Mitte November erreichte Sprit+ per Post ein Brief, der laut Verteilerliste zudem an die anderen Fachzeitschriften, Verbände sowie Vertreter der OMV in Burghausen und Wien versendet wurde. In der vierseitigen Niederschrift beanstandet der anonyme Verfasser auf das Härteste die aktuelle Situation im Hause OMV, insbesondere den Führungsstil von Tankstellenchef Robert Böhmisch. Der Brief ist gespickt mit Rechtschreib- und Interpunktionsfehlern, Formulierungen wie „Zeit des Wahnsinns und Grauens“ und sehr reißerische Anschuldigungen lassen auf den ersten Blick an der Seriosität der Kritik zweifeln. „Da wollte sich halt irgendein Spinner Luft verschaffen“, könnte man denken.
Aus Mangel an Vertrauenswürdigkeit wäre dieser Brief deshalb wohl auf irgendeinem Papierstapel gelandet und mit der Zeit in Vergessenheit geraten. Denn ohne seriöse nachvollziehbare Quelle lassen auch wir Journalisten lieber die Finger von solchen Geschichten. Doch der Brief war quasi nur das Ende einer Recherche, die Mitte September mit einem Telefonat mit Jürgen Ziegner, Geschäftsführer des Zentralverbands des Tankstellengewerbes (ZTG), seinen Anfang nahm und auf das mehrere Gespräche mit Branchenvertretern folgten, die die Anschuldigungen über das wenig partnerschaftliche Verhältnis der Zentrale zu den Pächtern bestätigten.
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat die Erhebung einer unterjährigen Sonderpacht. „Mit der Auswertung des ersten Halbjahres hat die OMV wohl festgestellt, dass die Ergebnisse über den Erwartungen lagen“, berichtet Ziegner. Daher forderte der Außendienst laut ZTG ab September bei 60 bis 80 Pächtern eine Unterschrift unter eine Vertragsveränderung ein, die es der MÖG erlaubt, unterjährig eine Sonderpacht in einer Größenordnung von 5.000 bis 35.000 Euro einzuziehen. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden, sobald der Pächter diese zusätzliche Vereinbarung unterschrieben hat. Das werden wohl auch viele getan haben, aus Angst vor der Kündigung.
Das Vorgehen der OMV ist also juristisch gesehen zulässig, aus mehreren Gesichtspunkten jedoch zumindest moralisch fraglich. Denn die guten Zahlen des ersten Halbjahres, über die sich die gesamte Branche freut, sind keine Garantie dafür, dass auch das restliche Jahr so verläuft. Der Gewinn liegt Ende 2018 nicht zwangsläufig höher als in der Geschäftsplanung veranschlagt. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass Ziegner aktuell kein Fall einer anderen MÖG vorliegt, die bereits unter dem Jahr eine Sonderzahlung einfordert.
Lohnenswerter Einsatz?
Einen besonderen Beigeschmack bekommt diese Sonderpacht zudem, liest man das Interview aus Sprit+ Ausgabe 7 noch einmal, das wir im Mai dieses Jahres mit Tankstellenchef Böhmisch auf der Uniti Expo geführt haben. Darin betont er: „Es soll sich lohnen, Engagement und Einsatz zu zeigen. Das heißt, die guten Tankstellenpartner, die sich wirklich einsetzen, werden aus diesen neuen Pachtverträgen tatsächlich auch bessere Ergebnisse erzielen.“ Gelohnt hat sich das zusätzliches Engagement der Pächter durch die Sonderzahlung bisher vor allem für einen: für die OMV.
Die sieht sich mit ihrem Vorgehen im Recht, wie die Antwort der Zentrale in Wien auf die Anfrage von Sprit+ zeigt. Hier heißt es: Grundsätzlich veröffentliche und kommentiere die OMV keine Vertragsinhalte. Wie jedoch aus dem genannten Interview bekannt, habe das Unternehmen mit einem Großteil der Partner seit Mitte 2017 neue Verträge vereinbart, „die unternehmerisches Denken fördern und zusätzliche Erträge bei optimaler Ausschöpfung der Potenziale ermöglichen“. Grundlage solcher Verträge seien wie in der Branche üblich die Geschäftspläne, die mit den Partnern abgestimmt wurden. Wurden die definierten Annahmen zu hoch oder zu gering eingeschätzt, sei eine Anpassung in beide Richtungen möglich, heißt es weiter.
Die zum Teil starken Abweichungen von den veranschlagten Umsatzpotenzialen resultieren 2018 laut OMV aus der Umstellung auf den neuen Vertrag und „zahlreichen weiteren individuellen Faktoren“. Künftige Geschäftsplanungen seien wie auch in diesem Jahr immer dynamisch zu betrachten. „Wir praktizieren in unserer Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen und Partnern Systempachten, die gegebenenfalls bei gravierenden Abweichungen auch durch sogenannte Potenzialpachten ergänzt werden“, schreibt die Zentrale.
Aus heutiger Sicht hätten Partner, bei denen im Laufe des Jahres Potenzialpachten angefragt und vereinbart wurden, aufgrund der guten Geschäftsentwicklung auch nach der Vereinbarung bis dato einen höheren Gewinn erzielt, als ursprünglich für das Geschäftsjahr 2018 geplant war. Ob diese Aussage stimmt, wird das Jahresende zeigen. Doch viele Pächter werden sich zweimal überlegen, ob sich ihr zusätzliches Engagement angesichts einer Potenzialpacht tatsächlich auszahlt.
(Autorin: Annika Beyer; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 12.2018.)