Am 4. Mai 2017 sorgten Reinigungsspezialist Kärcher und Tankstellendienstleister Tokheim für eine große Überraschung in der Branche. Per Pressemitteilung gaben die Unternehmen bekannt, dass sie eine „strategische Partnerschaft“ abgeschlossen hätten. Diese beinhalte, dass Kärcher die eigenen Waschanlagen künftig nicht mehr selbst vertreibe, sondern den Verkauf und den Service in die Hände der Tokheim Service Gruppe lege.
Kärcher, so die offizielle Version, wolle sich verstärkt auf die Entwicklung und Produktion konzentrieren, um dem Markt „herausragende Produkte“ zur Verfügung zu stellen. Tokheim wiederum soll im Auftrag von Kärcher den Vertrieb und Verkauf der Anlagen an den Tankstellen steuern sowie die Installation, Gewährleistung und Wartung für alle Kunden in Europa und Afrika übernehmen. Man sei der „perfekte strategische Partner für Kärcher“, findet Christian Leu, Marketing- und Produktleiter bei Tokheim, denn „durch die hohe Prä- senz auf Tankstellen in ganz Europa ergeben sich Synergieeffekte in Vertrieb und Unterhalt, die kein anderer Anbieter so nutzen kann.“
Mehr Leistungen aus einer Hand
Konkret springe für den Tankstellenbetreiber der Vorteil heraus, dass er noch mehr Leistungen als bisher von einem Dienstleister bekomme. „Sowohl bei Neu- und Umbauprojekten in der Waschtechnik können wir neben der Maschinentechnik auch viele verbundene Aktivitäten aus derselben Hand anbieten. Seien es Sanierungsarbeiten an der Waschhalle oder die nötigen Elektroinstallationen im Vorfeld, Tokheim hat damit jahrelange Erfahrung und übernimmt auch die komplette Projektleitung“, führt Leu aus.
Angeführt wird das deutsche Vertriebs-Team, das am 1. Oktober 2017 als erste Länderorganisation innerhalb der Tokheim-Gruppe an den Start ging, von Torsten Noack. Er war seit 2010 für die Betreuung der Key Accounts bei Kärcher zuständig. Wie er hätten einige den Weg von Kärcher zu Tokheim mitgemacht, berichtet Noack, „wir konnten aber auch intern viele Mitarbeiter für dieses neue Thema gewinnen und sind erfolgreich dabei, die Leute auszubilden. Auch aus dem Gesamtbereich der Waschbranche haben wir schon Techniker für unsere Philosophie gewinnen können.“
Die Herausforderung besteht nun für beide Unternehmen darin, den Übergang so zu gestalten, dass der Kunde zufrieden ist. „Eine große Veränderung ist die Integration des Service in die Tokheim-Struktur und damit zum Beispiel die Integration aller Kundenanfragen in unser 24-StundenService-Center sowie auch die elektronische Auftragsabwicklung über die Tablet-Computer, die in anderen Bereichen schon erfolgreich eingeführt wurde“, erklärt Leu.
Auch wenn die Partnerschaft von der Tankstellenbranche offenbar mit großem Interesse beobachtet wird, wollen sich viele die neue Liaison erst ein paar Monate ansehen, ehe sie sich offiziell dazu äußern. Unter der Hand verriet ein Einkäufer, dass er von dem plötzlichen Zusammenschluss düpiert wurde, weil er anfangs nicht mehr wusste, als die Unternehmen in der gemeinsamen Presseerklärung bekanntgaben. Nach vielen Jahren der Partnerschaft hätte er sich eine persönliche Aufklärung gewünscht. Auch seien die bisherigen Serviceverträge nicht wie vermutet eins zu eins übernommen worden.
Ein anderer Experte hält die Allianz für einen guten Schachzug: „Gerade im Portalbereich wird Kärcher jetzt eine echte interessante Alternative zu den Herstellern Christ und Washtec.“ Bislang sei es Kärcher nicht gelungen, die Waschanlagen ähnlich professionell zu vertreiben und auch der Service war seines Erachtens schlechter. Er vermutet nicht, dass die Preise für KärcherWaschanlagen, die sich ohnehin am Markt orientieren, steigen, obwohl Tokheim jetzt als Zwischenhändler aktiv ist. Aber: „Tokheim und Kärcher müssen jetzt Gas geben. Wenn die in den ersten zwei Jahren nicht aus den Startlöchern kommen, hat sich das totgelaufen.“
(Autor: Michael Simon; der Artikel erschien in Sprit+ 9.2017.)