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Interview mit dem ZTG: "Es sieht nicht gut aus"

15.04.2023 08:19 Uhr | Lesezeit: 5 min
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Die finanziellen Reserven sind in den meisten Tankstellenbetrieben aufgebraucht, es ist einfach kein Geld mehr da.
© Foto: No-longer-here/Pixabay

Jannis Verfürth ist ZTG-Vorstandsmitglied und Tankstellenbetreiber. Zusammen mit ZTG-Geschäftsführer ­Jürgen Ziegner spricht er im Interview über die eklatanten Probleme der Branche und die wirtschaftlich schlimme Lage.

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Sprit+: Herr Verfürth, was ist derzeit Ihre größte Herausforderung im Tankstellenalltag?

Verfürth: Die Herausforderung Nummer eins sind die massiv gestiegenen Kosten in allen Bereichen, angefangen natürlich bei den Energiekosten. Hier habe ich mit meiner Mineralölgesellschaft zusammen eine Lösung gefunden. Aber die Teuerung zieht sich durch alle Bereiche, auch und besonders beim Verbrauchsmaterial ist das zu merken. Nehmen Sie zum Beispiel die Papierrollen, an deren Blättern sich Kunden die Hände abtrocknen können. Die Rollen sind um satte 50 Prozent teurer geworden!

Wie kompensieren Sie diese Mehrkosten?

Verfürth: Das ist die große Herausforderung. Wir haben keine Möglichkeit mehr, unsere Um- oder Absätze zu pushen. Klar, die Umsätze pushen wir durch die Preiserhöhungen, insofern sieht das Ergebnis immer noch ganz "normal" aus. Aber wir verkaufen viel weniger Stückzahlen im Shop. Und das macht mir schon große Sorgen. Man merkt, dass die Kundschaft weniger Geld in der Tasche hat. Kunden kaufen weniger im Shop ein - sie haben schon viel für den Kraftstoff ausgegeben, da ist nichts mehr über, um sich im Shop etwas zu gönnen. Die Stimmung ist einfach schlecht.

Das merkt auch das Personal an der Kasse deutlich. Wir haben wieder viel mehr Kunden, die uns darauf hinweisen, wie teuer wir seien. Es fehlt nach wie vor das Verständnis der Kunden für die Situation der Tankstellenbetreiber. Es fehlt schlichtweg das Wissen in der Bevölkerung, dass sich bei hohen Kraftstoffpreisen eben nicht die Pächter die Taschen vollmachen.

Das Shopgeschäft war 2021 Jahr noch relativ gut. Was ist 2022 passiert?

Jürgen Ziegner: Wir hatten in der Corona-Zeit 2020 und 2021 ein gutes Shop-Geschäft. Die Menschen waren finanziell dank staatlicher Hilfen gut abgesichert. Der Einzelhandel wurde zeitweise zu Schließungen gezwungen, dadurch sind die Kunden in den Tankstellenshop gekommen. Es hat sich ein Konsumverhalten nach dem Motto "Ich gönn mir was" entwickelt. Das hat dem Shopgeschäft "unnormal" gut getan.

Dann kam das Ende der Corona-Maßnahmen. Dann der Ukraine-Krieg. Kostensteigerungen. Eine Inflation. Die Kraftstoffpreise sind explodiert - und allein das hat schon viele Menschen abgeschreckt.

Viele Tankstellenbetreiber mussten dann die Mindestlohnerhöhung vorziehen, um überhaupt ihre Mitarbeiter noch behalten zu können. Der Einzelhandel warb ja schon vor dem 1. Oktober 2022 mit höheren Stundenlöhnen für ungelerntes Personal, gerade Discounter haben hier sehr aggressives Recruiting gezeigt. Da konnten Tankstellenbetreiber nicht mithalten. Und zusätzlich natürlich das Energiekosten-Problem - das noch nicht gelöst ist!

Inwiefern?

Ziegner: Bei vielen unserer Verbandsmitglieder ist Ende vergangenen Jahres der Stromvertrag ausgelaufen. Einige unserer Mitglieder hatten Probleme, überhaupt wieder einen Versorger zu finden.

Abe es gibt doch eine Grundversorgung?

Ziegner: Die Grundversorgung gilt nur für den privaten Bereich. Für Ihren Privathaushalt muss Ihnen Ihr Grundversorger vor Ort ein Angebot machen. Die Konditionen gefallen Ihnen dann vielleicht nicht, aber Sie haben wenigstens ein Angebot.

Im gewerblichen Bereich mit einem Jahresverbrauch von mehr als 10.000 kW/h im Niederspannungsbereich gilt das nicht. In der Tankstellenbranche ist es zwar meines Wissens nicht dazu gekommen, aber in Norddeutschland hatte eine Edeka-Betreiberin zunächst von keinem Versorger ein Angebot bekommen. In letzter Sekunde hat sie zwar noch eines bekommen - aber zu horrenden Konditionen.

Helfen die Energiepreisbremsen?

Ziegner: Dadurch werden Kosten zwar etwas gedeckelt. Und die Preise werden auch wieder fallen – jedenfalls im Vergleich zum Peak, den wir im Oktober 2022 hatten. Aber garantiert nicht mehr auf das Niveau von davor.

Dann sind die Energiekosten das derzeit größte Problem für die Branche?

Ziegner: Nein. Das hauptsächliche Pro-blem sind die eklatant gestiegenen Personalkosten. Mit der Anhebung des Mindestlohns wurde das gesamte Lohnniveau nach oben geschoben.

Verfürth: Das Thema wirkt sich auch auf die Geschäftsplanung aus. Wir planen teilweise mit Personalkosten aus einer Zeit, in der wir mit extrem wenig Personal an den Tankstellen auskommen mussten, zum Beispiel in der Corona-Zeit, in der Bistros geschlossen waren. Dann wird mit diesen sehr niedrigen Kosten geplant – aber das kann ja nicht funktionieren! Wir sind ohnehin personell schon am Limit. Wenn für die Geschäftspläne die Vorjahreszahlen betrachtet werden, sieht das Tankstellenergebnis immer besonders schön aus – wir haben ja viele Kosten, die geplant waren, gespart. Dann heißt es schnell: "Sie haben ja gar nicht so viele Personalkosten gebraucht, wie Sie geplant haben!" Das Ergebnis: Die Personalkosten werden runtergeplant. Und das, obwohl die Kosten real steigen! Wir müssen wieder an das Personal kommen, das wir brauchen, um die Tankstellen zu betreiben.

Wie sieht die Personalsituation konkret bei Ihnen aus?

Verfürth: Mit dem laufenden Betrieb meiner Tankstellen komme ich zwar klar. Aber ich kann meine Stationen nicht entwickeln. Da fehlt die personelle Power hier vor Ort. Ich komme sogar kaum noch zu so wichtigen Dingen wie der Umsetzung der Preiserhöhungen, die uns von der Industrie nun mal auferlegt werden. Wir müssen die Margen ja stabil halten.

Und das geht nicht nur mir so. Viele meiner Kollegen sind in derselben Situation.

Herr Ziegner, wie kann hier eine Lösung aussehen? Wird es künftig mehr Automatentankstellen geben?

Ziegner: Es wird zum einen sicher zur Umwandlung zu Automatentankstellen kommen. Es sind schon erheblich mehr Automatentankstellen da als wir uns vorstellen. Viele Mineralölgesellschaften aus dem Mittelstand, die noch vor ein paar Jahren sehr überzeugt verkündet hatten, keine Automatentankstellen zu etablieren, betreiben nun welche.

Dagegen ist aber auch nichts zu sagen. Es hat schließlich keinen Sinn, Tankstellen auf Kosten eines Pächters zu betreiben und ihn in drei oder vier Jahren auszutauschen, wenn die Sicherheiten aufgebraucht sind.

Welche Gründe kann es noch geben, eine Tankstelle nicht komplett zu schließen, sondern als Automatentankstelle weiterzubetreiben?

Ziegner: Im besten Fall ist der Bedarf für den Kraftstoffabsatz vor Ort da. Aber der Standort ist eben nicht dafür geeignet, die Zusatzerlöse zu erzielen, die für eine Bemannung der Station nötig wären.

Der wahrscheinlich verbreitetere Fall ist, dass für die Station noch ein Grundstücksvertrag läuft. Dann muss sie aus wirtschaftlicher Sicht weiterbetrieben werden. Man nimmt lieber die Marge aus dem Kraftstoffverkauf und finanziert damit die Pacht.

Aktuell ist es zudem so, dass manche Tankstellen an bestimmten Orten angesichts des gestiegenen Kostenniveaus nicht mehr bemannt betrieben werden können. Die lassen sich schlichtweg nicht mehr rentabel führen.

Das hört sich nach dem großen Tankstellensterben an, das jedoch schon seit vielen Jahren prophezeit wird.

Ziegner: Schon seit Jahrzehnten! Ich kann mich erinnern, dass 1992 auf einer Verbandstagung für das Jahr 2000 ein Tankstellenbestand von 12.000 Stationen vorhergesagt wurde. Von dieser Zahl sind wir selbst 23 Jahre später – mit rund 15.000 Tankstellen – noch weit entfernt.

Betreiber im Agentursystem, meist Pächter, sind in einer besonders heiklen Lage. Können Sie uns erklären, warum?

Ziegner: Etwa 80 Prozent des Umsatzes werden mit preisgebundener Ware generiert. Tankstellenbetreiber, die an das Agentursystem gebunden sind, haben keinerlei Einfluss auf die Preisegestaltung. Mit anderen Worten: Sie können die Kostensteigerung unmöglich mit Margenverbesserung selbst kompensieren. Das war zwar schon immer so, aber nun stecken diese Pächter, die dem Agenturmodell ausgeliefert sind, in einer dramatischen Kostenfalle.

Verfürth: Preisgebunden sind wir bei 60 bis 70 Prozent unserer Waren und Dienstleistungen. Etwa bei Tabakwaren, Zeitschriften, Paketdienstleistungen oder Lotto. Bei Letzteren ist der Arbeitsaufwand sogar noch gestiegen – die Provision aber nicht.

Die Tankstellenbranche steht immer wieder im Fokus der Politik. Meldepflichten, E-Ladesäulenpflicht, die Zweifel an der Weitergabe des sogenannten Tankrabatts an die Kundschaft. Was sagen Sie dazu?

Ziegner: Was mich seit Jahren kolossal wundert: Vom deutschen Tankstellennetz wird alles Mögliche erwartet. Aber keiner sagt uns, wie es verdient werden soll. Ich muss doch erst einmal das Geld dafür verdienen. Worüber soll es denn gehen? Am Schluss zahlt es der Kunde. Immer. In jeder Branche. Und der einzige Hebel, den wir hier in der Tankstellenbranche haben, ist der Kraftstoffpreis. Auch wenn das keiner hören will.

Was ist mit dem Shop? Und der Autowäsche?

Ziegner: Im Shop ist das Preisniveau vielfach schon überzogen. Und Autowäschen macht eine durchschnittliche deutsche Pachtstation 6.000 bis 7.000 Wäschen pro Jahr. Wie viel teurer soll die denn werden, um das Wachstum der Kosten zu kompensieren? Die Kostensteigerung würde zwar den einen Euro mehr pro Wäsche rechtfertigen. Aber das heißt noch lange nicht, dass er sich auch durchsetzen lässt.

Herr Verfürth, es heißt, dass der Trend zur Premium-Wäsche geht: Autofahrer waschen weniger, aber wenn, dann kaufen sie die hochpreisige Wäsche.

Verfürth: Dass das von den Kunden ausgeht, kann ich nicht bestätigen. Aber wir haben unser Personal massiv darauf trainiert, hochpreisige Wäschen zu verkaufen. Durch die Provisionierung des Waschgeschäfts ist der Anreiz ja auch da.

Herr Ziegner, viele Betreiber bräuchten Betriebsbeihilfen, aber bekommen sie nicht oder kaum. Warum?

Ziegner: Das liegt unter anderem daran, dass seit Dezember die Kraftstoffmarge wieder kräftig sinkt. Mit der umgesetzten Planung 2023 ist es bei vielen Gesellschaften furchtbar knapp und sie tun sich schwer, Beihilfen zu leisten, Pachten zu reduzieren. Das Geld ist einfach nicht da.

In vielen Fällen warten die Leute aber auch einfach zu lange. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass man eine Hochrechnung für eine Doppel-Bepachtung macht und ein Gewinn für den Pächter in Höhe von 60.000 Euro aufgerufen wird, mag das erst einmal – gerade für Jungpächter – ordentlich klingen. Das waren im Jahr 2021 noch ungefähr 54.000 Euro. Und was sind denn 60.000 Euro prognostizierter, ich betone: prognostizierter, noch nicht einmal generierter Gewinn für einen Selbstständigen? Da kann ich für 43.000 Bruttogehalt als Angestellter arbeiten gehen. Inklusive sozialer Absicherung, weniger oder gar keiner Verantwortung …

Programme wie "Future Hero" von Aral sprechen genau solche Leute an. Junge, motivierte Menschen, die zurzeit vielleicht Stationsleiter sind und sich weiterentwickeln möchten. Für solche Menschen klingen 60.000 Euro erst einmal nach viel Geld. Bis sie aber begreifen, was hängen bleibt, geht es oft sofort zulasten der Altersvorsorge - denn die wird als Erstes gestrichen. Und trotzdem geht es wirtschaftlich nicht bergauf. Die Haltbarkeit dieser Konzepte wird immer kürzer.

Man darf auch nicht vergessen, was das psychisch bei den Leuten anrichtet. Das ist fatal.

Der Trend geht zur Zweit-Tankstelle …

Ziegner: … drei oder vier Tankstellen sogar! Die Zahl der Mehrfachbetreiber ist in den Jahren stärker gestiegen als gedacht.

Was noch erschwerend hinzukommt: Die Systeme wie Kassen oder die Warenwirtschaft funktionieren nicht immer einwandfrei. Ein Jungpächter kann noch so gut ausgebildet sein. Wenn die Erfahrung fehlt und außerdem eine Mehrfachpacht vorliegt, dann kann der Pächter schnell die Kontrolle verlieren.

Wir haben aktuell die Situation, dass sich Betrugsfälle extrem häufen. Als Jungpächter ohne oder mit nur sehr wenig Rücklagen ist das Ende schneller da, als man meint.

Verfürth: Stichwort Rücklagen: Bei vielen von uns sind die Betriebsmittel, die über die Jahre angesammelt werden konnten, aufgebraucht. Viele hängen immer stärker in der Abhängigkeit ihrer Mineralölgesellschaft. Das ist dramatisch. Das darf nicht sein. Da wird uns jegliche unternehmerische Freiheit genommen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als bei der Bank den nächsten Kredit aufzunehmen. Und das jetzt bei dem derzeit hohen Zinsniveau!

Mit einem Wort: Wie geht es der Tankstellenbranche in Deutschland?

Verfürth: Schlecht.

Ziegner: In der Breite des Netzes ist das so, ja. Es sieht nicht gut aus.

Ist der sogenannte Mobility Hub die Lösung? Können Tankstelle überleben, wenn sie zum Lade- oder Waschpark werden, wenn sie ihr Angebot als Nahversorger ausbauen?

Ziegner: Sicher ist: Es wird keine einheitliche Lösung geben. Auf dem Dorf macht ein Ladepark zum Beispiel keinen Sinn. Da machen sich viele falsche Vorstellungen. Sehen Sie zum Beispiel in Norwegen: Da finden Sie Ladestationen eben nicht an Tankstellen. Sondern an Knotenpunkten, da stehen dann Ladepunkte - und ein Restaurant daneben. Solche Lösungen werden viel wegnehmen vom Unterwegs-Ladebedarf an Tankstellen.

Das ändert aber nichts daran, dass der Bestand an E-Autos zunimmt und derjenige der Verbrenner sinkt. Allein aus diesem Grund muss die Zahl der Tankstellen sinken. Und es gibt noch andere Gründe dafür.

Welche? Warum muss die Anzahl der Tankstellen sinken?

Ziegner: Weil sich mit den heute schon abzubildenden Kostenexplosionen manche Tankstelle eben nicht mehr auf Dauer wirtschaftlich rentabel betreiben lässt. Und dabei haben wir hier in Deutschland schon ein sehr effizientes Tankstellennetz.

Um wie viele Stationen wird das Netz schrumpfen?

Ziegner: Das ist unmöglich zu sagen. In den neuen Bundesländern wurden zum Beispiel damals Tankstellen gebaut, die für einen ganz anderen Absatz geplant waren. Da gibt es Stationen, an denen heute nur noch eine von ursprünglich fünf Säulenreihen steht. Diese Tankstellen sind einfach viel zu groß. Zu teuer im Betrieb, aber eigentlich auch zu teuer für den Abriss.

Für Autohöfe gilt das Gleiche. Es gibt heute Standorte, die wurden in den 1990er-Jahren gebaut, als der große Autohof-Run da war. Die Kraftstoffabsätze sind auch ganz vernünftig. Im Grunde können diese Autohöfe aber abgerissen werden, weil für den Restaurant-Gedanken, der dahintersteht, nämlich riesige Bedien-Gastronomie, gar kein Personal mehr verfügbar ist.

Und dann muss man immer auch den finanziellen Hintergrund betrachten. Welcher Verzinsungsgedanke auf das eingesetzte Kapital steht dahinter? Wer ist Betreiber einer Tankstelle? Ist es ein Mittelständler, der vielleicht in der Region präsent bleiben will? Oder ist es ein multinationaler Konzern, der im Zweifel nicht über das "Wie" nachdenkt, sondern darüber, ob er überhaupt noch Tankstellen betreibt. Siehe das Beispiel Esso. Oder OMV.

Die Schließung einer unwirtschaftlichen Tankstelle ist in Ordnung – wenn sie sozialverträglich abläuft und die noch verbleibenden Tankstellen dann rentabel betrieben werden können.

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