Für Menschen unter 30 Jahren muss es klingen, als unterhielten sich die Älteren über die schlimmen Zustände eines anderen Jahrhunderts. Damals in grauer Vorzeit fuhren die Menschen noch zu McDonald’s, um sich (unter der Ladentheke) Eis in Plastiktüten zu beschaffen. Nicht etwa das Speiseeis, sondern Eiswürfel, um zu Hause die Drinks für die sommerliche Gartenparty in einen erfrischenden Aggregatzustand zu verwandeln. Eis to go gab es damals noch nicht zu kaufen. „Damals“, und darüber erschrecken die jungen Menschen, die sich schon immer ihre Eiswürfel an der Tankstelle besorgen, seitdem sie Auto fahren können, war 2004.
„Das mag man kaum glauben, aber 2004 waren Eiswürfel to go eine richtige Produktinnovation“, beginnt Reinhard Schweitzer die Erzählung über die Geschichte seiner Firma Crio Ice, die ihren Ursprung zwei Jahre früher hatte: Im Spanien-Familienurlaub entdeckten die Schweitzer Kühlfahrzeuge, die Eiswürfel transportierten. „Obwohl die klimatischen Voraussetzungen hier natürlich ganz andere sind, waren wir überzeugt, dass sich das Produkt auch in Deutschland durchsetzen würde“, sagt Schweitzer.
Auch wenn die Pionierfamilie damals auf ein komplett unerschlossenes Eisland blickte, war die Kältetechnik nicht gerade Neuland für sie. 1984 hatte Reinhard Schweitzer das Unternehmen Crio Medizintechnik gegründet, das Tiefkältekammern für Rheumapatienten baute und die Versorgung von Sauerstoffpatienten im Homecare-Bereich übernahm. Der Verkauf der medizintechnischen Firma im Jahr 2004 an den Konkurrenten Linde war die Basis für Investitionen in die Eiswürfelproduktion.
Anfängliche Schwierigkeiten
An die ersten Jahre denkt Carsten Schweitzer, wie sein Vater Geschäftsführer von Crio Ice, mit gemischten Gefühlen zurück. „Wir mussten bei der Einführung des neuen Produkts extrem in Vorleistung gehen und hatten schon zu kämpfen“, erzählt er. Schwierigkeiten machten die Distribution, das Kalkulieren der saisonalen Produktion und der Lagerkapazitäten, aber vor allem seine hohen eigenen Erwartungen. Carsten Schweitzer verfolgte das Ziel, qualitativ hochwertiges Eis herzustellen, das lange kühlt und nicht im Beutel zusammenklebt.
Nach 13 Jahren Eiswürfelforschung sehen die Schweitzers ihre beiden Premiumprodukte, die den Namen Icefrocks tragen, auf einem hohen Level. Für normale Getränke sind die Solid Frocks gedacht, große Eiszylinder, die anders als herkömmliche Hohlkegel massiv sind. Dadurch bieten sie der Wärme weniger Oberfläche und kühlen das Getränk länger. Bei Cocktails wie Caipirinha ist jedoch genau das gefordert: kleines Eis, das schnell auskühlt und gleichzeitig verwässert. Anders als beim Crushed Ice, das die Schweitzers zugunsten des Cocktail Ice einstellten, entsteht beim Bruch nicht so viel feiner Schnee und das Produkt klebt weniger zusammen.
Seit der Vorstellung auf der Uniti Expo 2016 erfreut sich Cocktail Ice laut Reinhard Schweitzer zunehmender Beliebtheit. Bald solle das neue Produkt gleich häufig verkauft werden wie die normalen Eiswürfel, ohne dass die an Absatz verlieren.
Das sei aber kaum zu befürchten, erklärt Schweitzer, denn die Zuwachsraten der vergangenen Jahre wiesen ein stetes Absatzwachstum für Eis to go im zweistelligen Prozentbereich aus. „Das erkennen auch die großen MÖG, die Eis mittlerweile zur Chefsache machen. In das neue Konzept von JET zum Beispiel wurde die Eistruhe ins Gesamtbild der Tankstelle integriert.“ Denn nicht nur für die unter 30-Jährigen gehören Eiswürfel selbstverständlich zur Tankstelle dazu.
(Autor: Michael Simon; der Artikel erscheint in Sprit+ 5.2017.)