Als „bunten Vogel, der in keine Schublade passt“ beschreibt sich Melanie Pfitzner. Diese Selbsteinschätzung kann man schon aus optischen Gründen nicht von der Hand weisen: Eine blau-pinke Haarsträhne fällt ihr beim Lachen immer wieder über das Ohr, die schwarze, dicke Kunststoffbrille dominiert das Gesicht und steht im farblichen Kontrast zum knallpinken Lippenstift. Wie die Chefin einer Tankstelle sieht die gebürtige Münchnerin zugegeben nicht aus.
Doch Pfitzner leitet seit sieben Jahren die Bavaria Petrol Tankstelle im Süden Nürnbergs am Franken-Center. Davor war sie Pächterin der Station der blau-grünen Mineralölgesellschaft direkt neben der Unternehmenszentrale in Ottobrunn südlich von München. Zum Lebensplan hat diese Karriere der gelernten Erzieherin allerdings nicht gehört. „Ich bin zur Tankstelle gekommen, wie die Jungfrau zum Kind“, sagt die 61-Jährige.
Zwischen 1976 und 1984 betrieb ihr Ehemann gemeinsam mit einem Kollegen eine Werkstatt mit Tankstelle. Dort arbeitete sie halbtags im Büro, die andere Tageshälfte als Erzieherin. Anschließend wollte er unbedingt alleine eine Station übernehmen, sie eigentlich nicht. Der Grund? „Meine Eltern waren selbstständig. Ich wusste also, was das bedeutet: Viel Arbeit, kein Urlaub“, erinnert sich Pfitzner.
Hochschwanger an der Station
„Doch der Klügere gibt nach“, wie sie selbst sagt, und ihr Mann pachtete 1984 die Station von Bavaria Petrol in Ottobrunn. Damals war Pfitzner mit dem zweiten Sohn hochschwanger. Drei Jahre später kam ein weiterer Sohn auf die Welt. Die dreifache Mutter arbeitete fortan halbtags im Büro bei ihrem Mann und kümmerte sich ansonsten um die Kinder.
Die Zeit verging, die Kinder wurden größer und dann kam der Schicksalsschlag: „Mein Mann war ein wirklicher Workaholic, alles musste er selbst machen. Und plötzlich ist er von heute auf morgen zusammengeklappt“, erzählt Pfitzner mit für sie untypisch ruhiger Stimme und blickt dabei nachdenklich an die Decke. „Dann stand ich da. Mein Mann auf der Intensivstation und ich konnte niemanden fragen. Dazu drei Kinder.“ Pragmatisch stellte sich Pfitzner dem Schicksal, ganz nach dem Motto „Das bekomme ich schon irgendwie hin“.
Ein halbes Jahr habe es gedauert, bis klar war, dass das nicht nur eine Übergangsphase bleibe und ihr Mann nicht mehr zurückkommen würde. „Meine anfänglichen Wissensdefizite habe ich mit viel Fragen abgebaut. Da war ich mir nie zu schade drum“, erinnert sich die Pächterin und ergänzt lachend: „Vielleicht habe ich mich als Frau auch leichter getan.“ Viele Dinge beispielsweise rund um die Waschstraße habe sie dabei gelernt – „mit Verachtung“, aber sie habe sie gelernt.
Viel Hilfe erfuhr sie dabei von Bavaria Petrol und vom Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Bayern. „Ich musste für fünf Leute den Lebensunterhalt finanzieren. Das war eine Zeit, die möchte ich nicht mehr haben. Aber es hat funktioniert, weil ich gelernt habe, auf meine Fähigkeiten und mein Bauchgefühl zu
vertrauen“, sagt sie rückblickend mit Stolz in der Stimme.
Dieser Bauch habe dann aber „furchtbare Sperenzchen gemacht“ als Bavaria Petrol die Tankstelle in Ottobrunn abreißen wollte, um auf dem Gelände eine neue Station mit 24-Stunden-Betrieb zu eröffnen. Diesen Rund-um-die-Uhr-Stress wollte sich die damals 55-Jährige nicht mehr antun. Und jetzt noch einmal die Branche zu wechseln, wäre eine Verschwendung des über viele Jahre angeeigneten Wissens gewesen. „Ja, Pfitznerin, was mach ma’ denn mit dir“, habe der damalige Bavaria Petrol Chef Karl Strenz gefragt und vorgeschlagen: „Dann steck ma’ di’ woanders hin.“
Für das „Woanders“ standen mehrere Standorte zur Option. Pfitzner hat neun Monate gebraucht – „wie bei einer Schwangerschaft“ –, bis sie sich entschieden hatte. Die Wahl fiel auf Nürnberg, was zwar Franken, aber immerhin noch Bayern und nah bei München ist, wo ihre drei Söhne und ihre Mutter noch heute leben. Ihr Mann ist inzwischen verstorben, nachdem er die letzten Jahre aufgrund der 24-Stunden-Betreuung im Pflegeheim verbrachte.
Seit neun Jahren gibt es mit Martin Kohlschreiber einen neuen Mann im Leben von Pfitzner. Er hat in München seinen Job gekündigt und ist mit nach Nürnberg gegangen. Jetzt arbeitet er ebenfalls Vollzeit, wenn auch nicht ganz so viel wie Pfitzner, mit an der Tankstelle. Das sei nicht immer einfach: Die Arbeit ist oft – „viel zu oft“ – Thema zu Hause und der letzte gemeinsame Urlaub liegt auch schon wieder vier Jahre zurück. Außerdem arbeitet ihr Lebensgefährte im Gegensatz zu ihr sehr strukturiert. „Das gibt schon manchmal Zoff“, gesteht die Pächterin.
Vertrauen statt Kontrolle
Generell legt sie trotz ihrer Führungsrolle sehr viel Wert auf ein partnerschaftliches Verhältnis zu Kohlschreiber und natürlich zu allen anderen Angestellten. „Ich möchte gerne zu meinen Mitarbeitern ein Vertrauensverhältnis und kein Kontrollverhältnis haben“, betont die Tankstellenchefin. „Sie bekommen von mir einen großen Vertrauensvorschuss, aber Gnade ihnen Gott, sie verwirken ihn.“
Nicht nur die Arbeit mit den Menschen, egal ob Mitarbeiter oder Kunde, ist ein Grund, warum Pfitzner ihren Job trotz mancher Widrigkeiten gerne macht. „Jeden Tag das Gleiche machen, könnte ich nicht. Es muss immer Bewegung drin sein“, erklärt sie. Auch an die viele Arbeit, oft sechs Tage und über 60 Stunden in der Woche, ist sie gewöhnt: „Wenn ich sonntags acht Stunden arbeite, ist das für mich ein halber Tag.“
Glücklicherweise sie ist in der Lage, nach der Arbeit komplett abzuschalten. „Es müsste schon lichterloh brennen, damit ich Schreibkram mit nach Hause nehme“, sagt die Wahlfränkin. Mit ihrer neuen Sicherheitsanlage könnte sie jetzt beispielsweise auch von daheim aus die Tankstelle kontrollieren, aber das will Pfitzner nicht. „Dann schau ich vielleicht noch über das Video nach, ob das Bier aufgefüllt ist“, sagt sie, bricht wieder in ihr ansteckendes lautes Lachen aus und erzählt, wie sie am vergangenen Wochenende einfach mal den Nachmittag Zeitschriften lesend auf der Dachterrasse verbracht und die Sonne genossen hat.
Solche entspannten Momente könnte sie eigentlich bald öfter haben, zumal Kohlschreiber im kommenden Jahr in jedem Fall in Rente gehen will. Aber obwohl sie für diese Zeit vorgesorgt hat, will sie noch nicht aufhören. „Ich bin froh, dass ich keine 20 Jahre mehr machen muss. Ich habe auch keinen Druck mehr, eine Familie ernähren zu müssen“, sagt die 61-Jährige. Sie müsse nun keine Berge mehr versetzen: „Das gibt mir etwas mehr Leichtigkeit im Alltag.“
(Autorin: Annika Beyer; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 9/2016.)