Kürzer duschen, weniger Beleuchtung, schwitzen im Büro: Mit Maßnahmen wie diesen wollen die EU-Staaten in den kommenden Monaten Gas sparen, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein - einen möglichen Lieferstopp aus Russland. Der Gas-Notfallplan ist am Dienstag, den 9. August in Kraft getreten und sieht vor, dass die 27 Staaten ihren Gaskonsum von Anfang August bis Ende März 2023 freiwillig um 15 Prozent reduzieren, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch der vergangenen fünf Jahre. Sollte das nicht reichen, können verbindliche Ziele in Kraft treten.
So wollen die Länder Gas sparen
Deutschland soll nach Angaben des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums mehr als die vereinbarten 15 Prozent schaffen. "Wir sehen hier für Deutschland eine größere Einsparnotwendigkeit", hieß es. Um Gas zu sparen, produziert seit Ende Juli ein zuletzt in Reserve gehaltenes Steinkohle-Kraftwerk wieder Strom. Weitere sollen nach Vorstellungen der Bundesregierung folgen, ebenso Braunkohlekraftwerke. Eine staatliche Kampagne soll die Menschen zum Energiesparen motivieren. Geplant sind zudem etwa Einsparungen in öffentlichen Gebäuden, in denen nur sporadisch genutzte Bereiche wie Flure oder Foyers nicht mehr geheizt werden sollen. Für Erdgasheizungen in Wohngebäuden soll eine verpflichtende Überprüfung kommen, um zum Beispiel die Temperatur beim Vorlauf oder nachts zu senken. Für Unternehmen soll die Möglichkeit, ungenutzte Gasmengen in Auktionen zu verkaufen, Anreize zum Energiesparen bieten.
Auch Österreich setzt auf andere Brennstoffe. So soll das stillgelegte Kohlekraftwerk Mellach im Bedarfsfall wieder in Betrieb genommen werden. Außerdem sollen Großbetriebe und Kraftwerke ab Herbst als Alternative zum Gas auch Erdöl einsetzen können, die Kosten für die Umrüstung trägt der Staat. Die hohen Preise allein haben nach Angaben des Energieministeriums bereits dafür gesorgt, dass im ersten Halbjahr rund sieben Prozent weniger Gas als im Vorjahreszeitraum verbraucht wurden.
In Frankreich sollen die öffentliche Verwaltung und die Privatwirtschaft beim Energiesparen vorangehen. Dafür werden gezielte Pläne für die Sektoren ausgearbeitet, unter anderem zur Klimatisierung und zur Beleuchtung von Gebäuden. Behörden sind etwa dazu angehalten, Geräte nicht auf Standby zu lassen, weniger zu kühlen und zu heizen. Einige Supermärkte haben angekündigt, die Türen konsequenter zu schließen, wenn die Klimaanlage läuft. Die Regierung will das für alle Geschäfte im Zweifel auch mit Geldstrafen durchsetzen. Gleichzeitig sollen die stark heruntergefahrenen Atomkraftwerke so gut wie möglich für den Winter aufgestellt und die Produktion von erneuerbarer Energie vorangetrieben werden.
Die Niederlande setzen vor allem auf Sparmaßnahmen der Bevölkerung mit eine Werbekampagne: Bürger sollen kürzer duschen und die Heizung mindestens ein Grad niedriger stellen. Vorgaben für die Industrie werden jedoch nicht ausgeschlossen und sollen nach dem Sommer bekannt gegeben werden. Das Land hat bereits seit Beginn der Energiekrise monatlich rund 25 Prozent weniger Gas verbraucht im Vergleich zu den Vorjahren.
Auch in Belgien ist der Verbrauch im ersten Halbjahr allein durch die hohen Preise zurückgegangen. Die Regierung hat die Bürger zusätzlich zum Energiesparen aufgerufen.
In Italien darf in den öffentlichen Büros nur noch bis auf 25 Grad gekühlt werden, zudem wird die Temperatur beim Heizen von 20 auf 19 Grad abgesenkt. Es wird auch erwogen, die Heizperiode um zwei Wochen zu verkürzen. Für die Industrie sind zunächst keine Einschränkungen des Gasverbrauchs vorgesehen.
In Griechenland dürfen die Behörden Räume nicht mehr unter 26 Grad kühlen, die Straßenbeleuchtung soll auf das absolut Notwendige reduziert werden. Derzeit läuft zudem ein vom Staat und aus EU-Mitteln finanziertes Programm, bei dem Bürger alte Klimaanlagen und Kühlschränke durch neue, energiesparende Geräte ersetzen können. Zudem sollen manche Kohlekraftwerke wieder hochgefahren, andere Kraftwerke von Gas- auf Erdölbetrieb umgeschaltet werden.
In Spanien dürfen alle öffentlichen Einrichtungen sowie Kaufhäuser, Kinos, Arbeitsstätten, Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen ihre Räumlichkeiten künftig nur noch auf 27 Grad kühlen und auf höchstens 19 Grad heizen. Zudem müssen Läden und Betriebe mit automatischen Systemen ihre Türen geschlossen halten. Die Beleuchtung nicht genutzter Büros, von Schaufenstern und Denkmälern muss nach 22 Uhr ausgeschaltet werden.
Finnland hat seinen Gasverbrauch in den vergangenen zehn Jahren nach Regierungsangaben bereits halbiert und seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine weiter verringert - der Regierung zufolge gibt es keinen unmittelbaren Bedarf für weitere Maßnahmen.
Auch in Dänemark wurde das Energiesparziel bereits erreicht.
In Schweden ermuntert die schwedische Energiebehörde die Haushalte mit einem umfassenden Online-Ratgeber zum Energiesparen.
Ähnliches gilt auch in Estland. Der Verbrauch ist nach Angaben von Wirtschafts- und Infrastrukturministerin Riina Sikkut bereits um 16 Prozent im Vergleich zum fünfjährigen Durchschnitt gesunken. Dennoch sind Wärmeversorger und die Industrie zum Gassparen und zum Umstieg auf andere Kraftstoffe aufgerufen. In der kommenden Heizperiode könnte zudem heimischer, aber klimaschädlicher Ölschiefer das Gas zum Teil ersetzen.
Litauen muss nach Angaben von Vizeenergieminister Albinas Zananavicius keine zusätzlichen Maßnahmen ergreifen. Grund dafür seien neben einem preisbedingten Rückgang der Nachfrage auch die Pläne der Hauptstadt Vilnius, Erdgas in der kommenden Heizperiode durch Heizöl zu ersetzen.
In Lettland arbeitet die Regierung noch an Richtlinien, um die Energiesparmaßnahmen umzusetzen.
In Polen sieht sich die nationalkonservative Regierung nicht an das Einsparziel von 15 Prozent gebunden. Betont wird die Freiwilligkeit der Regelung.
In Ungarn schließt die rechte Regierung von Regierungschef Viktor Orban eine Umsetzung des Ziels kategorisch aus.
Tschechien setzt weitgehend auf freiwillige Maßnahmen. So haben die Verbraucher in Tschechien ihren Gasverbrauch wegen der hohen Preise bereits zurückgefahren.
Auch in Slowenien gibt es noch keine konkreten Pläne, eine Studie ist in Arbeit.
Die Übergangsregierung in Bulgarien hat noch keine Maßnahmen zur Umsetzung des 15-Prozent-Ziels formuliert.