Herr Köppl, Scheidt & Bachmann konnte jüngst einige große Ausschreibungen für sich entscheiden, zum Beispiel von Esso, Shell und Eni. Womit konnten Sie Ihrer Meinung nach punkten?
Das waren Ausschreibungen internationaler Mineralölgesellschaften, die die stärksten Lieferanten im Markt gesucht, bewertet und eingeladen haben. Am Ende des Tages hat, denke ich, der Funktionsumfang, den unsere Produkte haben, und unsere Organisationsstruktur, mit der wir solche Projekte in der entsprechenden Zeit und Qualität durchführen können, für uns gesprochen. So konnten wir auch die Ausschreibungen bei BP/Aral und Tank & Rast für uns entscheiden. Damit haben wir unseren Marktanteil nicht nur gehalten, sondern konnten ihn sogar ausbauen.
Wie hoch ist denn aktuell der Marktanteil von Scheidt & Bachmann im Bereich Kassensysteme?
Unser System ist bei etwa 7.500 Kassen in Deutschland im Einsatz, damit liegt unser Marktanteil bei über 50 Prozent.
Sicherlich ein Mammutprojekt ist aktuell die Umstellung des Kassensystems von Esso. Seit Herbst 2017 rüstet Scheidt & Bachmann wöchentlich durchschnittlich 25 Esso-Tankstellen um. Können Sie den Zeitplan einhalten?
Ja, die letzte Tankstelle war für den 28. August geplant. Aber diese hohe Schlagzahl ist für unser Unternehmen gelebte Praxis. Wir hatten Projekte, in denen wir sogar in der Woche bis zu 50 Tankstellen umgestellt haben. Das war allerdings meist bei Kunden, die schon vorher ein System von Scheidt & Bachmann hatten, so dass der Aufwand etwas geringer war. Auch der Schulungsaufwand der Betreiber war kleiner, weil sie unsere Produkte schon kannten.
Einige Dinge liefen bei der Umstellung im Esso-Netz nicht ganz reibungslos …
Esso war ein Neukunde, der erstmalig Systeme von Scheidt & Bachmann einsetzt. Das war eine enorme Herausforderung: Zum einen mussten wir lernen, die Gedankenwelt der Esso zu verstehen und hatten die komplexen Backend-Systeme der Esso anzubinden. Zum anderen gab es an den Tankstellen keine Historie mit Scheidt & Bachmann, das heißt, die Esso-Pächter und -Betreiber hatten zuvor noch nicht mit Kassen- und Warenwirtschaftssystemen von uns gearbeitet. Von daher ist die Herausforderung eine andere als bei einer Gesellschaft, die schon über Erfahrungswerte mit unseren Systemen im Einsatz verfügt.
Solche großen Projekte binden sicherlich viele Ressourcen. Sind da überhaupt noch Kapazitäten für den Mittelstand da?
Dazu muss man wissen, wie unser Unternehmen organisiert ist: Wir haben jeweils Kundenbetreuer für die großen Gesellschaften und auch für den größeren und für den kleinen Mittelstand. Unabhängig davon, ob also gerade ein Roll-out etwa bei der Esso läuft, ist die Betreuung gegeben, weil die Mitarbeiter von der Vertriebs- und Projektseite kundenbezogen verfügbar sind. Und wenn man sich die Entwicklungsressourcen ansieht: Natürlich gibt es Zeiten mit einer größeren und Zeiten mit einer geringeren Auslastung und es können fallweise Engpässe entstehen. Hierauf reagieren wir dann entsprechend bedarfsbezogen.
Aus dem Wettbewerbsumfeld von Scheidt & Bachmann ist zu hören, dass gerade aus dem Mittelstand Anfragen von Unternehmen zunehmen, die eine Alternative zu Scheidt & Bachmann suchen …
Faktisch ist es so, dass der Marktanteil unseres Unternehmens in den letzten Jahren stark gewachsen ist und dass wir gerade im Mittelstand zahlreiche, insbesondere Markenpartner-Tankstellen dazugewinnen konnten. Natürlich kommt es leider vor, dass ein Kunde sich auch einmal umorientiert und sich für den Mitbewerb entscheidet. Das ist ein üblicher Prozess, wobei wir natürlich um jeden Kunden kämpfen.
Trotzdem habe ich von Mittelständlern gehört, dass sie sich nicht mehr angemessen von Scheidt & Bachmann betreut fühlen und Wünsche nicht oder zu langsam umgesetzt werden. Woher könnte dieser Eindruck kommen?
Das nehmen wir natürlich sehr ernst und ist uns auch bewusst. Das kann zum einen an unseren fallweise noch recht starren Prozessabläufen liegen, die einer klassischen Projektorganisation entsprechen. Wir haben eine Abteilung für Qualitätssicherung, eine Abteilung für die Entwicklungen sowie einen Release- und Projektmanagementbereich mit entsprechend definierten Übergabepunkten. Zum anderen realisieren wir alle neuen Entwicklungen und Konfigurationsänderungen immer auf Basis der jeweiligen Softwaremodul-Mindestversionen. Wenn ein Kunde eine kleine Anforderung hat, kann dies bedeuten, dass wir zahlreiche Modulversionen auf den aktuellen Mindestversionsstand hin zu aktualisieren haben. Das erfordert dann auch entsprechend umfangreiche Tests in der Qualitätssicherung. Allein das kann 20 bis 30 Testtage zusätzlich bedeuten. Hilfreich sind hierbei Softwaremaintenance-Vereinbarungen, auf deren Basis wir mindestens jährliche Updates ausführen, so dass dann bei neuen Funktionsanforderungen der Aufwand der Softwaremodul-Aktualisierungen entsprechend wesentlich geringer wird und auch zeitnah erfolgen kann.
Ist das nicht ein ziemlich starres Vorgehen?
Ja, wir haben erkannt, dass wir ein Stück weit zu starr agieren und in der Time-to-Market schneller werden müssen. Deswegen ändern wir aktuell unser Vorgehen. In der Vergangenheit haben wir nach dem Wasserfallprinzip gearbeitet: Eine Anfrage kommt, diese haben wir spezifiziert, der Kunde sieht sich die Spezifikation an, wir realisieren die Software, wir erstellen das Release und geben das an die Qualitätssicherung, der Kunde prüft parallel, ob die Realisierung so passt, unsere Qualitätssicherung und der Kunde geben letztendlich das Release-Paket frei und dann können wir die neue Funktion installieren.
Und wie soll der neue Prozess aussehen?
Wir führen seit einigen Monaten sogenannte agile Prozessmethodiken im Unternehmen ein. Dies umfasst in einem fließenden Prozess den gesamten Wertschöpfungsbereich bis hin zur Installation. Zielsetzung ist die fortlaufende Lieferung von neuen Funktionen, frühzeitige, möglichst automatisierte Tests bereits im Entstehungsprozess und das Arbeiten in vollverantwortlichen Teams. Wir möchten in kleineren Paketen, dafür aber wesentlich schneller und flexibler neue Lösungen in den Markt bringen. Das bedeutet auch ein Umdenken auf Kundenseite. Erste Projekte wurden bereits entsprechend umgesetzt, beispielsweise das Siqma-Mobile-POS-Projekt, aber auch Fuel & Go.
Wie sieht dieser neue Prozess konkret aus?
Ein Beispiel: Wir wollen eine kleine Funktionserweiterung integrieren, aber die 60 Softwaremodule des Tankstellen-Management-Systems sind auf dem Stand von Anfang 2017. Dann ist es erforderlich, dass wir zuerst die 60 Module auf die jeweilige Mindestversion aktualisieren, damit die Software auch langfristig kompatibel bleibt. Das ist ein hoher Aufwand und bisher ein Prozess, der entsprechend aufwendig war. Unsere Kunden wie auch wir wünschen uns andere Zeitläufe. In der neuen Prozesswelt wird die Software kontinuierlich gepflegt, so dass die Implementierung von neuen Funktionen wesentlich schneller möglich sein wird. Die Kassen- und Warenwirtschaftssysteme sind dann immer auf einem aktuellen Stand.
Das klingt nach einem Strategiewechsel?
Aktuell haben wir sowohl in der Prozessorganisation als auch in der Produktwelt eine alte und eine neue Welt: Wir haben lokale POS-Kassensysteme und lokale Warenwirtschaftssysteme und parallel führen wir die neue Siqma-Systemwelt ein mit cloudbasierten Systemlösungen, die auch den Einsatz von mobilen Tabletkassen ermöglicht. Wir sind der erste Kassenhersteller in Europa, der die Tankstellenkasse auf einem mobilen Endgerät anbietet, was große Vorteile für den flexiblen Einsatz beispielsweise an der Waschstraße oder im Restaurantbereich ermöglicht. Zudem ist durch den Einsatz von Browser-Technologie die Lösung hardwareunabhängig. Der Release-Erstellungsprozess wird dadurch wesentlich vereinfacht und beschleunigt. Die neue Prozessorganisation und neue Systemwelt ist ein Stück weit eine Herausforderung, aber wir möchten insbesondere die Kundenzufriedenheit weiter steigern und damit auch unsere Marktführerschaft sichern. Das bedeutet natürlich einen großen Umbruch für jeden einzelnen Mitarbeiter und es kann fallweise dann auch zu Verzögerungen führen. Bis die neue agile Projekt- und Systemwelt vollumfassend umgesetzt wurde, wird es noch dauern, aber letztendlich wird der Prozess nicht zu Ende gehen, er bleibt ein kontinuierlicher Prozess. Die ersten Projekte laufen bereits auf dieser Basis und werden nach und nach auch bei weiteren Kunden umgesetzt. Von diesem Vorgehen profitiert natürlich auch der Mittelstand.
Das heißt, der Mittelstand mit ein paar Dutzend Tankstellen ist trotz der Projekte mit den großen MÖG für Sie weiter ein wichtiger Kundenkreis?
Ja, definitiv. Wir sehen uns ja selbst als Mittelstand, unser Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern verteilt sich auf vier Unternehmensbereiche rund um Mobilität. Wir richten unsere Organisation natürlich auch stärker international aus, um weiteres Wachstum über unsere Kernmärkte DACH hinaus zu ermöglichen. Aber auch in Deutschland wollen wir weiter wachsen und um Ihre Frage konkret zu beantworten, selbstverständlich sind auch die Kunden mit 50, 60 Tankstellen sehr interessant für uns.
Seit zwei Jahren bietet Scheidt & Bachmann das Produkt Fuel & Go an. Ist das bereits im Einsatz?
Fuel & Go ist unser zentrales Mobile-Payment-Backend-System und ein entsprechendes Kassenmodul. Bei Smartpay, der Mobile-Payment-Lösung von Shell, stammt die Kassenintegration aus unserer Fuel & Go Lösung. Der zweite Teil, also beispielsweise die zentrale Autorisierung und die Verwaltung, ist Teil der Shell-eigenen Lösung. Mit Fuel & Go und unseren Partnerschaften mit Clever-tanken und Paydirekt haben wir aber eine komplett fertige eigene Lösung, die wir nun inbesondere dem Mittelstand anbieten. Derzeit reagiert die Branche interessiert, aber noch zurückhaltend. Aber wir führen viele Gespräche mit möglichen Kunden und leisten Überzeugungsarbeit. Mobile Payment wird sicher immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Seit einigen Jahren produziert Scheidt & Bachmann keine eigenen Zapfsäulen mehr. Konzentrieren Sie sich jetzt nur noch auf rein digitale Produkte?
Unsere Strategie ist es, eine Hardwareunabhängigkeit von Endgeräten zu schaffen. Damit haben wir die Problematik, die man heute mit Inkompatibilität zwischen Software und Hardware hat, nicht mehr. Denn mit Hilfe von browserbasierten Technologien kann man jegliche Hardware und auch mobile Endgeräte einsetzen, ohne Release-Anpassungen durchführen zu müssen. Zielsetzung ist es auch, möglichst die Software zentral in die Cloud zu legen. Wobei dies mit Augenmaß erfolgt, da auch im Offline-Fall die Verkaufsbereitschaft der Tankstelle jederzeit gegeben sein muss. Gesamthaft ergibt sich eine schnellere Time-to-Market. Die einmalige Installation eines Software-Updates auf einem zentralen Server anstelle der Aktualisierung der Software jeder einzelnen Tankstelle per Remote-Download bedeutet dann beispielsweise einen immensen Zeitgewinn.
Welche Lösung bietet Scheidt & Bachmann, seitdem ICP im Frühjahr verkündet hat, keine Terminals mehr herzustellen?
Die Herstellung von eigenen Kartenterminals für den Tankstellenbereich hat unser Unternehmen bereits vor über 20 Jahren eingestellt. Seitdem haben wir zahlreiche Terminals verschiedener Hersteller an unsere Systemprodukte angebunden. Mit Worldline bieten wir seit vielen Jahren eine Alternative zu ICP an, weil wir erkannt haben, dass der Bedarf nach einer Alternativlösung besteht. Manche Kunden haben auf dieses Angebot reagiert, manche nicht. Aber seit der Meldung von ICP, keine Terminals mehr zu produzieren, hat sich natürlich der Druck entsprechend erhöht. Für die Kunden, die noch nicht gewechselt haben, bieten wir weiterhin unseren Support und Reparaturservice an. Mit diesem Service, den wir selbst in der Gewährleistungszeit der Geräte aus eigener Kraft gewährleistet haben, können wir die Verfügbarkeit und Funktionsfähigkeit der Terminals sichern. Damit bieten wir unseren Kunden eine Lösung für eine bestimmte Übergangszeit an, bis der Wechsel auf einen anderen Anbieter erfolgen konnte.
(Das Gespräch führte Annika Beyer; Das Interview erschien in Sprit+ Ausgabe 9/2018.)