Herr Megerle, wann hat Sie zuletzt eine Tankstelle überrascht?
Sehr spannend finde ich derzeit Tankstellen mit völlig neuen Servicekonzepten, die aktuell in Norwegen entstehen. Norwegen hat die größte Durchdringung mit E-Mobility. Damit geht einher, dass die Fahrer länger an der Tankstelle verweilen – etwa eine Viertelstunde, um einen Tesla auf 80 Prozent aufzuladen. Während der Kunde wartet, kann er etwas essen, für dessen frische Zubereitung auch noch ausreichend Zeit ist. So könnte die Tankstelle zum sogenannten Multi-Service-Hub für verschiedene Dienstleistungen werden.
Was könnten Tankstellen noch anbieten?
In den USA gibt es viele Start-ups, die sich der sogenannten Mikromobility verschrieben haben. Das sind E-Scooter, also normale Tretroller, die mit einem Elektromotor ausgestattet sind, oder kleine E-Bikes, die dort verliehen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass die Tankstelle der Zukunft zu einem Mobility-Hotspot wird. Tankstellen sind meistens günstig stadtnah gelegen, sodass ich mich mit meinem Ridesharing-Fahrzeug dorthin navigieren lasse und auf eine für die Stadt besser geeignete Mobilitätsplattform umsteige, sprich auf einen E-Tretroller oder ein E-Bike. Die Tankstelle könnte ein Treffpunkt werden sowohl für Ridesharing-Flotten, die dort außerdem auftanken können, als auch für einen Wechsel der Mobilität.
Wo können Tankstellen im weltweiten Vergleich nachziehen in der Entwicklung?
Was eine Tankstelle ausmacht, ist erstmal ihre Lage. Sie werden ja so geplant, dass sie strategisch verkehrsgünstig liegen. Man kann die Tankstelle zusätzlich als Nahversorgungsknotenpunkt in der näheren Umgebung sehen. Da gibt es gerade spannende Beispiele aus China: Hema Supermarkets setzt etwa radikal auf die Verpflegung des näheren Umkreises. Das Sortiment wird komplett datenbasiert auf einen Radius von drei Kilometern angepasst. Die Frage ist: Was kaufen die Leute in genau dieser Umgebung ein? Und dann passt man das Sortiment nur auf dieses Umfeld an. Natürlich muss die Tankstelle sich weiterhin ebenso an Leute richten, die vielleicht nicht in der näheren Umgebung wohnen. Hier sehe ich das sogenannte Geofencing als wichtiges Thema.
Was bedeutet das?
Man umliegt die Tankstelle mit einer „digitalen Aura“. Sobald ein potenzieller Konsument diesen virtuell gezogenen Zaun betritt, bekommt er proaktiv entsprechende Angebote auf sein Smartphone geschickt, zum Beispiel einen rabattierten Kaffee zur Tankfüllung. Wenn man das ein bisschen spezifischer, datenbasierter ausspielt, dann spricht man von Geotargetting. Das heißt, man erstellt Bewegungsprofile und erkennt anhand von intelligenten Algorithmen: Ist das ein potenzieller Kunde? Die Tankstelle ist im Benzinpreis vielleicht austauschbar, aber den rabattierten Kaffee nimmt der Kunde dann mit.
Gibt es solche Konzepte schon?
Ja, in China sehen wir Beispiele dafür. Dort poppt mit dem Befahren der Tankstelle im Infotainment-System das Sortiment des anhängigen Shops auf. Der Fahrer kann aus dem Auto heraus direkt per Touch bestellen, was er haben möchte und bekommt das ans Auto geliefert. Hier kommt man dem Kundentypus des zeitkritischen Pendlers entgegen. Er kann direkt aus dem Auto heraus sein Benzin bezahlen, bekommt seinen Kaffee oder was er haben möchte, ans Auto geliefert und ist dann fast wie beim Formel-1-Boxenstopp ganz schnell wieder auf der Straße.
(Das Gespräch führte Julia Richthammer; Das Interview erschien in Sprit+ Ausgabe 3/2019.)
Im zweiten Teil des Interviews in Ausgabe 4.2019 lesen Sie, warum Deutschland im Bereich Digitalisierung nach wie vor anderen Ländern hinterherhinkt.