Im Frühjahr hat Ihr Vorstand im Namen des MWV den Verhaltenskodex unterschrieben. Welche Bedeutung hat das Dokument?
Prof. Küchen: Der Verhaltenskodex ist als Zusammenstellung von Grundregeln der Zusammenarbeit eine gute Sache für die Branche. Ich kann im Namen unserer Gesellschaften sagen, dass uns eine vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit sehr wichtig ist. Und wenn man dafür ein paar Grundregeln schriftlich festhält, selbst wenn diese eigentlich selbstverständlich sind, dann nutzt das, weil es Klarheit schafft.
Wie zufrieden sind Sie mit der inhaltlichen Gestaltung?
Prof. Küchen: Ich halte den Kodex für umfassend, auch wenn er mit fünf Seiten ein kurzes Dokument ist. Die Konzentration auf das Grundlegende ist gut, denn bestimmte vertragliche Details kann man nicht in einem Kodex regeln, sondern muss sie bilateral klären. Der Kodex legt dafür einen Rahmen fest, der von der Anbahnung des Geschäfts über Themen wie Vertragsänderungen bis zur Vertragsbeendigung die grundsätzlichen Dinge behandelt.
Wie kommunizieren Sie den Inhalt des Kodex an Ihre Mitglieder?
Prof. Küchen: Meines Wissens wurde der Inhalt des Kodex von unseren Mitgliedern breit in die Vertriebsorganisationen hineinkommuniziert. Ob dann jeder Einzelne den Kodex kennt, muss man sich anschauen. Bei den Kontakten, die wir haben, wurde das Thema aber sehr ernst genommen. Am Ende kommt es darauf an, wie das Ganze gelebt wird. Aus diesem Grund werden wir im Herbst zu einem Gespräch einladen, um Feedback von den Pächterverbänden einzuholen.
Welche Themen liegen Ihnen außerdem als neuer MWV-Hauptgeschäftsführer am Herzen?
Prof. Küchen: Ich habe den Auftrag, die Wertschätzung für unsere Mitgliedsunternehmen und ihre Produkte in der Öffentlichkeit und Politik zu fördern und weiterzuentwickeln. Dafür müssen wir meiner Meinung nach das Image von Öl verbessern. Öl wird noch über viele Jahrzehnte unverzichtbar für viele Anwendungen bleiben. Drüber hinaus ist Öl die ideale Ergänzung zu erneuerbaren Energieträgern, weil man es flexibel einsetzen kann und es langfristig bezahlbar bleibt. Die Tankstelle ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Aber sie wird voraussichtlich bunter werden.
Sie sehen also ein Miteinander und keine Konkurrenz der verschiedenen Energieträger?
Prof. Küchen: Ja. Natürlich haben es alternative Antriebe schon rein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten schwerer, auch wenn beispielsweise Flüssiggas im Prinzip wettbewerbsfähig ist. Trotzdem prognostiziert eine Studie von uns, dass Benzin und Diesel in 25 Jahren weiterhin den Löwenanteil im Straßenverkehr einnehmen. Darüber hinaus sehen wir einen klaren Trend zur Hybridisierung. Elektromobilität ist im Moment zwar noch keine Erfolgsgeschichte, aber unsere Mitglieder geben dem Thema heute mehr Gewicht als noch vor drei oder vier Jahren.
Können Tankstellen von dieser Entwicklung überhaupt profitieren?
Prof. Küchen: Ich glaube, dass es künftig verschiedene Lademöglichkeiten geben wird. Die eine Variante ist daheim oder am Arbeitsplatz, wobei die technischen Möglichkeiten heute noch beschränkt sind. Finden Sie mal eine Tiefgarage, in der Steckdosen für E-Autos installiert sind. Daneben testen einzelne Tankstellen Schnellladesäulen. Am Ende wird es eine Frage sein, wie schnell man wirklich laden kann, wie hoch die Investitionen sind und ob sich das rechnet. Wir werden vieles sehen, was ausprobiert wird. Was sich in 25 Jahren durchgesetzt haben wird und was wirtschaftlich ist, das können wir heute noch nicht sagen.
Erdgas und Autogas sollen weiterhin subventioniert werden. Befürworten Sie die staatliche Unterstützung?
Prof. Küchen: Bei Alternativen wird es anfangs immer eine Förderung geben müssen, weil sie sonst nicht funktionieren. Wir als Branche wollen aber auf Dauer keine Produkte, die von Subventionen abhängig sind. Wenn jetzt die Steuerbegünstigung für Auto- und Erdgas verlängert wird, dann unterstützen wir das, weil das eine Chance ist, dass die Produkte erfolgreich werden. Eine Garantie dafür ist das nicht. Subventionen müssen irgendwann auslaufen, aber möglichst degressiv und nicht auf einen Schlag.
Wohin wird Ihrer Meinung nach die Reise beim Thema Kraftstoff hingehen?
Prof. Küchen: Die Weiterentwicklung der Motoren hat höhere Anforderungen an die Kraftstoffe zur Folge. Da wird noch eine ganze Menge geforscht, um Kraft- und Schmierstoffe auf die neuen Anforderungen weiterzuentwickeln. Ein weiteres großes Thema ist die Dekarbonisierung.
Was ist mit Biokraftstoffen?
Prof. Küchen: Im Januar 2015 gab es nach intensiven Diskussionen mit allen Beteiligten die Umstellung auf die neue Treibhausgas-Minderungsquote, die mit Biokraftstoffen erreicht werden soll. Die aktuell geltende 3,5-Prozent-Quote werden wir voraussichtlich einhalten, obwohl das schon mehr ist, als die EU-Richtlinie mit drei Prozent verlangt. Die vier Prozent ab 2017 sind wesentlich ambitionierter, zumal der Anteil von E10 am Benzin bestenfalls stagniert. Die sechs Prozent ab 2020 sind mit den heutigen Erfüllungsoptionen gar nicht erreichbar. Wir sehen der Nutzung von Biomasse aufgrund des Erfordernisses nach Nachhaltigkeit Grenzen gesetzt. Außerdem muss jede Konkurrenz von Tank und Teller vermieden werden. Man wird also weitere Alternativen wie Wasserstoff in Erwägung ziehen müssen.
(Das Gespräch führte Annika Beyer.)
Vita
Prof. Dr. Christian Küchen studierte Verfahrenstechnik und promovierte im Fachgebiet chemische Reaktions-technik an der Technischen Universität Clausthal. Von 1992 bis 1995 war er verantwortlich für die Anwendungs-technik von Brennstoffen und die Brennstoffprüfstände der deutschen Shell. 1995 wurde er Technischer Ge-schäftsführer des Instituts für Wärme und Oeltechnik (IWO), 2003 Ge-schäftsführer und 2013 Sprecher der Geschäftsführung des IWO. Seit Juni 2004 ist Küchen Honorarprofessor an der Rheinisch-Westfälischen Techni-schen Hochschule (RWTH) Aachen. ab