Weltweit werden mehr als ein Drittel der noch genießbaren Lebensmittel verschwendet. Damit sind nicht verbrauchte Lebensmittel der drittgrößte Emissionsverursacher. In Deutschland landen laut einer Studie des Thünen Instituts von 2019 etwa zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr im Müll. Umgerechnet 75 Kilogramm pro Person. Und das während in ärmeren Ländern bis zu 811 Millionen Menschen nicht genug zu essen haben. Verschiedene Organisationen wie die Welthungerhilfe, die Bundesregierung und Too Good To Go setzen sich mit Aufklärungskampagnen wie „Zu gut für die Tonne“ oder „Städte gegen Foodwaste“ gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln ein. Too Good To Go hat 2015 eine Plattform in Dänemark entwickelt, die Lebensmittelanbieter und Kunden zusammenbringt und so gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln vorgeht. Seit 2016 gibt es die App auch in Deutschland. Mittlerweile nutzen über 14.000 Partnerbetriebe in 900 Städten die App. Die Lebensmittelretter sind in 15 europäischen Ländern sowie in den USA und Kanada aktiv. Weltweit haben sie bereits 132 Millionen Portionen vor der Tonne gerettet. Johanna Paschek, Marketing- und PRManagerin bei Too Good To Go, erklärt das Konzept: „Über die Plattform können Betriebe, die mit Lebensmitteln arbeiten, also auch Tankstellen, ihr überschüssiges Essen zu einem vergünstigten Preis an Selbstabholer anbieten. So muss es nicht weggeschmissen werden.“
Mit Too Good To Go Lebensmittel an der Tankstelle retten
BildergalerieEssen retten per App
Die Nutzung der App ist kostenlos. Für jede verkaufte Überraschungstüte erhebt Too Good To Go eine Pauschalgebühr von einem Euro. Zusätzlich zahlen Anbieter einmal im Jahr eine Servicegebühr von 39 Euro. „Daraus finanzieren wir verschiedene Initiativen und Kampagnen wie „Städte gegen Foodwaste“, weil die Sensibilisierung für das Thema so wichtig ist“, erklärt Paschek. Der Tankstellenbetreiber kann seine Station einfach über die Too Good To Go Webseite anmelden. „Anschließend wird gemeinsam mit unserem Team das Konzept durchgesprochen. Es wird ein AppProfil angelegt mit einer Beschreibung, was vor Ort gerettet werden kann, wie viel die Portion kostet und wann der Abholzeitraum ist. Dann kann die Tankstelle direkt loslegen“, fasst Paschek zusammen. An Tankstellen werden üblicherweise Lebensmittel aus dem Bistro wie belegte Brötchen, Croissants, Bockwurst oder Lebensmittel aus dem Shop, die sich dem Mindesthaltbarkeitsdatum nähern, wie Süßigkeiten oder andere Snacks angeboten. Da es eine Überraschungstüte ist, muss vorher nicht festgelegt werden, was der Kunde bekommt. Die App ist ohne Mehraufwand in den Alltag integrierbar. „Wenn Maßnahmen zu aufwendig sind, wird doch lieber weggeschmissen, weil es schneller geht. Letztendlich müssen die Mitarbeiter nichts Anderes machen, als die Tüten zu packen, bevor die Nutzer kommen, um diese abzuholen“, erklärt Paschek. Nur eine Sache gibt es zu beachten: Der Mindestwarenwert soll etwa 10,50 Euro betragen. Die Tüte wird dann zu einem Drittel des Preises verkauft.
Alle profitieren
Davide Cosentino bietet an seiner Allguth Tankstelle seit August 2020 übriggebliebene Lebensmittel über Too Good To Go an. Unter der Woche können Kunden zweimal täglich – mittags von 13 bis 14 Uhr und abends von 19 bis 20 Uhr – zwei bis vier Portionen abholen. Am Wochenende gibt es nur abends eine Abholzeit. Der Preis für eine Tüte beträgt 3,50 Euro. Dafür bekommen die Abholer drei Teile, die sie sich selbst aussuchen können. Etwa belegte Baguettes, Pizza oder Leberkäs-Semmeln. Der gebürtige Italiener ist seit fünf Jahren bei Allguth tätig. 2019 hat er die Station in München in der Nähe vom Westpark übernommen. Ein Kollege von einer Aral Tankstelle habe ihn auf Too Good To Go aufmerksam gemacht. „Er hat es mir nicht direkt geraten, da es bei ihm nur sehr schleppend lief, aber ich dachte, ich probiere es mal aus.“ Es war jedoch nicht der Nachhaltigkeitsgedanke, der den Unternehmer überzeugte. „Ich wollte damit die Abschriften reduzieren. Ich bekomme von Too Good To Go zwei von drei Tüten bezahlt auf den Einkaufspreis runtergerechnet. Bevor ich das wegschmeiße, bin ich gerne dabei“, rechnet Cosentino vor. „Und wenn ich damit dem ein oder anderen noch etwas Gutes tun kann, weil der die Lebensmittel retten und günstig einkaufen kann, ist es umso besser.“ Da kommt auch schon ein Kunde in den Shop. Seine Frau habe ihn geschickt, erzählt der Rentner, als er den Kaufbeleg in der Too Good To Go App an der Kasse vorzeigt, um die zwei reservierten Überraschungstüten abzuholen. Zweimal in der Woche kauft das Ehepaar Lebensmittel über die App, um Geld zu sparen und Neues auszuprobieren. „Wir haben die App nun ein paar Mal benutzt. Bei manchen Anbietern fanden wir das Essen gut, bei manchen nicht“, sagt M. Röder. Er ergänzt: „Hier gefällt mir die Relation von Preis und Leistung. Man bekommt viel und darf sich selbst aussuchen, was man möchte.“ Deswegen bestellt er bereits zum zweiten Mal an der Allguth Station und wolle bald wiederkommen. Cosentino ist zufrieden mit der App und dem zusätzlichen Geschäft. „Der Aufwand ist sehr gering und die Resonanz gut.“ Es gäbe so gut wie nie Probleme mit der App und falls doch, sei der Service schnell erreichbar. Das Feedback der Kunden bekommt er über die App. Dort können die Abholer ihre Überraschungstüte bewerten. Seine Station hat 4,7 von 5 Sternen. Die Gründe: freundliche Mitarbeiter, gute Menge an Essen und ein tolles Preis-Leistungs-Verhältnis.
Vorteile für die Tankstelle
Die Vorteile für Tankstellen seien eindeutig, so Paschek: Kosten für die Entsorgung werden gespart und durch überschüssige Lebensmittel Umsätze generiert. Über die Hälfte der AppNutzer seien Neukunden und werden so in den Shop gelockt. Zudem lassen sich weitere Umsätze erzielen, wenn die Kunden tanken, ihr Auto waschen oder im Bistro einkaufen. Aktuell bieten über 800 Tankstellen überschüssige Lebensmittel über die Too Good To Go App an. Mit dabei sind Stationen von großen Marken wie Shell, Total, Esso, Aral, Star Orlen und HEM sowie regionale Marken wie Nordoel, Allguth, Hessol und Herm. Auch Betreiber freier Tankstellen helfen, Lebensmittel zu retten. Bis Ende des Jahres soll sich die Zahl laut Paschek verdoppeln. Dazu geht Too Good To Go verschiedene Partnerschaften ein. Anfang des Jahres ist Orlen dazugekommen. Klaus-Peter Dittrich, Corporate Communications Manager bei Orlen, ist zufrieden mit der Zusammenarbeit: „Gemeinsam haben wir gezielt und direkt alle geeigneten Tankstellen, also die mit Bistro oder Café, angesprochen und eine sehr hohe Resonanz erhalten.“ An den 79 aktiven Orlen Stationen konnten so bereits mehr als 12.000 Portionen vor dem Wegwerfen gerettet werden. „Es lässt sich nicht vermeiden, dass zum Ladenschluss makellose, unverkaufte Ware übrigbleibt. Mit Too Good To Go haben wir eine tolle Möglichkeit, die Lebensmittelvernichtung und deren Auswirkung auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft zu reduzieren“, so Dittrich. Die Nachhaltigkeitsstrategie des Energiekonzerns geht aber noch darüber hinaus: Seit März dieses Jahres sind alle Einwegartikel 100 Prozent Bio sowie recycle- und kompostierbar. Zudem fördert Orlen den Ausbau der E-Mobilität und alternativer Kraftstoffe wie LNG und CNG.
Damit ist es nicht getan
In den letzten Jahren ist das Thema Lebensmittelverschwendung in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt. Es landen jedoch immer noch viel zu viele genießbare Lebensmittel im Müll. Das Ziel der Bundesregierung, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren, liegt noch in weiter Ferne. Ohne Frage bietet die Plattform von Too Good To Go eine Win-win-win-Situation: Anbieter und Kunden sparen Geld und tun nebenbei etwas Gutes für die Umwelt. Um aber wirklich etwas in Sachen Nachhaltigkeit zu bewegen, gehört mehr dazu, als Lebensmittel über Too Good To Go anzubieten. Unternehmen sollte sich Gedanken über eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie machen. Ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln sowie optimierte Lagerung und Einkäufe sind wichtige erste Schritte. Darüber hinaus sollten weitere Aspekte wie Verpackungsmüll und CO2-Emissionen berücksichtigt werden so wie es beispielsweise bei Orlen gemacht wird.