Legt man die Reaktionen aus dem Publikum zugrunde, hatten alle Referenten auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung der IG Esso ein Heimspiel. Alle bis auf einen: Der Leiter des Tankstellengeschäfts von Esso Deutschland, musste miterleben, dass nicht nur am Unternehmenssitz in Hamburg ein rauer Wind weht, sondern dass das Klima auch beim Auswärtsspiel in Nürnberg kühl sein kann.
Doch zuerst zur Heimmannschaft: IGEsso-Geschäftsführer André Zacharias zog ein positives Fazit für das zurückliegende Geschäftsjahr: „Die meisten von Ihnen dürften ein gutes Jahr gehabt haben, was bei Esso allerdings Begehrlichkeiten geweckt hat.“ Im härtesten ihm bekannten Fall war die Pacht rückwirkend um eineinhalb Jahre angepasst worden.
Dabei wähnte Zacharias Esso zuzeiten der Flat-Fee-Verträge auf einem guten Weg, jedoch sei das leistungshonorierende Konstrukt mit der Einführung des Mindestlohns kollabiert. Nun sei die Situation für Pächter wieder „wenig motivierend“. Ebenfalls prangerte er die gestiegene Anzahl von Kündigungen an. „Im vergangenen Jahr wurde vielen Pächter gekündigt. Die Tendenz geht dahin, dass Esso schneller die Reißleine zieht als früher.“
Neuwahlen der Altbekannten
Das Gegenteil praktizierte das Auditorium im Anschluss. Einstimmig wählten die Mitglieder ohne Gegenkandidaten den neuen alten Vorstand, bestehend aus Markus Mössner (erster Vorsitzender), Volker Bias (zweiter Vorsitzender), Schatzmeister Marco Göbel und Wolfgang Jenuwein (beigeordnetes Vorstandsmitglied), wieder.
Mit größerer (An-)Spannung erwarteten die Mitglieder den Auftritt von EssoTankstellenleiter Hentschke. Der stellte die Frage, was am kolportierten Netzverkauf von Esso dran ist, erst einmal ans Ende. Stattdessen eröffnete er mit Synergy, das ebenso für die neuen Kraftstoffe wie für die neue Forecourt-Optik steht. Seit Ende Juni beziehungsweise Anfang Juli erhalten die Kunden in ganz Deutschland verlässlich die Kraftstoffe, die Exxonmobil neu additiviert hat. Die Designelemente, bestehend aus den roten gebogenen Säulen und den blauen Zapfsäulen, seien bereits an 180 Stationen installiert, bis zum Jahresende sollen es 450 sein. Dabei werde nicht nach geografischen Aspekten vorgegangen. „Wir veranschlagen drei Tage für die Umrüstung, aber viele Stationen werden nach zwei bis zweieinhalb Tagen wieder geöffnet“, sagte Hentschke. Das Kundenfeedback sei hervorragend, die umgerüsteten Tankstellen würden eine Volumensteigerung von 4,2 Prozent vorweisen – und das, obwohl man erst im vierten Quartal eine Werbeoffensive plane.
Ebenfalls vor der großflächigen Auslieferung steht das neue Tankstellenmanagementsystem (TMS). 400 Kassensysteme von Scheidt & Bachmann sollen noch 2017 und der Rest 2018 installiert werden, sechs Stunden sei die Station nicht betriebsfähig, verfüge dann aber über ein Kassensystem ohne Kinderkrankheiten. Weniger lobend äußerte sich ein Teilnehmer im Nachgang: „TMS ist sicher kein schlechtes Kassensystem, doch es kann nur das, was andere Kassen bei anderen MÖGseit Jahren können. Unwesentliche Neuerungen sind das Backoffice mit intelligentem Bestellvorschlag, das Verarbeiten mehrerer Zahlarten und das Abrechnen von E-Loading über die Kasse – das war´s.“
Leerstände und Netzverkauf
Den wahren Unmut vieler Mitglieder bekam Hentschke zu spüren, als er die „Versorgungsproblematik“ in den vergangenen Wochen thematisierte. Nach einer turnusgemäßen technischen Generalinspektion sei es in der Raffinerie Leuna zu einem Schwelbrand gekommen, der einen Produktionsstopp nötig gemacht habe. Man arbeite daran, die Versorgung wieder zu stabilisieren, meinte Hentschke, doch das könne noch andauern. Eine Teilnehmerin wütete, sie habe 72 Stunden Leerstand hinnehmen müssen.
Und dann endlich: die Antwort, was an dem Gerücht Netzverkauf dran ist. „Ja, wir wollen unser komplettes Tankstellennetz an Branded Wholesaler verkaufen“, erzählte Hentschke. Das hätte aber für die Pächter keine großen Auswirkungen. Geplant sei, drei bis vier Käufer zu finden, die mindestens 150 Stationen unter der Marke Esso betreiben. Diese Käufer müssten sich dazu verpflichten, langfristig eine Mindestmenge an Kraftstoff von Esso abzunehmen und das Geschäft auszubauen. So möchte Esso, die sich um Kraftstoffversorgung und Marketing kümmern würde, sicherstellen, dass sie von einem bisherigen Marktanteil von acht Prozent auf zehn bis zwölf kommt. Das sei im Moment aufgrund der Oligopolrechtsprechung unmöglich, die es den Big Five verhindert, kleine Netze hinzuzukaufen. Für kleinere Tankstellengesellschaften gelte das nicht. Die Marktsondierung laufe noch bis Ende 2018. Und falls sich nicht genügend Käufer finden? „Plan B ist: Wir machen weiter wie bisher“, sagte Hentschke. Zacharias begrüßte, dass sich Hentschke nicht ums Thema herumgewunden habe, hält es jedoch für unrealistisch, dass Esso Käufer für solch große Netze findet.
Milder wirkte das Publikum wieder, als Frank Schwarz seinen Gastvortrag hielt. Er informierte die Mitglieder, dass man für Tarife in der privaten Krankenversicherung oft höhere Beiträge zahlt, als man für eine gleichwertige Leistung müsste. Den versicherungsmathematisch besten Tarif ermittelt sein Unternehmen Minerva Kundenrechte für ein einmaliges Honorar in Höhe von 60 Prozent der ersten Jahresersparnis. Abschließend regte Stefan Schwarzer, Verkaufsleiter bei Christ, an, die „Gelddruckmaschine“ Waschanlage doch einmal anzuwerfen. Die Margen bei Fahrzeugwäschen lägen bei weitem über denen von Dienstleistungen im Shop. Ans Herz legte er den Mitgliedern die neue Anlage Vario Speed, die ein Vollwaschprogramm in 5:20 Minuten absolviert.
(Autor: Michael Simon; der Artikel erscheint in Sprit+ 7.2017)