Herr Stolte, anlässlich des Uniti Cards- und Automationsforums werten Sie jedes Jahr den Zahlungsverkehr von fast 90 Prozent der deutschen Tankstellen aus. Welche Rolle spielt dabei das Bargeld?
In den letzten drei Jahren ist im Bargeldbereich gar nichts mehr passiert. Bargeld bleibt weiterhin das meistgenutzte Zahlungsmittel an den Tankstellen und macht je nach Netzgröße zwischen 36 und 42 Prozent am Umsatz aus. Bei der Anzahl der Transaktionen sind es sogar 55 Prozent.
Woran liegt das?
Dahinter steckt eine Vielzahl an Kleinbetragstransaktionen. Der Durchschnittswert bei Kraftstofftransaktionen liegt etwa zwischen 44 und 48 Euro, der durchschnittliche Shopbon liegt bei etwas mehr als sieben Euro. Und aus diesem Shopgeschäft kommt ein Großteil der Bargeldzahlungen.
Seit Jahren gibt es Bemühungen, das Bargeld durch unbare Zahlmöglichkeiten zu ersetzen. Erfolgreich?
Bisher nicht. Es gibt zwar gerade im Bereich Kontaktloszahlen Möglichkeiten, die diese Kleinbetragstransaktionen einfach ersetzen könnten. Dazu gehört zum Beispiel Girogo, wo man bis 20 Euro ohne PIN zahlen kann, indem man einfach den Geldbeutel mit der Karte an den Terminal hält. Eine andere Möglichkeit sind Anbieter wie Visa mit Paywave und Mastercard mit Paypass, die jeweils an über 10.000 Tankstellen vertreten sind. Kontaktloses Zahlen ist also eigentlich Standard an deutschen Tankstellen. Aber wenn man sich die Anzahl der Transaktionen ansieht, liegt diese Bezahlform unter dem Einprozentbereich. Selbst Paypass verzeichnete 2016 als erfolgsreichster Anbieter durchschnittlich nur 213 Transaktionen pro Tankstelle.
Ist das ein Branchenproblem?
Nein, woanders sehen die Zahlen auch nicht besser aus. Und die Tankstellenbranche ist unheimlich in Vorleistung gegangen, indem sie in die Infrastruktur wie die Terminals investiert hat. Aber was sie nicht kann, ist den Karteninhaber über die Funktionen aufklären, die er auf seiner Karte hat. Das ist Aufgabe der Banken. Die haben zwar unheimlich viel Geld für die Kartenpopulation ausgegeben und riesige Marketingkampagnen gemacht, aber am Ende erreichen sie den Kunden trotzdem nicht. Sie sind mittlerweile in ihren Strukturen fast vertriebsunfähig und wundern sich dann, dass der Karteninhaber nicht weiß, was er mit seiner Karte kann. So lange man es ihm aber nicht erklärt oder ihm den Nutzen darlegt, kommt der gar nicht darauf und bleibt bei seinem gewohnten Zahlverhalten. Dazu kommt die sehr gut ausgebaute Infrastruktur für Bargeld. An jeder Ecke steht ein Bargeldautomat. Da ist der Druck gar nicht groß, sich mit anderen Zahlungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen.
Glauben Sie, dass sich das in den kommenden Jahren ändert?
Ich glaube, dass die Zahlen für unbares Bezahlen langsam ansteigen werden, weil immer mehr Leute neue Zahlungsarten für sich entdecken und sie gut finden. Aber ich glaube auch, dass die Deutsche Kreditwirtschaft mit dem angekündigten Angebot Girocard kontaktlos erneut sehr spät kommt, während andere digitale Zahllösungen schnell an Bedeutung gewinnen.
Ist es dann vorstellbar, dass wir die Stufe mit der Karte überspringen und direkt zum Zahlen per Smartphone übergehen?
Davon gehe ich in Teilbereichen wie bei neuen Apps, ähnlich Tanktaler, sogar aus. Das war ja der rote Faden, der sich durch das ganze Uniti Cardsforum zog: Die Deutsche Kreditwirtschaft wird der Verlierer sein, weil sich immer mehr Unternehmen selbst aufmachen, ihr eigenes Zahlungssystem per App zu etablieren statt auf das „hässliche Plastik“ zu setzen.
Aber wird es nicht für den Verbraucher zu kompliziert, verschiedene unternehmenseigene Lösungen parallel zu nutzen?
Hier gilt das Gleiche, was im Zahlungsverkehr auch immer gegolten hat: Reichweite, Reichweite und noch mal Reichweite. Sprich: Am Ende wird nur etwas funktionieren, was unternehmensübergreifend ist. Das ist auch etwas, was ich nicht ganz verstehen kann: Die großen Gesellschaften arbeiten jede für sich an einer eigenen App und glauben, dass aus der eigenen Lösung etwas werden kann. Am Ende fehlt aber allen – selbst den Großen – die Reichweite.
Welche Rolle spielt bei der Reichweitenthematik die Automobilwirtschaft?
Durch diesen Wandel, der sich gerade vollzieht, ist ein ganz neues Ökosystem entstanden: Die Mineralölgesellschaften und die Automobilhersteller befinden sich in einer Art „Schicksalsgemeinschaft“ und bilden mit den digitalen Diensten quasi ein Zukunftsdreieck, um sich Reichweite zu sichern. Deshalb gehen aktuell Hersteller wie BMW Kooperationen mit Total oder General Motors und Toyota mit Exxonmobil ein.
Wenn wir über „Zukunft“ sprechen: Welcher Zeitraum ist damit überhaupt gemeint?
Meiner Meinung nach hat der Wandel bereits begonnen. Viele Möglichkeiten werden wir bereits schon in diesem Jahr auf dem Markt sehen. Bei vielen anderen Dingen reden wir über die nächsten drei, maximal fünf Jahre. Deshalb bin ich auch überzeugt: Wer es jetzt nicht schafft, Kunden, insbesondere aus dem Bereich gemanagte Flotten, zu sichern, der ist unter Umständen in den nächsten fünf Jahren aus dem Markt raus.
Das heißt die Tank- und Flottenkarte gewinnt noch mehr an Bedeutung?
Ja, dabei ist es noch egal, ob die Tankkarte physisch oder digital ist. Aber dieses Kundenbindungsinstrument für gemanagte Flotten entscheidet meiner Meinung nach wesentlich mit über den Verbleib oder das Ausscheiden im Tankstellengeschäft. Die Zahlen der diesjährigen Auswertung spiegeln das wider. Die Umsatzzahlen bei Bargeld stagnieren, Debit- und Kreditkarten verlieren an Umsatz. Dagegen befinden sich alle brancheneigenen Lösungen wie Flottenkarten im Wachstum. Dieses Bild wird sich in den nächsten Jahren deutlich verstärken.
Was würden Sie konkret dem Mittelstand raten?
Zum einen, sich jetzt mit diesen Konzepten zur digitalen Kundenbindung zu beschäftigen. Zum anderen sollten sich die Unternehmen überlegen, wie sie die gemanagten Flotten auch an ihre Tankstelle bekommen. Und das bedeutet, sich mit anderen Mittelständlern zusammenzutun. Denn diese Flotten bekomme ich nur, wenn ich eine Reichweite an Netz darstellen kann und wenn ich einen Akzeptanzstandard dafür habe. Wer jetzt nicht aus den Socken kommt, geht ein hohes Risiko ein, vom Markt zu verschwinden. Ich bin sicher, dass wir in drei bis fünf Jahren über eine Tankstellenanzahl von vielleicht nur noch 10.000 bis 12.000 sprechen.
(Das Gespräch führte Annika Beyer. Das Interview erschien in Sprit+ Ausgabe 1./2.2017.)