Noch in den 80er und 90er Jahren haben viele Mineralölgesellschaften Vertriebsverträge mit Eigentümern abgeschlossen, die ihnen den langfristigen Zugriff auf die Stationen sicherten. Eigentümer, die heute in solchen langfristigen Verträgen stecken und diese aus den verschiedensten Gründen beenden wollen, haben gute Karten. In zahlreichen Urteilen haben die Gerichte in den letzten Jahren zugunsten der Eigentümer entschieden. Sprit+ sprach mit Rechtsanwalt Kay Wagner über die Rechtslage und die Chancen für Eigentümer, aus langfristigen Verträgen mit ihrer Mineralölgesellschaft auszusteigen.
Herr Wagner, das Urteil des Landgerichts Köln ist nur ein Beispiel einer langen Reihe von Verfahren, in denen sich die Gerichte mit langfristigen Verträgen zwischen Mineralölgesellschaften und Eigentümern auseinandersetzen mussten. Wieso enden die Auseinandersetzungen um diese Vertragsverhältnisse in den vergangenen Jahren so häufig vor Gericht?
Fast alle großen Mineralölgesellschaften, vor allem aber Shell und Esso, haben in den 80er und 90er Jahren langfristige Verträge mit Grundstückseigentümern ausgehandelt, die vor allem die Gesellschaft begünstigten. Denn sie wollten sich das Grundstück nicht nur langfristig, sondern auch günstig sichern. In den mir bekannten Fällen führt zum Beispiel die literabhängige Vergütung bei sinkenden Absätzen und ständig steigenden Kosten dazu, dass die Erträge für den Eigentümer immer weiter sinken. Die Eigentümer handeln damit meist aus purer wirtschaftlicher Not. Aus meiner Sicht sind diese Verträge geradezu sittenwidrig, denn schließlich gibt es sogar in den meisten Mietverträgen eine Indexklausel, mit der der fixe Mietbetrag an die allgemeine Preis- und Kostenentwicklung angepasst wird.
Eine Vielzahl von Gerichten hat in den letzten Jahren Eigentümern Recht gegeben, die die Verträge vorzeitig beenden wollten. Auf welcher Rechtsgrundlage?
Vertriebsverträge, wie sie vor allem zwischen den großen Mineralölgesellschaften und Grundstückseigentümern abgeschlossen wurden, unterliegen in der Regel dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und immer dem Kartellrecht. Nach dem AGB-Recht ist eine Klausel unwirksam, wenn sie einen der Vertragspartner unangemessen, also zum Beispiel im Hinblick auf das einseitige Kündigungsrecht oder die unangemessene Vergütung, benachteiligt. Als AGB-Klauseln gelten in der Regel alle Klauseln aus vorformulierten Standardverträgen, die von den meisten Mineralölgesellschaften benutzt wurden. Und eine unwirksame AGB-Klausel fällt ersatzlos weg. Ohnehin sind Verträge mit einer Laufzeit von mehr als zehn Jahren nach ständiger Rechtsprechung nur aufgrund besonderer Amortisationsgründe erlaubt. Und bisher hat noch keine Mineralölgesellschaft darlegen können, dass sich ihre Investition nicht innerhalb von zehn Jahren amortisiert hat.
Sie sprachen eben das Kartellrecht an ...
Auch nach Kartellrecht sind die Verträge angreifbar, denn das europäische Kartellrecht verbietet Wettbewerbsbeschränkungen in vertikalen Vertriebsbeziehungen, die über einen Zeitraum von fünf Jahren hinausgehen. Und das Verbot, den Kraftstoff anderer Gesellschaften zu verkaufen, sowie die in den Verträgen festgelegte Treuepflicht sind eindeutig Wettbewerbsbeschränkungen.
Warum fällt eine unwirksame AGB-Klausel ersatzlos weg? Aus normalen Verträgen kennt man doch die salvatorische Klausel, die in solchen Fällen greift.
Es ist die Besonderheit des AGB-Rechts, dass dort die sogenannte „gültigkeitserhaltende Reduktion“, also die sogenannte salvatorische Klausel nicht gilt. Unzulässige Klauseln fallen damit ersatzlos weg und werden nicht auf ihren gerade noch zulässigen Inhalt reduziert, indem beispielsweise statt einer 25-jährigen Vertragslaufzeit eine 15-jährige Vertragslaufzeit angesetzt wird. Der Gesetzgeber hat dies sehr bewusst so geregelt: Denn ansonsten könnten Mineralölgesellschaften auf die Idee kommen, ihre AGB-Klauseln überzogen zu formulieren, in der Gewissheit, dass ein Gericht später festlegen wird, was gerade noch zulässig ist.
Wie reagieren denn die Mineralölgesellschaften auf die zahlreichen Urteile?
Mittlerweile haben alle großen Mineralölgesellschaften ihre Standardverträge auf die zulässige Höchstlaufzeit von fünf Jahren umgestellt, teilweise mit einseitiger Verlängerungsoption zugunsten des Eigentümers. Wehren sich Eigentümer gegen Altverträge mit langen Laufzeiten, wird meist versucht, die Altverträge unter Verbesserung der Konditionen durch neue Fünf-Jahres-Verträge zu ersetzen.
Was raten Sie Eigentümern, die ihren langfristigen Vertrag beenden wollen, um zu einer anderen Gesellschaft zu wechseln?
Wenn ein Mandant zu uns kommt, prüfen wir zunächst, ob wir den Vertrag für kündbar halten. Dabei ist ganz wichtig: Die oben beschriebene Rechtsprechung bezieht sich nur auf Stationärsverträge, denen ein Vertriebsverhältnis zugrunde liegt, und nicht auf „reine“ Grundstücksmietverträge, die keine wettbewerbsbeschränkende Komponente enthalten. Wenn wir nach eingehender Prüfung den Vertrag für kündbar halten, empfehlen wir dem Eigentümer, den Vertrag zu kündigen, denn die Mineralölgesellschaften reagieren in der Regel erst, wenn eine Kündigung auf dem Tisch liegt. Sollte auch dann keine Einigung erzielt werden, muss die Wirksamkeit der Kündigung vor Gericht festgestellt werden. Doch dazu kommt es in den meisten Fällen nicht, denn natürlich kennen auch die Mineralölgesellschaften die Rechtslage und die einschlägige Rechtsprechung, was sich dann in entsprechend attraktiven Einigungsvorschlägen widerspiegelt.
(Autorin: Dagmar Ziegner; Das Interview erschien im Sonderheft Sprit+ Spezial Tankstellennetze.)