standen mit offenem Mund im Shop und waren total begeistert", freut sich Schmid, der während der Bauphase fast wöchentlich nach München gekommen ist. Kein Wunder, wenn man die Tankstelle mit dem Vorher-Zustand vergleicht.
Die rechte Wandseite ist dem Segment Getränke vorbehalten: In einem gekühlten Raum, dem "Bierkeller", sind die Getränkekisten untergebracht. "In unserer Tankstelle in Neumarkt haben wir erstmals einen ,Bierkeller' im Shop integriert und vor allem bei den männlichen Kunden sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Einmal hat eine wartende Kundin ihren Ehemann erst nach zehn Minuten dort gefunden", erzählt Schmid lachend. Daran anschließend ist der Walk-in-Cooler mit sieben Türen positioniert. Daneben befindet sich auch ein kleines architektonisches Highlight: ein Laternendach mit Fenstern - ein für die 1960er-Jahre typisches Architekturmerkmal - das für zusätzliches natürliches Licht im Raum sorgt.
Direkt gegenüber des Eingangs befindet sich die Kassenzone mit zwei Kassenplätzen und den klassischen Impuls- und Tabakwaren sowie die DHL-Station. An der linken Seite schließt die Bistro-Theke mit einem weiteren Kassenplatz und der Kaffeestation von Segafredo an. Die Kunden können die hochwertig produzierten Backwaren und Food-to-Go-Produkte wie Wraps und Bowls selbst aus der Theke entnehmen oder sich von den Mitarbeitern geben lassen. Ein optisches Highlight ist der Verweilbereich mit rund 20 Sitzplätzen und großen Wandbildern mit den Isarauen, dem Eisbach und dem Marienplatz als Motiv. Die frei zugänglichen modernen Toiletten wurden ebenfalls mit Fototapeten verschönert.
Preise fast wie im Supermarkt
In einem Regal in der Raummitte stehen Produkte aus dem Kfz-Bereich wie etwa Motoröle sowie Geschenkartikel zum Verkauf. Ein zweites Regal bietet viel Platz für Snacks und Süßigkeiten, aber auch für LEH-Produkte für den täglichen Bedarf, darunter Nudeln, Soßen, Müsli, Mehl und Zucker. "Hier haben wir uns bewusst für Preise entschieden, die nur geringfügig über denen im Supermarkt liegen. Damit wollen wir unsere Funktion als Nahversorger in der angrenzenden Wohngegend unterstreichen", erläutert Schmidt. Ende Juni ist schließlich ein weiterer Abschnitt fertig geworden: die Verschönerung des Außenbereichs mit einer Terrasse, die ebenfalls 20 Sitzplätze bietet.
Damit ist das Projekt Effnerstraße aber noch nicht abgeschlossen. "2025 wollen wir mit vier Ultraschnellladesäulen an den Start gehen. Die Infrastruktur samt Trafostation ist sogar darauf ausgelegt, dass wir perspektivisch acht Hypercharger betreiben können. Das könnte nicht nur für unsere Kunden, sondern auch für die Hotelgäste ein interessantes Angebot sein", ist Geschäftsführer Rödl überzeugt. Neben der Genehmigung sei zudem der Wurzelschutz der angrenzenden Grünflächen mit vielen Bäumen eine Herausforderung für den Aufbau der Ladeinfrastruktur, wodurch sich der Bau zeitlich verzögert.
"Das gesamte Vorhaben steht unter dem Motto: Transformation der Tankstelle aus den 60er Jahren in einen Multi-Marktplatz der Zukunft. Unsere neue Avia ist ausgerichtet auf Impulskauf, Gastronomie und die Rolle als Nahversorger mit dem Ziel, dadurch Kraftstoffabsätze und perspektivisch Stromladungen zu steigern", fasst Rödl das Konzept zusammen.
Reimund Fischer