Jürgen Ziegner vom Zentralverband des Tankstellengewerbes (ZTG) und Michael Ziegler, Präsidenten des baden-württembergischen Kraftfahrzeug- und Tankstellengewerbes, sind sich einig, dass „das System komplexer ist, als die meisten es sich vorstellen können.“ Selbst wenn die Zahl der Elektroautos stärker zunehmen sollte als vorausgesagt, würde es ohne Tankstellen nicht gehen „aber es werden andere sein als heute“, ist sich Michael Ziegler sicher. Für Autohäuser und Tankstellen eröffneten sich neue Geschäftsfelder: „Autonome Fahrzeuge eröffnen neue Möglichkeiten für Dienstleistungen, neue Mobilitätsformen eingeschlossen.“
79 der Befragten können sich einen Alltag ohne eigenes Auto nicht vorstellen. „Das Auto bleibt also auf Jahre und Jahrzehnte mit mindestens 75 Prozent der Hauptträger der Mobilität“, fasst Michael Ziegler die Ergebnisse des aktuellen DAT-Report zusammen. Deswegen, so seine Schlussfolgerung, „werden die rund 1.500 Tankstellen in Baden-Württemberg, die unser Verband ebenfalls vertritt, in der sich wandelnden Mobilitätswelt eine besondere Rolle spielen.“ Eine Rolle, die vom Ort und der jeweiligen Struktur abhängt: „Dass die Tankstelle insbesondere im ländlichen Raum einen wesentlichen Teil der Infrastruktur der Treibstoff- und auch der Warenversorgung darstellt, ist jetzt schon unbestritten. Sie wird andere Angebote machen müssen als eine Tankstelle in der Stadt, in Stadtnähe oder an der Durchgangsstraße, beispielsweise im Shop- und Convenience-Bereich.“
Den Tankstellen erwachse durch die massiven Investitionen von Städten und Gemeinden, aber auch privater Investoren in die Ladeinfrastruktur eine teils staatlich geförderte Konkurrenz. Ihnen biete sich „durch die fortschreitende Elektromobilität aber auch eine zusätzliche Chance, wenn die Technologie sich in Richtung leistungsstarker Ladestationen und leistungsstarker, schnellladbarer Feststoffakkus entwickelt. Die aktuellen Forschungsergebnisse zeigen in diese Richtung“. Fossile Treibstoffe oder E-Fuels anzubieten, sei für sie keine Herausforderung, sondern Anpassung an sich ändernde Treibstoffarten. Eine Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen, wäre schon anspruchsvoller. Und Elektromobilität werde nicht nur Ladestationen zu Hause kennen: „Insbesondere dann, wenn tatsächlich Reichweiten von 1.000 Kilometer für Batterieautos erreicht werden, die Autohersteller bereits versprochen haben. Denn solche Superbatterien werden vermutlich auch Superlader erfordern, wenn das Stromtanken schnell gehen soll.“
Dies erfordere aber – genau wie in den anderen Bereichen der Automobilwirtschaft – neue Geschäftsmodelle und Investitionen, und „dafür sind die aktuellen Literprovisionen der Tankstellenunternehmer beim Kraftstoffverkauf unzureichend“, kritisiert Michael Ziegler die Mineralölkonzerne. „Wenn heute eine Pächterstation nur dank freiwilliger Betriebskostenzuschüsse der Konzerne überlebensfähig ist und Eigentümerstationen kaum noch ausreichende Überschüsse erwirtschaften können, läuft etwas grundlegend falsch.“ Dies gefährde eine ganze Branche mittelständischer Familienunternehmer und hungere sie aus. „Wir fordern faire Vergütungen auf Basis realistischer Geschäftsplanungen.“
Von einer gesunden Tankstelleninfrastruktur mit selbständigen Unternehmern profitierten auch Verbraucher und Klima: Denn mit der neuen Lage am Energiemarkt durch den Ukraine-Konflikt zeige sich noch deutlicher, wie wichtig eine funktionierende Treibstoffversorgung ist: „Was E-Fuels angeht, haben wir beispielsweise viel zu viel Zeit mit akademischen Diskussionen über Wirkungsgrade verschwendet. Denn wir brauchen alle Technologien zur Erreichung der Klimaziele. Hätten wir E-Fuels wenigstens in beimischungsfähigen Mengen, würde neben einem Klimanutzen auch unsere Unabhängigkeit von Despoten und Kriegsherren gestärkt werden, und das ist ein unschlagbares Argument, wie wir inzwischen lernen mussten.“ (red)
Rieß