Es war gerade einmal der zweite Messemorgen angebrochen, aber Andreas Gebauer wirkte schon vergnügt. Am Vortag hatten sich sehr viele Tankstellenbetreiber den Weg durch die komplette Halle 3 auf der Uniti Expo gebahnt, um sich am Messestand von KSW Elektro- und Industrieanlagenbau über Adblue-Zapfsäulen zu informieren. Und so kam das Resümee des Leiters der deutschen Niederlassung nicht verfrüht: „Adblue ist eindeutig im Kommen. Die Anlagen sind unser am stärksten nachgefragtes Produkt“, sagte Gebauer.
Die gestiegene Nachfrage kommt nicht von ungefähr. Seit dem 1. September 2015 erhalten nur noch Pkw mit Verbrennungsmotoren die Zulassung, die die Euro-6- Norm erfüllen. Sie schreibt unter anderem vor, dass ein dieselbetriebenes Fahrzeug 80 Milligramm pro Kilometer Stickstoffoxide ausstoßen darf. Das sind 100 Milligramm weniger, als es Euro 5 vorsah. Die ambitionierten Werte können nur mit einer Abgasnachbehandlung erreicht werden. Hierfür setzt die Automobilindustrie die wässrige Harnstofflösung Adblue ein, die in den Abgasstrom eingeführt wird. Im SCR-Katalysator verringert freigesetztes Ammoniak 80 Prozent der Stickoxide zu unschädlichem Stickstoff und Wasser.
VDA: Hochlauf wird kommen
Wer der Erfinder der selektiven katalytischen Reduktion (SCR) war, ist schwierig zu sagen. Die Marke jedenfalls (wird dann so geschrieben: AdBlue®) hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) schützen lassen. VDA-Pressesprecher Eckehart Rotter ist von der wachsenden Bedeutung insbesondere für Tankstellen überzeugt: „Jedes Jahr werden rund drei Millionen Neufahrzeuge zugelassen, davon machen Diesel in etwa die Hälfte aus. Das sind dann in fünf Jahren 7,5 Millionen Fahrzeuge, die Adblue tanken müssen“, rechnet Rotter vor. Das bedeute langfristig, dass die Durchsetzung steigen und ein Hochlauf kommen werde.
Dabei ist dem Verband vor allem die Verfügbarkeit der Harnstofflösung an Tankstellen wichtig. „Der VDA ist natürlich schon dafür, dass es Adblue auch an Zapfsäulen gibt. Aber die Frage, wie komfortabel die Betankung ist, ist Sache der Mineralölgesellschaften. Das wird der Markt regeln“, meint Rotter auf Anfrage von Sprit+.
Der Tankstellenmarkt aber zögert. Total etwa hat vor eineinhalb Jahren einen Feldversuch mit BMW an drei Stationen gestartet, von einem Roll-out von AdblueZapfsäulen war seither nichts zu hören. Esso wiederum testet derzeit gemeinsam mit Mercedes-Benz Tests an einer Tankstelle in Bremen. „Ziel ist es, Erfahrungen zu sammeln, wie man beispielsweise an zwei Zapfsäulen tanken kann, ohne den Wagen umparken zu müssen“, führt Rainer Bogner, Leiter des Esso-Tankstellengeschäfts in Zentraleuropa, aus.
Doch der eigentliche Grund, wieso Esso und andere Gesellschaften zögern, ist mehr als das viel zitierte Henne-Ei-Problem: „Die Kernfrage ist allerdings, wie es mit Adblue weitergeht. Ist es eine Technologie, die bleibt, dann kann man langfristig stabilere und investitionsintensivere Projekte andenken. Oder ist es eine Brückentechnologie, bis sich die Motorentechnik so weiterentwickelt hat, dass Adblue vielleicht gar nicht mehr notwendig ist oder zwischen den Inspektionsintervallen nur so wenig benötigt wird, dass eine Kanisterlösung ausreicht.“
Befeuern könnten diese Zweifel die lauten Überlegungen von VW-Konzernchef Matthias Müller. Die Abgasreinigung beim Diesel seien enorm teuer und aufwendig für die Hersteller. Gleichzeitig wird die Elektromobilität preiswerter. „Vor diesem Hintergrund wird sich die Frage stellen, ob wir ab einem gewissen Zeitpunkt noch viel Geld für die Weiterentwicklung des Diesels in die Hand nehmen sollen“, sagte Müller dem „Handelsblatt“.
Bis jetzt sehen sich die MÖG mit der Kanisterlösung noch gut aufgestellt. Birgt dies vielleicht eine Chance für den Mittelstand, mit einem besseren Serviceangebot, nämlich der Pkw-Zapfsäule, Kunden zu gewinnen?
Das gefragteste Produkt auf dem Stand von KSW ist jedenfalls eine oberirdische Nachrüstlösung: eine Adblue-Zapfsäule mit 600-Liter-Tank, die ab 169 Euro im Monat zu leasen ist, erzählt Gebauer. Er glaubt an die Zapflösung.
(Der Artikel erschien in Ausgabe 7 von Sprit+; Autor: Michael Simon)